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Weißes Kaninchen im Hörsaal

Markus Gabriel hat eine Einführung in die philosophische Schule antiker und moderner Skepsis vorgelegt

© Die Berliner Literaturkritik, 05.06.09

Vor fast zehn Jahren sorgten die Wachowski-Brüder mit dem Science-Fiction-Film „Matrix“, dem ersten Teil einer grandiosen Trilogie, für volle Kinosäle. Gleichzeitig entwickelte sich um das Thema des Films eine rege Szene, die online Diskussionen führte über die philosophischen Implikationen der Saga um Neo, der am Tage als Software-Entwickler und des nachts als Hacker sein Leben bestreitet.

Neo wird durch die Kontaktaufnahme der Rebellen um Morpheus plötzlich in die Lage versetzt, sich gegen die Scheinwelt, in der er lebt, zu entscheiden. Das Besondere an dieser Geschichte ist nun erstens, dass die genannte Scheinwelt nicht einfach ein Lügengebäude ist, aus dem kein direkter Weg, sondern nur die Änderung des Lebens herausführt. Die Scheinwelt ist für Neo eine Computersimulation. Alles, was er kennt wird seinem Gehirn nur suggeriert, während der Leib in einer glitschigen Röhre steckt und komplett enthaart (ein simpler aber wirksamer Distanzierungseffekt) als Batterie des Hauptcomputers dienen soll. Die zweite Besonderheit ist, dass Neo das Misstrauen seiner Welt gegenüber bestätigt findet, indem er der absurden Aufforderung, einem weißen Hasen zu folgen, nachkommt.

Mit dieser Film-Trilogie gelang die Popularisierung einer langen, ungebrochenen philosophischen Tradition der Skepsis. Zu diesem Thema hat Markus Gabriel im Junius Verlag den Band „Antike und moderne Skepsis zur Einführung“ veröffentlicht.

Philosophische Skepsis fragt danach, woher und ob wir eigentlich wissen und erkennen können, dass wir in einem bestimmten Augenblick nicht einer Täuschung unterliegen. Das ist komplizierter, als es klingt. Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine möglicher Ausweg liegt darin, dass wir diese Frage überhaupt stellen. Augustinus dachte sich zum Beispiel, dass (was auch immer in Zweifel gezogen würde) der Vorgang des Zweifelns selbst nicht zu bezweifeln sei. Zumindest wäre immer gewiss, dass man gerade Zweifel hat.

Solche Probleme sind, wie man noch sehen wird, für das tägliche Leben von eher indirekter Relevanz. Wir sehen ja, dass die Skepsis bisher keine besonders hemmende Wirkung auf die Zivilisation ausüben konnte. Doch was wird aus dem Eid vor Gericht, was aus den Versicherungen der Statiker, denen wir unser Leben anvertrauen, wenn sich herausstellt, dass diese Aussagen sich auf eine Scheinwelt beziehen? Eigentlich nichts.

So lässt sich jedenfalls der in Gabriels Einführung ausführlich zu Wort kommende Philosoph Hilary Putnam verstehen, der in einem, dem Konzept der Matrix ähnlichen Gedankenexperiment durchspielt, was es hieße, nur als „Gehirn im Tank“ zu existieren. Dann, so Putnam, wären wir eben nur „Gehirne im Tank“. Aber die Brücken und Jurispudenz sind damit nicht verschwunden.

Selten konzis und klar zugleich ist die in der unverzichtbaren Junius-Reihe wissenschaftlicher Einführungen erschienene Darstellung dieses komplexen Gebiets der Philosophie. Geht es doch um nichts Geringeres als die mögliche Vergeblichkeit des ach so großen Denkens. Gabriel konfrontiert seine Leser mit der „Härte der Endlichkeit“, ohne einen Ausweg aus der Skepsis zeigen zu wollen. Dies müsse man ertragen.

Der Bogen ist fast vollständig gespannt von den Vorsokratikern, die zwischen Sein und Schein zu unterscheiden lehrten und damit den Grundstein für die Skepsis legen, bis zu neueren Beiträgen des amerikanischen Neo-Pyrrhonismus um Cavell, Fogelin und Williams. Dazwischen zeigt Gabriel, dass die Geschichte der Skepsis sich vor allem als Geschichte der gedanklichen Wiederkehr erzählen lässt.

Der Beweggrund? „Wie können wir Sein und Schein unterscheiden, ohne dadurch das Sein selbst zum Schein zu machen?“

Mit Parmenides, der dem Heraklitischen Grundbegriff des ständigen Werdens das statische Sein entgegensetzte, war die Idee geboren, es könne nur ein wahres Sein geben. Welche Konsequenzen eine solche Einstellung mit sich bringt, erleben wir, wenn Gesprächspartner mit verschiedenen Meinungen diese Verschiedenheit in simpelsten Dingen wie etwa Vorgehensweisen bei der Zubereitung eines wahren Risottos nicht ertragen wollen.

Die Vorstellung vom einzig Wahrhaftigen ist unvereinbar mit der Tatsache der menschlichen Diversität. Erst mit Platon konnte die Bewegung in den Begriff des Seins integriert werden. Die Ferne zu solchen Problemstellungen und der Beispielmangel, den vor allem anglo-amerikanische Philosophen des letzten Jahrhunderts behoben haben, sorgt dafür, dass dieser Teil des Buches ziemlich schwierig erscheint.

Es lohnt sich allerdings, sich im parmenidischen Schluss-Abschnitt „Das Sein des Seienden ist sein Nichtsein“ einige Stunden zu vertiefen, um gewappnet zu sein für die moderne Skepsis, die nach der Diskussion des Außenweltproblems von Sextus Empiricus folgt. Dieser hatte die Frage, ob es jenseits privater Eindrücke eine Welt gebe, die wir nicht, kaum oder doch erkennen, umschifft. Wenn nämlich, so der radikale Skeptiker, die Außenwelt nicht erfassbar ist, dann wird es nicht möglich sein, etwas über ihre Existenz zu sagen.

So zurückhaltend und wissenschaftliche korrekt sich der Verfasser auch gibt, am Ende platziert er doch noch die starke These, „dass wir durch die Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Skepsis zu einem besseren Verständnis der Frage gelangen, was es heißt, mit anderen in der Welt zu sein“. Die Skepsis vermag es demnach nicht, unser Denken völlig ad absurdum zu führen. Vielmehr richte sich der skeptische Impuls heute gegen Dogmatismus, also unvertretbar immunisierte Positionen. Das Schlusswort: „Auf diese Weise lässt sich Philosophie auch als Kritik verstehen. (…) Diese Prüfung muss sie wohl zuallererst an sich selbst vollziehen.“

Von Kay Ziegenbalg

Literaturangabe:

GABRIEL, MARKUS: Antike und moderne Skepsis zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2008. 164 S., 13,90 €.

Weblink:

Junius Verlag


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