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„Die Ernährungsdiktatur“

Weltverbesserung geht durch den Magen

© Die Berliner Literaturkritik, 14.07.10
Tanja Busse © Bettina Fürst-Fastré

Tanja Busse © Bettina Fürst-Fastré

Von Thomas Hajduk

Fett, Zucker, Salz. Damit ist das Unternehmen groß geworden – und seine Kunden dick, mitunter fettleibig. Weil das aber politisch immer weniger toleriert wird, verkündet der Vorstand einen Kurswechsel. Der Salzgehalt einiger Produkte soll reduziert werden, ebenso der Zuckergehalt und der Anteil gesättigter Fette. Ab 2012 soll die Limonade des Konzerns aus allen Schulen entfernt werden. Zusätzlich soll das Portfolio um gesunde Produkte erweitert werden.

Das sind die Pläne des amerikanischen Konzerns PepsiCo. Das Unternehmen fürchtet, dass es ihm einst ergehen werde wie der verpönten Tabakindustrie. Schon jetzt sind zwei von drei Amerikanern zu dick. Jeder vierte ist sogar fettleibig. Einzelne Bundesstaaten reagieren und schreiben wie Kalifornien Kalorienangaben in Restaurants vor oder möchten dort die Salzstreuer verbannen (New York). Aus Sicht von PepsiCo ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Industrie zur Kasse gebeten wird für die immensen Gesundheitskosten, die ihre gewichtige Klientel verursacht.

Das ist kein Beispiel aus Tanja Busses neuem Buch „Die Ernährungsdiktatur“. Für solche Perspektiven ist kein Platz in ihrer Anklageschrift gegen das, „was uns die Industrie auftischt“. Als Advokatin der besseren, der ethischen Konsumenten knöpft sie sich darin Unternehmen und Politiker vor, die für den täglichen Etikettenschwindel im Supermarkt verantwortlich sind. Mehr noch führt sie dem Leser die globalen Zusammenhänge ihrer Ernährung vor Augen. Sie streift unter anderem Brüsseler Subventionen, gefrorene Hühnerköpfe in Kamerun und argentinischen Gen-Mais, um schließlich bei den großen Themen anzukommen: Welthunger, Entwicklung und Klimawandel. Das ist viel Stoff für 300 Seiten Buch und zu viel, um daraus mehr als ein gut gemeintes Plädoyer für die Verantwortung von Verbrauchern zu machen.

Doch der Reihe nach. 2006 propagierte Busse in ihrem Buch „Einkaufsrevolution“ die Macht des politischen Konsums. Unter diesem versteht sie die „Ausweitung der Politik auf den Markt in einer Zeit der Ausweitung der Märkte“. Mit anderen Worten: Verbraucher können durch ihre Nachfrage das Angebot ändern. Aus Busses Sicht können Konsumenten dies nicht nur, sondern haben geradezu eine moralische Pflicht dazu, da die globalisierten Märkte eine Flut ethisch und ökologisch nicht vertretbarer Produkte und Dienstleistungen hervorbringen.

In der „Ernährungsdiktatur“ nimmt die Autorin nun die Lebensmittelindustrie aufs Korn. Die Vielzahl der angebotenen Lebensmittel sei bloß eine Täuschung, denn es herrsche das „Prinzip Schokoriegel“: teures Marketing, billige Zutaten. Imitierter Käse, luftige, aber geschmackfreie Brötchen, rote Grütze, die keine Früchte enthält – die Liste der minderwertigen Lebensmittel ist lang. Immer sind billige Fette und andere Zutaten die Grundlage und werden mit Aromen und schicker Werbung aufgewertet. Busse schreibt E-Mails an Produzenten und Unternehmer und deckt so auf amüsante Weise die legalen Verschleierungstaktiken im Lebensmittelbereich auf.

Die Werbelügen sind jedoch nicht das Hauptproblem. Es ist vielmehr die Wirkung der industriell gefertigten Lebensmittel, die Busse umtreibt. Obwohl sie einräumt, dass bei der Dickleibigkeit mehrere Faktoren eine Rolle spielen, hält sie falsche Ernährung mit den zu fetten, zu salzigen und zu zuckrigen Produkten der Unternehmen für die Hauptursache. An dieser Stelle zu Beginn des Buches zeigt sich erstmals eine Argumentationsfigur, die Busse zu Eigen ist: die Vereinfachung und Konstruktion vermeintlich eindeutiger Ursache-Wirkungs-Mechanismen. Ernährung, gute oder schlechte, hat zweifelsohne eine Auswirkung auf unser Gewicht. Das haben aber auch genetische Vorbedingungen, Sozialisation, Beruf, Freizeitverhalten, der Lebenswandel ganz allgemein. Ja, gibt es, räumt die Autorin an einer Stelle ein, dann jedoch folgt das „aber“ und eine eindeutige Kausal- und Schuldzuweisung für das Problem.

