Von Leonhard Reul
Ein schöner Band mit Schmetterlingen auf dem Cover und manchmal ähnlich leichtfüßigem Inhalt ist in der beckschen Reihe erschienen. Peter Härtling schrieb dazu das Vorwort, die Herausgeberin Erika Schellenberger-Diederich erklärt im Nachwort, dass dieses Projekt auch eifrigen Marburger Studenten zu verdanken ist. Sie ließen sich auf ein Seminar ein mit dem Titel „Was ist ihr Lieblingsgedicht – Studenten fragen Prominente – Ein Buchprojekt“ und schrieben 350 Personen des öffentlichen Lebens an. Einige zierten sich, etliche gaben bereitwillig Auskunft. Letztlich fanden 39 Gedichte ihren Weg in den schmalen Band – da Rilke ein lyrischer Kassenschlager ist und bleibt, gibt es in Summe gar 44 Erläuterungen der Prominenz. „Der Panther“ verzeichnet nämlich vier, der „Herbsttag“ zumindest zwei Mehrfachnennungen.
Und was ist nun von dieser Sammlung zu halten? Endlich mal kein Kanon, kein (nichts gegen Literaturpäpste) mehrbändiges lyrisches Pflichtprogramm sondern ein lustig, ernster „Kessel Buntes“. Mit zeitlos schönen Evergreens (ich sag nur Rilke – siehe oben –, Goethe, Schiller, Hölderlin und Brecht) und unbekannten Werken lustigerer Naturen (wie Morgenstern und Ringelnatz) sowie Entdeckungswertem der Spötter Gernhardt oder Hüsch.
Doch nicht wegen der Gedichte allein kauft man diesen Band, sondern wegen der Neugier: Wer schätzt welches Gedicht warum? Und ja, es macht Spaß, die Kommentare der Befragten zu lesen – und zu prüfen: Passt das zum Promi (und dem was ich mir von ihm erwarte)? Ein authentisches Beispiel (mit unfreiwilliger Komik) ist zum Beispiel Sepp Maier: der famose Fußballtorwart führt „Die Grille sitzt im hohen Gras/ Und zirpt und zirpt und zirpt./ Auf einmal is stad – Kopf abgemaht!“ als Lieblingsgedicht an. Die Begründung der Wahl des lustigen Reims (fast noch lustiger denn der Reim selbst): „Das Gedicht bewegt mich, weil ich im Sommer regelmäßig Rasen mähe.“ Schlicht und glaubhaft – oder doch ein Schelmenstück?
Weitaus leichter entlarvt man so manchen Lyrikfreund mit hochtrabenden Begründungen – diese holprig daher kommenden Ausführungen machen viel Lachen. Aber auch die sympathische Offenheit und Größe mit der so mancher Politiker den Gedichtbezug kommentiert, laden zum Schmunzeln ein. Die Liebe des 6-jährigen Richard von Weizsäcker bekommt den „Handschuh“ (Schiller) hergesagt und heiratet dann später doch einen Italiener. Karl Theodor zu Guttenberg outet sich als jugendlicher Bildungs-Prahlhans, der für sich die Kenntnis des ganzen Hölderlin beanspruchte und ihn noch heute gerne liest. Ein reimfroher Nachrichtensprecher gesteht freimütig seine Bezüge zum „Herbsttag“: er als Herbstkind bilanziert sehr gerne – wenn er sich dieses inzwischen auswendig gelernte Gedicht hersagt.
Und vielleicht entwickelt sich ja beim Lesen von Gedicht und Bemerkung auch eine Gewogenheit den Texten und den Preisgebenden gegenüber? So ein Gemüt hat also xy… Diese Erkenntnis steht dann oftmals klarer als bei einem Fragebogen als Ergebnis da. So fühlt er/sie also im Falle der Lieblingsgedichtgleichheit mit dem Eigenen wird er/sie gar zum Seelenverwandten. Seien Sie mir unbekannterweise gegrüßt, Leslie Malton!
Die Lektüre des Buches macht ungeahnt viel Freude: Freude an den schönen zeitlosen Gedichten, die zur lyrischen (Wieder-)Entdeckungsreise vieler Autoren einladen. Freude an der gestifteten Gemeinschaft der (diese) Gedichte Lesenden. Freude an den offenen oft schlichten Worten der Befragten: wider eine Verklärung der Lyrik. Sie ist was sie ist: Eine ganz besondere Form des Ausdrucks existentieller Gestimmtheiten – oder deren Ironisierung.
Und dafür gebührt der Herausgeberin und ihren Studenten Dank. Durch die gewählte Gleichgewichtung von Gedicht und Prominenz bescheren sie vielleicht der Lyrik auch neuen Zulauf, denn nicht nur Reimkenner, sondern auch psychologisierende Bunte-Leser haben nun einen guten Grund, dieses Buch zu lesen und dabei Gelegenheit, sich wunderschöne Verse herzusagen.
Literaturangabe:
Schellenberger-Diederich(Hg): Mein Lieblingsgedicht. Prominente antworten. C.H. Beck 2010
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