Werbung

Werbung

Werbung

Warnung vor dem Vergessen

Utz Rachowskis Buch „Red’ mir nicht von Minnigerode“

© Die Berliner Literaturkritik, 19.03.08

 

Der Titel ermahnt den Lesenden, bloß nicht von Minnigerode zu reden! Schon im Klappentext erfährt der verdutzte Rezipient denn auch warum: mit Minnigerode ist nicht das kleine Örtchen im Harz gemeint, sondern ein Weggefährte Georg Büchners. Allerdings war Minnigerode kein unauffälliger Zeitgenosse, sondern eher ein Querdenker und Dissident. Die gedankliche Nähe und Verbundenheit zwischen Autor Rachowski und der Titelfigur wird deutlicher. Eine Affinität zwischen Zeitumständen und Schicksalen der verschiedenen Protagonisten und dem Autor ist nicht zu übersehen.

Wie im Text deutlich, und im Nachwort explizit erwähnt wird, entlehnt Rachowski seinen Poesiebegriff dem 19. Jahrhundert. Rachowskis Zungenschlag kommt nicht aus dem Ungefähren, nichts ist dem Zufall geschuldet oder endet in Beliebigkeit. Der aus dem Vogtland stammende Autor Utz Rachowski erinnert bewusst an Heinrich von Kleist oder Georg Büchner, denn in ihnen erkennt er Leidensgenossen und Brüder im Geiste. Ihnen allen sind sensible Vorausschau und die Ablehnung von Dulderposen immanent. Dennoch scheint der Mensch nicht lernfähig zu sein. Repressionen gab es und gibt es, zeigt Rachowski in der diametralen Betrachtung von Vergangenheit und Gegenwart. Immer wieder gibt es Auflehnung und Protest, aber auch Resignation und Verzweiflung.

Alle Texte sind mehr oder weniger autobiographisch durchdrungen. Einige handeln direkt von Kindheitserfahrungen und Erinnerungen, andere wiederum verraten erst durch historische Assoziationen eine persönliche Verbindung. Oftmals führt er diese persönlichen und historischen Linien ad absurdum: da tritt Kleist in zeitgenössischen taz-Artikeln auf und Matthias Domaschks mysteriöser Tod findet in einer Schlüsselerzählung in Zusammenhang mit der Gesellschaft für Menschenrechte und Minnigerode Erwähnung.

Der bis heute ungeklärte Tod des Studenten Matthias Domaschk löste einen Aufschrei unter den Oppositionellen – darunter Rachowski – aus. Solche gesellschafts-politischen Ereignisse und Erlebnisse sucht er, in Kombination mit autobiographischer Konsequenz, zu ergründen. Immer wieder bemüht er Vor-Bilder, um sich selbst zu verstehen. Höchste Anerkennung verdient dabei die schonungslose Hinterfragung der Vaterfigur. Hier mischt sich eine Aversion gegen Systemtreue mit Kindheitserfahrungen und Sentimentalität. Vertuschen, Verdrängen und Vergessen wollte er nicht.

Für diese Einstellung musste er jedoch mit einem Gefängnisaufenthalt bezahlen. Von Familie und Freunden getrennt, fand der sich schließlich in Westdeutschland wieder. Nicht ganz freiwillig musste er nun aus dem Abseits politisch aktiv werden und sah sich in einer Reihe mit alten Freunden wie Wolf Biermann, Jürgen Fuchs oder Reiner Kunze. Diese Zeit- und Weggenossen spielen in den hier gesammelten Erzählungen und Essays auch immer wieder eine tragende Rolle. Fuchs avancierte schon in Jugendjahren zum Vorbild und Denkanreger, an Reiner Kunzes „Die wunderbaren Jahre“ arbeitete Utz Rachowski selbst mit.

Utz Rachowski hat mit „Red’ mir nicht von Minnigerode“ ein spannendes Zeitdokument entworfen, das nur aus derartigen Lebensturbulenzen resultieren konnte. Die schmerzhaften Erfahrungen bringt er konsequent zum Ausdruck, wobei er nicht auf komische Elemente verzichtet. Diese Melange verwirft jede Struktur auf seine gekonnt schrullige Art. Die als Trias konzipierte Buchform aus Erzählungen, Essays und Poetologischem hält er nur begrenzt ein und liefert statt der angekündigten Essays auch gern einmal Verse.

So könnte man resümieren, dass das gesamte Buch diesem originär französischen Wort des „Essais“ – einem Versuch gleicht. Einem Versuch, die Vergangenheit immer wieder neu zu (er-)finden. Eine insgesamt sehr lesenswerte Retrospektive der DDR-Vergangenheit an sich und der eines DDR-Bürgers.

Von Stephanie Tölle

Literaturangaben:
RACHOWSKI, UTZ: Red’ mir nicht von Minnigerode. Erzählungen und Aufsätze. Thelem Universitätsverlag, Dresden 2006. 264 S., 14,80 €.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: