Von Jennifer Riehn
Wer über den Tod schreibt, verliert sich leicht in Floskeln und in Phrasen. Nicht so die österreichische Autorin Anna Mitgutsch. In ihrem neuen Roman „Wenn du wiederkommst“ trifft sie einen angenehm authentischen Ton. Souverän und eindringlich nähert sie sich dem großen und schweren Thema an.
Der Roman beginnt mit der Aussicht auf einen Erfolg versprechenden Neuanfang. Nach 35 Jahren endlich, scheint eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen möglich, die ihren eigenen hohen Ansprüchen gerecht werden könnte. „Vernünftig lieben wollten sie, mit Respekt und Maß, leidenschaftlich und doch voller Achtung für die Freiheit des anderen.“ Ein anspruchsvolles Versprechen, das einzulösen, die Erzählerin in Anna Mitgutschs Roman und Jerome, ein ganzes Leben gebraucht haben. Unterschiedliche Sehnsüchte, Passionen und Vorstellungen vom Leben haben viel Trennendes zwischen die beiden Hauptdarsteller gebracht. Fünfzehn Jahre waren sie deshalb getrennt: „Wir hatten nur ein Leben, es war zu kurz für alles, was wir von ihm erwarteten. Also mussten wir auseinanderrücken, damit das, was wir brauchten, darin Platz fand“. Die Protagonistin verlässt das gemeinsame Haus in Boston, den Ehemann und die gemeinsame Tochter Ilana. Nun sind fünfzehn Jahre der Trennung vergangen, ohne das sich die Erzählerin und Jerome aus den Augen verloren haben, zu eng war schon immer ihre Bindung und ihre Liebe zueinander. Lange hat es gebraucht, um einander zu verstehen. Schließlich stehen die beiden wieder am Anfang und sehen sich einer Liebe in neuer Gestalt gegenüber. Zueinander zurückgekehrt mit dem „Blick auf ein Versprechen für ein Leben wie es von Anfang an hätte sein können“. Aber es bleibt keine Zeit mehr – Jerome stirbt plötzlich.
Was nun folgt, ist ein, den Roman umfassendes Trauerjahr. In diesem Zeitraum spielt sich die ganze Schwere des Verlustes ab. Was passiert, wenn ein geliebter Mensch von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist? Wenn eine Zukunft plötzlich nicht mehr lebbar ist und eine Vergangenheit mit der Zeit droht zu verblassen?
Eindringlich und bewegend sind die Erinnerungen und Fragen der Protagonistin. Der überwältigende Schock und das Nicht-Wahrhabenwollen stehen am Anfang. Mit der Zeit finden Leere und Schmerz ihren Weg in die Seele der Ich-Erzählerin. Die Ohnmacht über den Verlust wirft sie aus dem Leben und beherrscht ihre Wahrnehmung und ihr Denken. Die Protagonistin zieht sich von der Außenwelt zurück. Die Trauerwoche mit Jeromes Verwandten kann der Erzählerin keinen Halt geben. Im Gegenteil: als geschiedene Frau von Jerome findet sie in den Reihen der Familie keine Akzeptanz als rechtmäßige Witwe. Auch erkennt sie in den Erzählungen und Erinnerungen der anderen Jerome nicht wieder. Ihre einzige Verbündete ist ihre Tochter Ilana. Sie stellt sich dieselben Fragen und hegt dieselben Hoffnungen über den Tod ihres Vaters wie ihre Mutter. In ihren Gedanken spielen beide die letzten Momente des geliebten Ehemannes und Vaters durch und versuchen so sich ihm ein letztes Mal nahe zu fühlen.
Nach der Ohnmacht bleiben der Schmerz über den Verlust und Hoffnungslosigkeit. Die Protagonistin sieht sich mit „[ihrer] von der Zukunft abgeschnittenen Vergangenheit“ konfrontiert und lässt das, was war, was ihr Leben mit Jerome ausgemacht hat, Revue passieren. Sie rekonstruiert die „Jahrzehnte von Liebe und Enttäuschung, von Missverständnissen und Lüge, Hass und Wut und den unaufhörlichen Versuchen anzuknüpfen und aneinander festzuhalten.“
Dann langsam findet die Ich-Erzählerin zu sich zurück und beginnt, sich neu zu orientieren. Sie räumt gleichermaßen das übrig gebliebene Haus in Bosten und ihre Vergangenheit auf. Sie entschließt sich dazu, nicht in Amerika zu bleiben, sondern zurück nach Europa zu gehen. Alles in dem Wissen mit dem Kontinent und dem vergangenen Leben mit Jerome stets untrennbar verbunden zu bleiben. Was lange Zeit nicht so scheint: am Ende kann die Protagonistin ihren Frieden machen mit den ungeklärten Fragen und ihren Zweifeln an der abrupt geendeten Liebe. Wer weiß, ob die Liebe der beiden diesmal bestand gehabt hätte oder ob sie die „Zuneigung und Zärtlichkeit im Alltag nicht schnell wieder aufgebraucht hätten“. Angesichts solcher Zeilen kommt man nicht umhin, es gerne zu glauben: „Ich würde ihm, auch mit dem Wissen von heute, mein Leben ein zweites Mal anvertrauen, er hat es geformt, so wie ich das seine beeinflusst habe, wir haben einander die Identität gegeben, die zu unserer eigenen geworden ist. Wer wäre ich geworden ohne ihn?“
Anna Mitgutsch schreibt emotional und trifft den Leser tief in seinen innersten Gefühlen. Indem sie über den Tod schreibt, thematisiert sie das Ende eines Lebens, ebenso aber auch einen Neuanfang. Unausweichlich hört man dabei ihre große Fürsprache für das Leben heraus.
Literaturangabe:
MITGUTSCH, ANNA: Wenn du wiederkommst. Luchterhand Literaturverlag, München 2010. 272 S., 19,95 €.
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