Von Klaus Blume
Da staunte Margarita Morales nicht schlecht, als sie 1989 zum ersten Mal nach Deutschland kam. Wie selbstverständlich durfte die junge Mexikanerin mit ihrem deutschen Freund in dessen Elternhaus in Münster in einem Zimmer schlafen—in Mexiko vor der Hochzeit ein Ding der Unmöglichkeit. Die Deutschen empfand die Malerin als gastfreundliches Volk. Inzwischen längst verheiratet, lebt sie in Berlin, wo sie zusammen mit ihrem ebenfalls malenden Ehemann Frank seit neun Jahren die Galerie M + F betreibt.
So wie Margarita Morales haben viele Künstler, Wissenschaftler, Schauspieler, Ärzte oder Musiker in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Heimat gefunden. Insgesamt 20 von ihnen erzählen nun ihre Lebensgeschichten in dem von Maricarmen de Saavedra herausgegebenen Sammelband „Deutschland mit beschränkter Haftung—Die Kunst „deutsch“ zu sein.“ Die intellektuellen Migranten stammen aus vier Kontinenten. Unter ihnen finden sich auch eine Politikerin—die türkischstämmige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün—und ein leibhaftiger Prinz: Der durch sein Buch „Manieren“ bekannt gewordene Asfa - Wossen Asserate aus dem äthiopischen Kaiserhaus.
Sie berichten von den Kulturschocks, die sie bisweilen zu überwinden hatten, aber auch von den Chancen, die ihnen die neue Heimat bot. Lale Akgün kam schon als Kind nach Deutschland und hatte dort in jungen Jahren „durchgängig positive Erlebnisse“. Sie beklagt aber den „Winterschlaf der Integration“, in dem Deutschland viele Jahre gelegen habe. Weil die Eingliederung der Zuwanderer viel zu lange ein Tabuthema war, sei es überhaupt erst zu der viel diskutierten Ghettobildung in den Großstädten gekommen.
Ihr Landsmann Nezih Ülkekul, ein in Berlin lebender Rechtsanwalt, findet aber, dass Deutschland offener geworden sei: „Mit dem Anstieg des Bildungsniveaus stieg auch die Akzeptanz ausländischen Mitbürgern gegenüber“, schreibt er. Insgesamt ist das Urteil der Autoren über das Gastland eher positiv. Zwar werden „Steifheit und Rigidität“ und die Verschlossenheit vieler Menschen beklagt, dafür aber Präzision und Zuverlässigkeit der Deutschen geschätzt. „Sie waren in der Lage, ja oder nein zu sagen, und sie meinten es dann auch so“, findet der indische Schauspieler und Pantomime Irshad Panjatan.
Eine Erfahrung von Ausländerbevorzugung machte die französische Fotografin, Kinderbuchautorin und Regieassistentin Sophie Amelie Leclerq. „Französinnen haben in Deutschland einen unglaublichen Ruf“, meint sie. Wegen dieser positiven Voreingenommenheit habe sie stets schnell einen Job gefunden—im Gegensatz zu ihren Freundinnen aus anderen Ländern.
Statt staubtrockener Migrationsdebatten bietet der Band höchst lebendig erzählte Geschichten. Einige der Autoren haben auch in der DDR gelebt. Der Kongolese Pierre Botembe zog 1966 freiwillig von West - nach Ostberlin, weil er dort studieren konnte, während ihm im Westen die Abschiebung drohte. Der chilenische Schauspieler und Regisseur Carlos Medina floh wie viele Landsleute vor der Pinochet - Diktatur in die DDR. Dort wurde er zwar gut behandelt, doch kamen ihm Zweifel am System, weil es keine Meinungsfreiheit gab.
Ein unvergessliches Ankunftserlebnis hatte der brasilianische Medienkünstler Eduardo Raccah. Die weltweiten Klagen über die Vernichtung des Amazonas - Regenwaldes im Ohr, traute er seinen Augen nicht, als er beim Anflug auf Frankfurt vom Flugzeug aus nun auch in Deutschland einen riesigen „verbrannten“ Wald sah. Er musste erst lernen, dass im Winter die Bäume in Deutschland keine Blätter haben.
Literaturangabe:
DE SAAVEDRA, MARICARMEN (HRSG.): Deutschland mit beschränkter Haftung. Die Kunst „deutsch“ zu sein. Patchworld Verlag, Berlin 2008. 320 S., 19,90 €.
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