„Sehr wahrscheinlich werden sich die Mensche niemals mit dem vorgefundenen Reichtum ihrer Sprache zufrieden geben, und zwar nicht nur aus trivialen Gründen – weil es zum Beispiel notwendig ist, neuentdeckte und neuhergestellte Dinge zu benennen, – sondern weil sie den Verdacht haben, daß die Sprache, wenn man ihr zusetzt, mehr herausrücken könnte, als sie freiwillig zu besitzen einräumt.“ Leszek Kolakowski hat diese Beurteilung in seiner grandiosen Schrift „Der metaphysische Horror“ eingestreut und dieses „mehr“ ist der Dreh- und Angelpunkt zweier aktueller Streitschriften, die sich – einmal implizit und einmal explizit – zur Situation der (deutschen) Sprache äußern.
Fürs Erste muss man voraussetzen, dass Sprache viel mehr ist als ein Pool möglicher Sprechweisen, um den Gedankengängen beider Autoren etwas abgewinnen zu können. Diese Sicht bietet allerdings auch wenig Anlass zum Zweifeln. Die meisten dürften beim Sprechen oder Hören einer Fremdsprache bereits bemerkt haben, dass dazu eine bestimmte Stimmlage, eine ganz eigene Melodie – vielleicht sogar ein eigener Gestus, an dem sich stets Klischees entzünden – gehört.
Sei es der fuchtelnde Italiener, der Franzose mit den einladend ausgebreiteten Armen, der bellende Deutsche mit seinen von der Schwerkraft geschlagenen Mundwinkeln oder der stramme, gespannte Japaner – Klischees wie gesagt.
In seinem Buch „Was ist Sprache?“ widmet sich der Berliner Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant glücklicherweise nicht allein dieser Frage, sondern erzählt von (s)einer Begegnung mit der Faszination. Diese hat sich bereits ausgezahlt in Form eines Ordens des französischen Kulturministers wodurch sich Trabant offiziell als „Chevalier de l'Ordre des Arts et Lettres“ bezeichnen lassen darf.
Es riecht nach Zettelkasten, wenn in allen Untiefen des Textes immer wieder überraschend komponierte Trittstellen auftauchen. Man hat es ohnehin nicht mit einer Monografie zu tun, sondern einer Zusammenstellung bisher verstreuter kleinerer Arbeiten, die sich „erheblich überarbeitet“ doch locker zu einem Ganzen fügen.
Als Mitglied des Vereins Deutsche Sprache e.V. setzt sich Trabant besonders für den Wert der Nationalsprachen ein. Das stärkste Argument in dieser Sache ist die Geschichte, die uns zeigt, dass die Sprachfrage am Übergang vom Mittelalter zur Renaissance in Italien und später während der französischen Revolution schon von großer Bedeutung war. Es sei schlichtweg darum gegangen, wer etwas zu sagen habe: eine der Hochsprache mächtige Elite oder alle Sprecher einer Region.
Gegenwärtig, so die These stehen wir vor einer ähnlichen Situation, in der sich entscheiden muss, wie mit der Dominanz des Englischen umzugehen sei. Trabant kann überzeugen, indem er die Sprachfrage neu stellt. Auf dem Weg zu einem vermeintlichen Paradies, in dem es kein babylonisches Sprachengewirr mehr geben darf, komme es darauf an, umzudenken.
An zwei Dingen stört sich Trabant besonders: Gobalesisch und eine überstrapaziert performative Ausrichtung der Wissenschaft, welche die Differenz von Wissen und Handeln verschüttet.
Wissen, so Trabant ist gar nicht anders denkbar als ruhendes, statisches, einsames. „In unserer Zeit ist es der junge, smarte, dynamische, erfolgreiche executive, der ununterbrochen arbeitend den Besuch im Fitnessstudio nicht versäumt, in der Bibliothek sich auf dem Laufenden hält und nach getanem wissendem Handeln auch noch die wunderbare Frau trifft, die er mit expertise sexuelle bedient“. Die Reaktion: „It’s simply too much! Give me a break!“ Das ist nur ein Beispiel für die auflockernde und gekonnte Polemik eines Modeverweigerers.
