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„Weltstar des Romans“

Die Biografie „Jakob Wassermann“ von Thomas Kraft

© Die Berliner Literaturkritik, 08.01.09

 

MÜNCHEN (BLK) – Die Biografie „Jakob Wassermann“ von Thomas Kraft ist im Dezember 2008 beim Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen.

Klappentext: Der Meister der psychologisch-realistischen Darstellung. Jakob Wassermann (1873-1934), Sohn eines jüdischen Spielwarenfabrikanten aus Fürth, war einer der meistgelesenen Autoren in der Weimarer Republik. Viele seiner Romane wurden zu internationalen Bestsellern, wie „Caspar Hauser“ oder „Der Fall Maurizius“. Henry Miller schrieb über „Der Fall Maurizius“, er habe es so oft und so erschüttert gelesen wie kein anderes Buch. Thomas Kraft beschreibt Leben und Werk dieses „Weltstars des Romans“ und bezieht dabei den Zeitkontext, die politischen, aber auch die literarischen Umbrüche, genauso mit ein wie prägende persönliche Aspekte, so zum Beispiel Wassermanns Wurzeln im Fränkischen, seine problematische Ehe und den allgegenwärtigen Antisemitismus. Thomas Kraft legt hier die erste klassische Biografie Wassermanns vor.

Thomas Kraft, geboren 1959 in Bamberg, promovierter Germanist, war Programmleiter des Literaturhauses München. Heute lebt er als Autor, Literaturkritiker und Organisator literarischer Veranstaltungen in Herrsching am Ammersee. Veröffentlichungen zu Robert Musil, Edgar Hilsenrath, Oskar Maria Graf, Michael Ende und zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Er ist u. a. Herausgeber des „Lexikons der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ (2003) und der „Beat Stories“ (2008). (mir)

Leseprobe:

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stadt der tausend schlöte –

die kindheit in fürth

Als „Stadt der tausend Schlöte“ ist Fürth in die Geschichtsbücher eingegangen. Im Zuge der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in der mittelfränkischen Stadt eine Blattmetall- und Bronzefarbenproduktion von überregionaler Bedeutung. Hinzu kamen die Bleistiftfabrik Berolzheimer & Illfelder, die Maschinenfabrik Engelhardt, die Buntpapierfabrik Stern, die Zwirnerei Bernstein, die Spiegelfabrikation Wiederer sowie einige jüdische Handelshäuser und fünf Brauereien. Während dieser Zeit expandierte die Stadt; so lebten 1850 16.000 Menschen in Fürth, 1875 bereits 27.000 und 1900 wuchs die Bevölkerung auf 54.000 eingetragene Bürger an.

Die neuen Siedlungen von Fürth, im Mündungswinkel von Pegnitz und Rednitz gelegen, schoben sich Richtung Osten und Südosten. Während die Altstadt dadurch mehr an den Rand rückte und mit ihrer altfränkischen Architektur wie ein Relikt aus dem 17. Jahrhundert anmutete, entstand im Zuge dieser städtischen Erweiterung im Südwesten ein gleichsam rasterförmig angelegtes Neubauviertel im spätklassizistischen bzw. gründerzeitlichen Stil. Die auf den ersten Blick repräsentativ wirkenden, mehrstöckigen Sandsteinhäuser dürfen nicht über die enge Bebauung dieses Gebietes und auch nicht über die sehr kompakte Innenaufteilung der Mietshäuser hinwegtäuschen. Hier siedelten sich (klein-)bürgerliche Familien, Arbeiter und Handwerker an. Typisch für dieses Quartier war auch die effiziente Nutzung von Wohn- und Arbeitsraum: In fast jedem Erdgeschoss befanden sich Ladengeschäfte und Lokale, und in den Hinterhöfen nutzten Manufakturen und Kleingewerbler jeden verfügbaren Quadratmeter. Die Schwabacher Straße fungierte zu jener Zeit als soziale Barriere. Während die neu angekommenen, meist sozial schwachen Familien sich westlich von ihr in die engen Mietwohnungen pferchten, residierte weiter östlich das Fürther Großbürgertum in seinen Stadtpalästen und Villen. Fürth war damals eine aufstrebende Gewerbe- und Handelsstadt, die mit der 1835 eröffneten ersten deutschen Bahnverbindung nach Nürnberg und der 1865 in Betrieb genommenen Bahnlinie nach Würzburg direkt an den überregionalen Bahnverkehr angeschlossen war.

