Von Antje Lauschner
MEININGEN (BLK) - „Meine Liebe weiß nicht, dass ich über siebzig bin. Und ich weiß es auch nicht.“ Diese Worte des greisen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe in Martin Walsers Buch „Ein liebender Mann“ beschreiben das ganze Spektrum der Leidenschaften, Hoffnungen, Torheiten und Verzweiflungen eines Liebenden.
Der 73 Jahre alte Goethe - schon zu Lebzeiten fast zum Denkmal geworden - durchlebte in seiner letzten Liebe zu der erst 19- jährigen Ulrike von Levetzow alle Tollheiten und Höllen-Abstürze wie ein Jüngling. Am Freitagabend (01.10.2010) wurde Walsers Roman darüber als Schauspiel in den Kammerspielen des Theaters Meiningen (Thüringen) uraufgeführt.
Die knapp 300 Premierengäste dankten dem Ensemble um Theaterintendant und Regisseur Ansgar Haag und dem sichtlich gerührten Walser für den Abend mit langem Applaus. Der 83-jährige Walser schrieb die Theaterfassung seines Romans selbst.
Der Weimarer Geheimrat, Dichter und Naturwissenschaftler hatte 1823 während einer Kur in Marienbad seine Liebe zu der jungen Frau entdeckt und soll - in einer letzten Aufwallung der Gefühle - um ihre Hand angehalten haben. In einer Mischung aus Verzückung und Verzweiflung schrieb er nachher die „Marienbader Elegie“, eines seiner schönsten Liebesgedichte.
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Bei den Zeitgenossen, auch Ulrikes Mutter (Evelyn Fuchs), löste diese gegenseitige Zuneigung Empörung aus. Von Ulrike von Levetzow ist außer ein paar Worten und einem Bild so gut wie nichts überliefert. Sie hat nie geheiratet und starb 1899 hochbetagt.
Raffiniert in Szene gesetzt
Bernd-Dieter Müller schuf einen raffinierten Bühnenraum - ein modernes Spiegelkabinett in schlichtem Weiß. Das Verschieben, Drehen und Öffnen der Wände schafft Raum für den Zauber und die Atmosphäre in dem berühmten böhmischen Kurort: Salons, Terrasse, Promenade, die Zimmer von Goethe und Ulrike entstehen und verschwinden im Handumdrehen.
Der 68 Jahre alte Peter Bernhardt spielte den fünf Jahre älteren Goethe mit all seinen Eitelkeiten und Gebrechen - und kam auch äußerlich den Überlieferungen und Klischees um den Weimarer Klassiker sehr nahe. Allerdings blieb Bernhardt über die zweieinhalb Stunden zumeist in einer Tonlage und Lautstärke.
Josephine Fabian verkörperte die lebenslustige, ironische und blitzgescheite Ulrike von Levetzow, die Goethes Liebe mit Sätzen wie „73 ist eine zum Küssen schöne Zahl“ immer wieder neue Nahrung gibt.
„Es ist alles Goethe, weil alles Liebe ist“
Walser hat in mehreren Romanen den Altersunterschied von Liebenden beschrieben. Das Buch „Ein liebender Mann“, so sagte er, habe er nur in hohem Alter schreiben können. Er lässt darin authentische Briefe, Zeugnisse, Gedichte und Fiktionales miteinander verschmelzen und schafft sich so seinen ganz eigenen Goethe.
„Es ist alles Goethe, weil alles Liebe ist“, hatte Walser bei der Buchpremiere 2008 in Weimar auf die Frage geantwortet, was Goethe-Studie, was Selbstbeobachtung sei. Goethe habe in Weimar immer den großen Entsager gespielt, den Mann, der alles im Griff hatte. In Wahrheit habe er wie alle unglücklich Liebenden mächtig gelitten.
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