Wie wird einer Künstler, fragte die Frankfurter Rundschau neulich. Die Frage ist falsch gestellt. Wie bleibt man es, müsste es heißen. Menschen werden Netzplantechniker oder Bäcker, aber nicht Künstler. Künstler sind die, die nichts werden, die Jäger und Sammler bleiben, (Männer Jäger, Frauen Sammler). Da ihnen heute Feld, Wald und Wiese fehlen, werden sie zu geistigen Ackerbauern mit Farben, Formen, Gesten, Buchstaben, Noten, Tönen.
Man sieht es an mir: Kaum hab ich einen Garten, schon bleib ich im Sommer draußen, statt an den Schreibtisch zurückzukehren und schreibe schon Blumengedichte. Das erinnert fatal an Gelegenheitsgedichte, auf die man herabschaut. Auch das ist eine falsche Bezeichnung. Ich schreibe zum Beispiel bei jeder Gelegenheit. Ich werd doch nicht so dumm sein, und eine Gelegenheit dazu auslassen. Mein Stift ist mein sechster Finger. Man sieht das an meiner Kulischublade. 1 m tief, 30 cm breit: voller Stifte, jedoch nie gekauft. Hab ich einen Stift in der Hand, will er mit mir mit. Ich bin ein Kuliklau. Ich kann es allerdings nicht haben, wenn man mich anhaut: Haste mal 'n Kuli? Ich gebe dann gerne zurück: Haste mal 'ne Geige?
Liebe Frankfurter Rundschau, man wird Künstler, wenn man es z. B. nicht lassen kann, Kulis als 6. Finger an der rechten Hand zu erleben. Wahrscheinlich wird man Künstler, um Ihre Frage also mal aufzugreifen, indem man seine Defekte zum Geldverdienen benutzt. Oder weil man keine Angst hat, zu verhungern. Das heißt nicht, dass man nicht verhungert. Oder weil man zuviel Wut hat, um sich anzupassen.
Man kann von Glück sagen, dass man in jungen Jahren begonnen hat mit der Künstlerei. Denn dann kann man im Alter, wenn man sich längst angepasst hat, weil man das für richtig und schicklich hält, dennoch Künstlerin bleiben, solange man Leute hat, die das Künstlern bezahlen, weil sie gottlob Netzplantechniker, Bäcker oder Kulturstiftungsrat geworden sind.