Von Thomas Strünkelnberg
BERLIN (BLK) – Angenommen, Bücher und das Lesen beeinflussten uns viel stärker als wir vermuten – könnten blutige Thriller dann wahr werden? Mit Lesewirklichkeiten und der Bedeutung von Lektüre für die Leser und die „Gelesenen“ spielt Giwi Margwelaschwili in seinem Roman „Officer Pembry“. Darin lässt er einen der blutigsten Kriminalromane, nämlich „Das Schweigen der Lämmer“ von Thomas Harris, Wirklichkeit werden. Was das bedeutet? Die fiktive Geschichte des Thrillers wiederholt sich in der Realität, echte Menschen müssen sterben. Das Buch als eigene Lebenswelt – Margwelaschwili ist ein faszinierender Roman gelungen.
Es ist schon abenteuerlich, was der seltsame Beamte Meinleser (!) dem schockierten Officer Pembry eröffnet: Seine Zukunft soll in einen 100 Jahre alten Thriller eingeschrieben sein, dessen Handlung sich in Kürze wiederholt. Mit dem Ergebnis, dass Pembry einem gewissen Kannibalen namens Hannibal Lecter zum Opfer fallen wird. Kein Wunder, dass Pembry – der reale Pembry – alles andere als amüsiert ist, denn tatsächlich ist er ein zur Bewachung Lecters abgestellter Polizist.
Pembry wird zum Fall für die PKP, die prospektive Kriminalpolizei Meinlesers, die noch nicht begangene Verbrechen verhindern will. Das macht ganz neue Worte nötig, von „lese-lebensgefährlich“, „krimibibliologischer Parallelität“ und „Buchpersonifizierten“ ist die Rede – und den Buchpersonifizierten Pembry verlässt mehr und mehr der Mut. Das wiederum bereitet dem fiktiven Pembry, dessen Geschichte in der letzten Zeit oft gelesen wird, was ihm zu Aktivität verhilft, Sorgen. Er nimmt daher Kontakt zu Meinleser auf und überlegt mit diesem gemeinsam, wie man dem „Esel“ Pembry auf die Sprünge helfen könnte.
Um den Anschlag Lecters zu verhindern, soll der reale Pembry im entscheidenden Moment die Szene lesen, die ihn, die Nebenfigur des Thrillers, das Leben kostet. Wie sein Tod zu verhindern ist? „Indem Sie in diesem kritischen Moment einfach nicht weiterlesen“, rät ihm Meinleser. Doch der fiktive Pembry hat noch ganz andere Vorschläge.
Das alles ist abwegig und gerade deshalb wirklich unterhaltsam. Der 80 Jahre alte deutsch-georgische Autor Margwelaschwili befasst sich mit der Bedeutung niedergeschriebener Geschichten, der „Lese-Lebenswelt“, und das auf teils philosophische, teils charmant-witzige Weise. Das Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit steht im Mittelpunkt der zwar dialoglastigen, aber herrlich augenzwinkernden Hommage an die Macht der Bücher. Dazu passen die immer wieder elegant-verdrehte Sprache und die köstliche Ironie des Autors.
Neben dem absolut überraschenden Ende ist der Auftritt des fiktiven, aber dennoch irgendwie lebendigen Pembry der Clou des Romans. Dem Leser stellt sich die Frage, wer eigentlich wen liest.
Margwelaschwilis eigenes Leben bietet selber genug Stoff für ein Buch oder einen Film: Er wurde 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren. Seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Sein Vater lehrte Philosophie und Orientalistik. 1946 wurde er zusammen mit seinem Sohn Giwi vom sowjetischen Geheimdienst entführt. Der Vater wurde ermordet, Margwelaschwili in Sachsenhausen interniert, anschließend nach Georgien verschleppt. Erst 1987 konnte er nach Deutschland ausreisen. Mit dabei hatte er in der Emigration auf Deutsch geschriebene Romane und Erzählungen. 1994 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und ein Ehrenstipendium des Bundespräsidenten. Heute lebt Margwelaschwili in Berlin.
Literaturangaben:
MARGWELASCHWILI, GIWI: Officer Pembry. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2007. 198 S., 19,90 €.
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