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Umstrittener Pictor universalis

Katalog zur Retrospektive in Leipzig und Berlin

Von: KLAUS HAMMER - © Die Berliner Literaturkritik, 05.11.09

Noch bis in die 1980er Jahre galten im Westen seine allegorisch-literarischen Mehrfigurenbilder als synonym für die Kunst in der damaligen DDR. Was dem Leipziger Maler Werner Tübke eigen war – zeichnerische Exaktheit, eine mit altmeisterlicher Technik vorgetragene Formprägnanz, plastisch-räumliche Bildorganisation, frappierende Bilderfindungen, erzählerischer Detailreichtum, Verschlüsselung des Bildgehaltes -, das gehörte auch zu den Kriterien der Leipziger Malerei, die in den 1960er Jahren ins Gespräch kam.

Die Leipziger Künstler haben nicht nur Erwartungen bedient, sondern sie haben sie ironisch aufgenommen und unterlaufen. Mit den „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ gab Tübke nicht nur eine Abrechnung mit einem davongekommenen Nazi und Schreibtischtäter, sondern übte auch versteckte Kritik an den Machtverhältnissen in der DDR. Es hat lange gedauert, bis die Parteifunktionäre die Metaphernsprache Tübkes, das malerische Zitieren aus der Distanz einer ironischen Brechung, zu tolerieren begannen. Noch 1967 wurde Tübkes Malerei auf dem 7. Parteitag der SED als „Therapie der Abschreckung“ mit dem Bannfluch belegt. Als dann Honecker 1971 an die Macht kam und von „Weite und Vielfalt“ und einer umfassenden „Erberezeption“ die Rede war, passten Tübkes und Heisigs Historienbilder und Mattheuers Symbolbilder ins Konzept, sie waren ein Beitrag zur Formung eines sozialistischen Homo universale, für die Tübke aber weniger reale Personen als vielmehr stilisierte Symbolfiguren Porträt standen.

Der Erfolg im Westen, der mit einer italienischen Wanderausstellung der Galleria del Levante 1971 einsetzte, brachte Tübke Reisen nach Italien und in die Mittelmeerländer. „In der Villa Borghese ging ich einmal auf ‚Die Marter der 10 000’ von Pontormo zu und glaubte für einen Augenblick, dass da ein Bild von mir hinge.“ Tübke fühlte sich als Zeitgenosse von Bosch, Tintoretto, Veronese, El Greco; die Moderne interessierte ihn nicht sonderlich. Der Künstler tauchte gleichsam in die Geschichte und Kunstgeschichte ein, verwob sie in zahllosen Fäden mit der Gegenwart, vereinigte in seinen Bildern eigene Anschauung mit Phantastischem und Zitaten aus Kunstwerken vergangener Epochen zu neuen Bildeinheiten und bezog dabei nach Belieben die künstlerischen Ausdrucksweisen der Renaissance, des italienischen Manierismus, des Rokoko, des 19. Jahrhunderts ein.

An seinem Manierismus, an den bizarren Gesten und Körperdrehungen seiner Figuren konnte man auch viel über die Zwänge, Ängste, Verkrampfungen und Künstlichkeiten der DDR-Gesellschaft erfahren. Hatte er in seiner allegorischen Bildfolge der „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ mit ihren Höllenvisionen Bosch’scher Prägung fast die Schwelle zum Surrealismus erreicht, gewann er in den Strandmotiven wieder eine – manieristisch gebrochene – Lebensfülle zurück. Die Beschwörung von Motiven der christlichen Ikonographie wie der Apokalypse, des Jüngsten Gerichts, des Höllensturzes, der Kreuzigung, der Pietà, dem Ecce homo oder der Auferstehung erfolgte mit vielfachen Antithesen, Sinnumkehrungen und Metamorphosen.

Zum 80. Geburtstag haben das Museum der bildenden Künste Leipzig und das Kunstforum der Berliner Volksbank dem 2004 verstorbenen Künstler eine Retrospektive ausgerichtet, zu der ein umfassender Katalog, herausgegeben von Hans-Werner Schmidt, dem Direktor des Leipziger Kunstmuseums, erschienen ist. Der reich mit Abbildungen ausgestattete Band enthält Beiträge über die Bildfolge „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (Günter Meissner), über Tübkes Frankenhausener Monumentalwerk und dessen Vorarbeiten (Gerd Lindner), über Tübkes Inszenierung der Künstlerexistenz (Annika Michalski), die Apokalypsen, Passionen und Auferstehungen im Werk Tübkes (Eduard Beaucamp) sowie Tübkes religiöse Bildspuren (Jürgen Lenssen). Eckhart Gillen beschäftigt sich mit der Frage: Ist Tübke ein postmoderner Maler „avant la lettre“? Erinnerungen an ihren Mann teilt Brigitte Tübke-Schellenberger mit, während Hans-Hendrik Grimmling, Ulrich Hachulla, Erich Kissing, Rainer Schade, Dietrich Wenzel, Baldwin Zettl und Doris Ziegler als einstige Studenten der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst sehr differenziert über den Hochschullehrer Tübke sprechen. Eine Biographie Tübkes und eine Bibliographie schließen das Monographie-Charakter tragende Werk ab.

