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Vorlesungen von Ryszard Kapuściński

Der polnische Intellektuelle Ryszard Kapuściński widmet sich dem Phänomen des Anderen

© Die Berliner Literaturkritik, 15.06.09

Philosoph, Journalist und Essayist in einem: Ryszard Kapuściński ist zu den wohl einflussreichsten polnischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts zu zählen. 2007 verstarb er und hinterließ seine Weltsicht auch in einem Notizbuch. Ein Reisender, ein Kosmopolit. Seine Denkanstöße dürften noch lange für Gesprächsstoff sorgen. Der Suhrkamp Verlag übernimmt die deutsche Erstausgabe einer Reihe von Kapuścińskis Vorlesungen, die dieser zwischen 1990 und 2004 zu verschiedenen Anlässen hielt.

Unter dem Titel „Der Andere“ ist nicht nur eine werkbiografische Vervollständigung erschienen, sondern auch ein allgemein verständlicher Einstieg in das Phänomen des Anderen und dessen sperrigem, schlecht ableitbarem Verunsicherungspotential, dem sich Menschen immer schon—mehr oder weniger human—gestellt haben.

Deutlich zeigt sich in den Vorlesungen, wo die Gesellschaft herkommt, die sich als „eine in Eile dahinströmende Menge einander gleichgültiger, fremder Menschen“ mehr schlecht als Recht, so die These, auf lange angekündigte, wenn nicht gar unumgängliche und historisch gewandelte Herausforderungen einrichten muss.

Und zwar „nicht, weil es mehr unterschiedliche Gesellschaften und Kulturen gibt als früher, sondern weil diese immer lauter ihre Stimme erheben und selbstsicherer und entschlossener Anerkennung und Achtung einfordern—und den ihnen zustehenden Platz am runden Tisch der Nationen.“ Weniger klar, das war zu erwarten, ist dagegen das Kommende: „Vielleicht steuern wir auf eine Welt zu, die so neu und verschieden von der alten ist, dass sich alle bisherigen historischen Erfahrungen, als unzureichend erweisen, um sie zu begreifen und sich darin fortzubewegen.“

Was heißt das? Zur Eröffnung vollführen die „Wiener Vorlesungen“ vom Dezember 2004 eine historische Betrachtung dessen, was sich unglücklich aber konventionell als „Kampf der Kulturen“ bezeichnen lässt. Die Kolonialmächte haben sich demnach vorzuwerfen, dass ihre einzige wertschätzende Leistung gegenüber jenen Völkern, die sie belästigt haben, darin bestand, im Feind auch einen Käufer zu entdecken. Was folgte ist bekannt aber deshalb nicht weniger erschütternd. „In den Augen der Afrikaner hat die weiße Rasse im 20. Jahrhundert Selbstmord begangen.“

Lange Zeit fasziniert vom Phänomen des Anderen dreht sich die Vorlesung „Mein Anderer“ um den Gang von der Abstraktion zum konkreten Bild, hin zum persönlichen Erleben. Neben dem vermittelten Erfahrungsschatz bieten die Vorlesungen eine übersichtliche Erläuterung zur Soziologie der menschlichen Diversität, die zwar auch von weltweit agierenden Konzernen entdeckt und thematisiert wird. Mit dem Unterschied, dass sich „der Andere“ weniger um Bekundungen und selbstreferentielle Programme als um ein ganz schlichtes Problembewusstsein kümmert und es gar nicht zu hoffen wagt, dass sich gegenseitiges Verkennen und respektloser Umgang untereinander bei Anwendung einer Maximenkur in Nichts auflösen.

Begleitend fungieren bei Kapuściński drei Angst bindende Komponenten der Weltanschauung: Hautfarbe, Nation und Religion. Selbstredend entstehen Kämpfe hierüber nur aus der Interpretation, nicht aber aus der bloßen Faktizität diesbezüglicher Unterschiede. Denn, so wird Levinas zitiert, „der Mensch ist das Seiende, das spricht.“

Dieses, vom Sein abhängige Sprechen aber kann Kapuściński (und mit ihm viele andere) gegenwärtig nicht beruhigen, ist es doch durchsetzt von Ressentiments und dem Empfinden einer latenten Bedrohung. Nicht zuletzt die moderne Literatur versage zum Großteil vor der zunehmend problematisierten Asymmetrie menschlicher Begegnungen, wenn sie sich zwar um Beziehungskonflikte drehe, diese aber nicht aus der konstruierten, und damit wirklichkeitsfeindlichen Homogenität ihrer Welten zu entlassen bereit ist.

In der unzensierten, soliden in sich ruhenden Art dieser Vorlesungen liegt der Grund ihrer Relevanz.

Von Kay Ziegenbalg

Literaturangabe:

KAPUSCINSKI, RYSZARD: Der Andere. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 93 S., 7,50 €.

Weblink:

Suhrkamp Verlag


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