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Wer rettet Italien?

Paul Ginsborg über die mögliche Rettung des verrotteten Apparates

© Die Berliner Literaturkritik, 11.05.11

GINSBORG, PAUL: Italien retten, Wagenbach Verlag, Berlin 2011, 143 S., broschiert, 10,90 €.

Von Roland H. Wiegenstein

Über die unsäglichen erotischen Abenteuer des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi zerreißt sich nicht nur die yellow press das Maul – hierzulande gilt der alte Schwerenöter  mit der Satyriasis nur noch als Witzfigur. Dabei wird übersehen, wie sehr dieser reichste und mächtigste Mann Italiens das Land, das er regiert, in den letzten anderthalb Jahrzehnten verändert hat: zum Schlechteren. Nicht nur, dass Männer im mittleren Alter in ihm eine Art Vorbild sehen, dem man am liebsten im Bett nacheiferte, und viele Frauen – vom Fernsehen als ihrer einzigen Informationsquelle verführt – ihn anhimmeln (nicht alle: zu Hunderttausenden sind sie auf die Straße gegangen, um gegen seine „Freizügigkeit“ zu protestieren); er hat die italienische Verfassung durch Dutzende von Gesetzen zu seinen persönlichen Gunsten verändert, er versucht, das Justizsystem auszuhebeln, betrachtet jeden Gegner einfach als „Kommunisten“, derweil die oppositionelle Linke, in sich tief zerstritten, keine Möglichkeit findet, ihm auch nur das Minimum eines konkreten politischen Programms entgegenzustellen.   

So hat der englische Historiker und Soziologe Paul Ginsborg, der in Florenz lehrt und 2009 sogar italienischer Staatsbürger geworden ist, völlig recht, sein Büchlein „Italien retten“ mit der Frage zu eröffnen: „Lohnt es sich, Italien zu retten?“ Es lohnt sich allemal, wenn die italienische Politik und Bevölkerung zurückkehren zu dem, was das „Risorgimento“ im 19.Jahrhundert einst zuwege gebracht hat: die Einigung des in viele Staaten, Regionen, Städte gespaltenen Landes. So wie es der Historiker de Sismondi zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrieb: Die Italiener hatten keine eigene Geschichte mehr, denn „Ihre unglückliche Geschichte ist nichts anderes als eine Episode in der Geschichte anderer Staaten.“

Diese unglückliche Geschichte lebt fort in den immer wieder auftretenden Sezessionsbewegungen, etwa Siziliens oder der „Lega Nord“, die von einem unabhängigen „Padanien“ träumt, einem Kunstgebilde zu beiden Seiten des Flusses Po unter dem Lega-Chef Umberto Bossi. Der ist Teil der Regierung und Berlusconis einflussreichster Alliierter.

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Ginsborg weist darauf hin, dass selbst diese Einigung nicht so demokratisch vor sich ging, wie es die Bücher wollen: „Zum Unglück für den Verlauf des Risorgimento als Ganzes ging aus dem Mailänder Volksaufstand vom März 1848 unter republikanischer Führung, der unter den europäischen Revolutionen dieser Jahre wirklich einzigartig war, keine vergleichbare republikanische Selbstverwaltung hervor.“ Mailand war damals (wie die ganze Lombardei) unter österreichischer Besetzung. Die Einigung wurde später erkämpft – von den Freischärlern unter Garibaldi und durch die Kabinettskunststücke Cavours, der den nicht eben grandiosen Fürsten von Savoyen die Königskrone sicherte. Aus den Schriften (und Taten) von damals zieht Ginsborg den richtigen Schluss: „In den heutigen Welt möchte ich ein Modell vorstellen, das auf vier Elementen basiert, Selbstverwaltung, verstanden als Prozess der Selbsterziehung; eine Haltung zu Europa, die nicht passiv sondern konstruktiv ist; Gleichheit, verstanden nicht als Abschaffung des Privateigentums, oder als Auslöschung von jeglichem Individualismus, sondern als solides Fundament für den Aufbau einer besseren, harmonischeren Gesellschaft; und schließlich mitezza (Sanftmut) gepaart mit fermezza (Festigkeit) – eine Kombination  ‚schwacher’ und ‚starker’ Tugenden als dem neuen Fundament der Politik.“

Angesichts des unheilvollen Gemischs sich immer weiter ausbreitender Korruption, eines ungebremsten Kapitalismus, einer sich wirklich als „Opium des Volkes“ manifestierenden Fernseh-Dominanz, einer Hahnenkämpfen ähnlich sehenden Parteienherrschaft und des immer noch wichtigen, ja entscheidenden Einflusses der Katholischen Kirche, vertreten durch den Vatikan, wirken Ginsborgs Rezepte geradezu harmlos. Sie mögen es sein und die nachdrückliche Berufung auf das Risorgimento und seine Helden, etwa Carlo Cattaneo, der einen großen Teil seines Lebens im Tessiner Exil verbringen musste, hat etwas verzweifelt Ohnmächtiges. Ginsborg weiß genau, was in dem Land geschieht, das er liebt und er weiß auch, dass es seine Leser wissen. Aber wenn er überlegt, was dem Unheil eines diktatorischen Regimes (dessen Protagonist Berlusconi ist), entgegenzusetzen wäre, hat er keine andere Lösung, als den Aufstand der Zivilgesellschaft, den Protest der Marginalisierten, des „Prekariats“, das sich auf den Straßen in Demonstrationen äußert, des „popolo viola“, das mit lila Fahnen in Rom oder Mailand „Nein“ sagt zu dem ganzen verrotteten Apparat. Das mag uns blauäugig erscheinen, aber das haben wir auch gesagt, ehe in Tunesien und Ägypten die Massen rebellierten.

  In einem hat der Autor wahrscheinlich wirklich recht: Es gibt keinen Ausweg mit dem jetzigen „establishment“ – selbst wenn Berlusconi doch noch von der Justiz verurteilt werden sollte, was unwahrscheinlich ist. Ginsborgs Buch ist voller Wohlwollen und einsichtiger Überlegungen, es versucht, aus der Geschichte des modernen Italiens als eines Nationalstaats die richtigen Schlüsse zu ziehen und Hoffnung zu machen: Es fällt ihm schwer.

Weblink: Wagenbach Verlag


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