Italien wurde für Tübke das überwältigende Erlebnis von Farbe, Licht und Klassizität. Eines der vielen Zeugnisse ist das farbig strahlende und zugleich von geheimer Dämonie erfüllte „Bildnis eines sizilianischenI Großgrundbesitzers mit Marionetten“ (1972), die Inszenierung eines Einpersonenstücks. Tübke formte nicht mehr allein Bild und Gegenbild, sondern ließ im Gewebe der Strukturelemente variable Bezüglichkeiten entstehen, gab Mutmaßungen Raum, hinterfragte die Figurationen seiner Themen. Die Gestalt des Harlekins, als Metapher einer unruhevollen Zeit in die Bildwelt des Künstlers gerufen, wurde ihm zum Wahrheitssucher, zum Rufer und Mahner, zur Identifikationsfigur. „Harlekins Tod“, die immer wiederkehrende Bildformel, bot eindrucksvolle Metaphern von Leben und Tod, Gefährdung und Bewahrung.

Mehr als ein Dutzend Jahre seines Lebens hat Tübke dem Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen, der Besichtigung eines ganzen Zeitalters, mit zäher Disziplin, Ausdauer und unter großer physischer Belastung gewidmet. Dieses große Epos der menschlichen Existenz entrollt einen Gesamtentwurf der Weltgeschichte zwischen Schöpfung und Gericht. Das 14 Meter hohe und 123 Meter lange Gemälde mit seinen über 3 000 Figuren und seiner leuchtenden Farbigkeit war von den DDR-Auftraggebern als Verbildlichung eines grundlegenden Teils des staatstragenden Geschichtsbildes gewünscht worden. Es wurde aber zum Totentanz der sich auflösenden und untergehenden DDR. Durch das Spiel mit Fragmenten aus unterschiedlichen Kontexten, die ein Gespinst vielfältig ineinandergeschachtelter Bezüge ergeben, zeigt Tübke historische und aktuelle Zusammenhänge auf. Das Ende dieser Welt ist durchweg in historischen Metaphern beschrieben, wenn auch in verwirrenden und paradoxen. Die höchste Parteispitze blieb verärgert der feierlichen Einweihung fern, aber die „Wir sind das Volk“ rufenden Demonstranten in den Großstädten stahlen Tübke auch die Schau für sein epochales Lebenswerk.

Mit dem Stolz eines Renaissance-Malerfürsten hat er nach der Wende alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe des „Staatskünstlers“ ignoriert. „Die Veränderungen in Deutschland kann man nur begrüßen“, äußerte er. „Mit meiner haben selbige nichts zu tun.“ Kritiker verwies er auf die Tatsache, dass jährlich bis zu 150 000 Besucher nach Bad Frankenhausen kommen.

Das 1996 vollendete, vielteilige Altarwerk in der St. Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (Harz) und das Bühnenbild für die Oper „Der Freischütz“ anlässlich der Bonner DInszenierung von Intendant Giancarlo del Monaco 1993 sind die letzten Auftragsarbeiten gewesen. An die Stelle zitierender Distanz waren eine stärkere Einfühlung und geschlossene Form getreten. Noch während der vorbereitenden Arbeiten an seiner Sixtinischen Kapelle von Frankenhausen hatte er ironisch prophezeit: „Es wird sicherlich mein eigenes Grabmal werden.“ Das scheint es in der Tat geworden zu sein.

Umstritten war der unzweifelbar große Könner Tübke immer und wird es noch lange bleiben. Die einen sprechen von einem magischen Historismus, einem Meta-Realismus oder Meta-Historismus, für die anderen ist er der Lehrmeister einer schöpferischen Aufhebung ererbten realistischen Formwissens. Dagegen ist die Zahl derer, die ihn lediglich für einen die Kunstgeschichte plündernden, unschöpferischen Eklektizisten halten, verschwindend gering geworden. Wie auch immer - und nachdrücklich bezeugen es Ausstellung sowie Katalog -, an dem vieldimensionalen Werk dieses Pictor universalis kommt wohl niemand vorbei.

Literaturangabe:

SCHMIDT, HANS-WERNER (Hrsg.): Tübke. Die Retrospektive zum 80. Geburtstag. Katalog zur Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig, 2009 und Kunstforum der Berliner Volksbank, 2009/2010. E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2009. 215 S., 29.50 €.

Weblink:

E. A. Seemann Verlag

 

 

Klaus Hammer, Literatur- und Kunstwissenschaftler, schreibt als freier Buchkritiker für dieses Literaturmagazin. Er ist als Gastprofessor in Polen tätig


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