Fürth zählte auch zu den ältesten jüdischen Gemeinden in Deutschland. Bereits im 15. Jahrhundert sind jüdische Einwohner in Fürth nachzuweisen. Der zu Ansbach gehörende Ort erlaubte in der Folge immer wieder jüdischen Familien, sich hier anzusiedeln. Damit erhöhte man die Zahl der Untertanen und füllte den herrschaftlichen Säckel, denn die neuen Bürger mussten pro Familie eine relativ hohe Summe als Schutzgebühr entrichten. Die weitgehend liberale Politik der Schutzherren, der Ansbacher Markgrafen und der Bamberger Dompröbste, sowie die Nähe zur wichtigen Handelsstadt Nürnberg förderten den Zuzug weiterer jüdischer Familien. Ein eigener Friedhof, eine Talmudhochschule und eine Synagoge, 1617 am Gänsberg erbaut, wurden von der wohlhabenden und weitgehend orthodoxen Gemeinde errichtet, die damals aus mehr als dreihundert Familien bestand.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde Fürth dann fast völlig zerstört. Aber mithilfe von vermögenden, von Kaiser Leopold I. aus Wien vertriebenen Juden, Protestanten und Hugenotten wurde die Stadt wieder aufgebaut. Der Friedhof konnte erweitert, ein Krankenhaus und ein Waisenhaus eingeweiht und mehrere gemeindliche Einrichtungen an der heutigen König- bzw. Mohrenstraße ihrer Bestimmung übergeben werden. Es entstand eine der größten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum mit fast dreitausend Mitgliedern. Neben Berlin, Frankfurt und Altona zählte Fürth mit seinen zeitweise über dreihundert Talmudstudenten zu den Hochburgen jüdischer Orthodoxie.

1792 wurde Fürth preußisch und erhielt eine neue, moderne Verwaltung. Die folgende baldige Abtretung an das Königreich Bayern, 1806, bedeutete vor allem für die jüdischen Einwohner einen gewaltigen Rückschritt, denn die gesetzliche Behandlung von Juden in Bayern beschränkte deren Rechte enorm. Mit dem Axiom, dass Juden dem Staat schadeten, wurde 1813 der sogenannte Matrikelparagraph verabschiedet: „Voraussetzung für die Gewährung des Indigenats war die Eintragung in die neu anzulegende Matrikel der jüdischen Einwohner. Als Unterlagen mußten Schutzbriefe, Konzessionen und Aufenthaltsbewilligungen urschriftlich vorgelegt, feste Familiennamen angenommen und der Untertaneneid abgelegt werden.“ Sinn und Zweck der Matrikel war es, die Zahl der Juden in Bayern möglichst zu verringern. Für Fürth wurden 536 Familien festgelegt. Das öffentliche Leben wurde zunehmend von den Behörden reglementiert, was vor allem für die jüdischen Familien eine erhebliche Einschränkung ihrer Freiheit bedeutete. So konnte das Wohnrecht nur vom Vater auf den erstgeborenen Sohn übertragen oder durch den kostspieligen Erwerb einer Matrikelnummer gesichert werden. Erst 1868 erreichten die Juden in Bayern mit der Aufhebung der Sondergesetze über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt die bürgerliche und politische Gleichstellung vor dem Gesetz. „In den Jahren vor dem Aufkommen des eigentlichen Antisemitismus schien die deutsche Judenheit den Kampf um politische und bürgerliche Rechte hinter sich zu haben.“

Mittlerweile hatte sich Fürth das Stadtrecht gesichert und eine kommunale Selbstverwaltung aufgebaut. Neue Schulen und Sparkassen waren entstanden, 1851 wurde das erste Rathaus eingeweiht und mit der Abschaffung des Judenedikts 1868 engagierten sich jüdische Bürger auch in der politischen Führung der Stadt. David Morgenstern begründete den „Volksverein“ und wurde als erster jüdischer Abgeordneter in den Bayerischen Landtag gewählt. Auch wenn bis 1855 11.000 vorwiegend aus Mittel- und Unterfranken stammende Juden ausgewandert waren – einer der berühmtesten, Löb Strauss, verließ 1847 Buttenheim und sollte als Levi Strauss mit der Erfindung der Jeans die Welt revolutionieren –, nahm die jüdische Bevölkerung weiter zu. Fürth war die größte jüdische Gemeinde in Süddeutschland und die sechstgrößte in Deutschland; auch die Vorfahren Lion Feuchtwangers stammten aus Fürth. Mit dem Reformrabbiner Isaac Loewi, der die Gemeinde über vierzig Jahre lang führte, öffneten sich die streng Konservativen, knüpften Kontakte zu den christlichen Kirchen und nahmen stärker Einfluss auf das städtische Leben.

Nur fünf Jahre nach der bürgerlichen Emanzipation der bayerischen Juden wurde Karl Jakob Wassermann am 10. März 1873 in Fürth geboren. Sein Vater Adolf Wassermann (1844–1901) stammte aus dem kleinen Nachbarort Zirndorf, wo auch die Großeltern Max und Rosette, geborene Krailsheimer, lebten. Der aus Roth am Sand gebürtige Max Wassermann war Seilhersteller und führte später eine Lebensmittelhandlung in Zirndorf. Die Vorfahren der Mutter Henriette (1850–1882), geborene Traub, lebten schon über viele Generationen hinweg in Mainfranken. Die Familie kam aus Sommerhausen, Henriettes Vater war Webermeister, allerdings durch die fortschreitende Mechanisierung der Textilindustrie arbeitslos geworden.

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Literaturangaben:
KRAFT, THOMAS: Jakob Wassermann. Biografie. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 260 S. mit Abb., 14,90 €.

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