Globalesisch meint ein verändertes Englisch, dass zunehmend, so die These, „prestigereiche Diskurse“ wie Wirtschaft, Wissenschaft, Internationale Politik beherrscht und sich als „Sprachkiller“ erweist, da es die Nationalsprachen (sogar das vernünftige Englisch) verdrängt. Bedroht sei dadurch die mit Sprache verbundene Identität in einer Kultur. Als Alternative bietet Trabant tatsächlich Latein an, wobei er gleichzeitig darauf hinweist, dass Latein ein ähnlicher Sprachkiller werden könnte wie das globale Englisch – zumal es dies bis zum 16. Jahrhundert tatsächlich gewesen sei. Da der Vatikan die Sprache quasi seit geraumer Zeit in Obhut genommen und gepflegt hat, eigne sie sich für alle Diskursfelder und sie sei eine wirklich europäische Sprache. „Europas Kultur und Identität ist der ‚römische Weg’.“ Ein Vorteil bestehe auch darin, dass Latein niemandes muttersprachliches Privileg sei, wie etwa das Englische. Und was ist jetzt mit dem Latein? Eben nichts. Globalesisch im 21. Jahrhundert hieße ein zweites sprachliches Mittelalter einrichten, in dem sich institutionalisierte Kommunikationsschranken auftun.
Also – und das ist die aalglatte Schlussbewegung in Trabants Argumentation – braucht es überhaupt keine Sprache für Europa, sondern vor allem einen anderen Blickwinkel auf die Frage. Gut für Europa sind demnach sowohl das Globalesische, die jeweilige Muttersprache für die Identität und eine weitere Fremdsprache, die zu sprechen das Verständnis des Anderen fördert. Die Sprachverdrängung wäre damit ausgeschlossen, da sich die Beweggründe, Sprachen zu beherrschen nicht mehr überschneiden.
Aus einer ganz anderen Sphäre heraus argumentiert die kurze Streitschrift der Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach. „Hat Deutsch eine Zukunft? Unsere Sprache in der globalisierten Welt“ ist ein vor allem politisches Sammelsurium vieler kleiner wahrer Sätze. Aber wofür genau wird hier argumentiert? Für den Erhalt der deutschen Sprache? Geschenkt. Gegen autoritäre Regulierung der Sprachnormen? Gerne. Dazwischen treffende Zitate zu diesem und jenem.
Darunter finden sich allerdings vermeidbare Stilblüten, die Entgegenkommen verlangen. So etwa gleich zu Beginn: „Weit mehr als ‚Blut und Boden’ begründet die Sprache eine seelisch-geistige Heimat.“ Keine Ergänzung oder Präzisierung ist zu finden. Der anschließende Satz über Heines Begabung, sich allein im Sprechen zuhause zu fühlen, führt nur den halben Gedanken weiter und schert sich nicht darum, dass ‚Blut und Boden’ die andere Hälfte des Zuhauses überlassen wird. Schützend wirkt die bisherige Laufbahn der Autorin vor falschen Verdächtigungen, aber eleganter wäre es doch gewesen, durch eine präzise Gedankenführung solche Fragezeichen auszuschließen.
Es finden sich kaum Ecken und Kanten, die der Lektüre einen Antrieb geben. Eine „harmlose bürokratische Gesinnung“ wurde dem Text bereits bescheinigt und dem ist nichts hinzuzufügen außer der Empfehlung beide Bücher zusammen zu lesen. Nicht ohne Grund präsentierten sich beide Autoren gemeinsam auf einer Buchvorstellung in Berlin. Und dazu darf man dem Verlag wohl gratulieren. Es ist gelungen die Texte zum Duett zu stilisieren. Nutznießer sind sie aber beide.
Von Kay Ziegenbalg
Literaturangaben:
LIMBACH, JUTTA: Hat Deutsch eine Zukunft? Unsere Sprache in der globalisierten Welt. C.H. Beck Verlag, München 2008. 107 S., 14,90 €.
TRABANT, JÜRGEN: Was ist Sprache? C.H. Beck Verlag, München 2008. 320S., 14,95 €.
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