Und das heißt dann sehr oft: die Industrie. Busse geht den irrsinnigen Agrar- und Handelssubventionen der EU nach. Sie ermittelt bei Ausfuhrbehörden und findet heraus, dass nicht kleine Bauern, die es verdient hätten, sondern große Agrarunternehmen von den staatlichen Hilfen profitieren. Dieweil prangert sie zu recht das hohle Pathos an, mit dem westliche Politiker weltweit den Freihandel anpreisen, um ihn in der Praxis auszuhebeln. Mit ihren billigen Exportwaren überfluten sie ausländische Märkte und zerstören so die Preise für einheimische Bauern.

Die Leidtragenden sind hier die über eine Milliarde hungernden Menschen in armen Ländern, vor allem in Afrika. Neben den zu Dicken und Fehlernährten sieht Busse in ihnen die zweiten Opfer der Nahrungsindustrie. In dieser absurden Koexistenz von Völlerei und Hungertod erblickt sie den größten moralischen Skandal unserer Zeit.

Die vorhandenen Lösungsansätze verwirft Busse in Bausch und Bogen. Politik? Die hat das Problem mit ihrer Doppelzüngigkeit mit verursacht. Internationale Abkommen und Verhandlungen? Von den Vereinten Nationen sei keine schnelle und effektive Lösung zu erwarten. Die Autorin nennt das Schneckentempo, mit dem internationale Großverhandlungen sich hinziehen, und die Gleichgültigkeit, mit der viele Staaten internationalen Normen begegnen – das Recht auf Nahrung wird über eine Milliarde Mal mit Füßen getreten. Dennoch kommt sie nicht umhin, ein internationales Abkommen mit Modellcharakter zu loben: das Montrealer Protokoll von 1987, welches weltweit die Produktion und den Einsatz von FCKW radikal reduzierte.

Die Industrie als Hauptverursacher der Misere schneidet am schlechtesten ab. Die neuere Entwicklung, dass Unternehmen sich zögerlich ihrer Verantwortung jenseits des Profits annehmen, übergeht Busse völlig. Alles was zu diesem Thema zu hören ist, ist der simple Vorwurf „Marketing“. Hier ist die titelgebende „Ernährungsdiktatur“ Programm und das Freund-Feind-Schema messerscharf. Das ist erstaunlich, arbeiten doch heutzutage Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, für deren Magazin Busse schreibt, mit Unternehmen zusammen. Das führt nicht automatisch zu guten Ergebnissen und kann den Anspruch auf Glaubwürdigkeit der Nichtregierungsorganisationen gefährden. Die „Wir-gegen-die“-Mentalität ist indes angesichts der globalen Probleme nicht weniger problematisch.

Genau diese aber bedient Busse in ihrem Buch. Nach vielen Seiten der Kritik und Schuldzuweisung kommt sie schließlich zu ihren Lösungsansätzen, die wenig überraschend bei den Konsumenten, bei „uns“, liegen. Wider Erwarten ist das aber der schwächste Teil des Buches.

Sehr persönlich – man kann auch sagen: subjektiv – berichtet die Autorin von ihrer Kindheit im Dorf und breitet genüsslich die Vorzüge des heimischen Anbaus aus. Natürlich ist alles „bio“ und regional. Der Kleinbauer ist der Held dieses Idylls und wird Märtyrer, wo er für die Zerstörung von Feldern mit genmanipulierter Saat ins Gefängnis wandert. Beispiele aus alternativen Stadtteilen in Hamburg und Berlin sollen belegen, dass diese Art zu leben und zu konsumieren allen offen steht. Als handele es sich nicht um eine Wahloption für die Privilegierten in den Industrieländern und selbst dort noch für eine Genusselite, die auch im Kulinarischen den Unterschied zwischen Massenware und Maßanfertigung kennt und wertschätzt. Die „Einkaufsrevolution“ zählt nicht umsonst zu einer Bibel der Edelkonsumenten Marke Lohas und Utopia.

Trotz der manchmal naiv anmutenden Vorstellungen ist die „Ernährungsdiktatur“ das engagierte Buch einer Aktivistin und in diesem Licht lesenswert. Wer sich allerdings mehr als unterhaltsame Reportagen über die Auswüchse des globalen Ernährungssystems erhofft, wird enttäuscht werden. Die komplexen Strukturen der Globalisierung werden hier in einfache Schuldzuweisungen übersetzt. So ähnelt die Lektüre dann dem kritisierten Fastfood: schnell und unkompliziert, aber nicht das Wahre.

Literaturangabe:

BUSSE, TANJA: Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Blessing Verlag, München 2010. 336 S., 16,95.

Weblink:

Blessing Verlag


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