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Wie Calvin die Genfer bekehrte

Zum 500. Geburtstag des Reformators

Von: THOMAS HAJDUK - © Die Berliner Literaturkritik, 14.08.09

Schon der Flughafen sagt viel über die Stadt: Die vielen Privatjets, die Passagiermaschinen aus dem Nahen Osten, Werbung für Luxusuhren und Privatbanken – Genf ist eine der großen Stätten des Geldes. Und in der Tat florieren hier nicht nur Privatbankiers und Luxushersteller, sondern betreiben auch zahlreiche Aktien- und Rohstoffhändler ein blühendes Geschäft.

Ironie der Geschichte. Denn vor über 400 Jahren stand hier in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen in ganz Europa ein „neues Jerusalem“, ein „reformiertes Rom“. Genf war eine Hochburg der Reformation, berühmt und berüchtigt für ihr strenges Sittenregiment. In keiner anderen Stadt der europäischen Neuzeit gab es einen ähnlichen umfassenden Versuch, die öffentliche Moral zu reglementieren: Tanz und Gesang, Kartenspiele, Fluchen, Trunkenheit, Gotteslästerung, uneheliche Geburten, heidnische Taufnamen, Faulheit, Zinswucher – das und mehr war auf dem Höhepunkt von Calvins Reformation verboten und wurde streng bestraft.

Kein Wunder, dass bis heute Calvin eine der umstrittensten Gestalten der Religionsgeschichte ist. Die einen sehen ihn als Begründer einer protestantischen Ethik, deren Geist den Kapitalismus beflügelt habe, wie Max Weber in seiner berühmten These meinte. Manche halten Calvin gar für einen Vordenker der Demokratie, waren doch in seiner Prädestinationslehre alle Menschen gleich vor Gott, auch der damals herrschende Adel und religiöse Eliten. Auf der anderen Seite halten Kritiker Calvin vor, dass er in der Stadt an der Rhone eine Theokratie eingeführt habe, eine Art europäisches Taliban-Regime, das manche mit dem Tod bezahlen mussten.

Der Historiker Volker Reinhardt von der Universität Fribourg kennt diese uralten Kontroversen, Mythen und Gegenmythen und verzichtet in „Tyrannei der Tugend“ bewusst auf starke Werturteile. Stattdessen widmet er sich einer viel interessanteren Frage: Wie hat der französische Prediger es geschafft, eine europäische Großstadt nach seinem Willen zu reformieren?

Die einfachste, immer noch vertretene Antwort lautet: Der charismatische Calvin hat aufgrund seiner Ausstrahlung und der verkündeten Heilsbotschaft die Genfer in seinen Bann gezogen und sie wie weiches Wachs geformt. Das klang und klingt plausibel in den Ohren derer, die an die These „charismatischer Führer“ glauben. Und in der Tat: Welche Waffen standen Calvin denn zur Verfügung, wenn nicht das geschriebene und – mit Blick auf die Mehrheit der Menschen – gesprochene Wort?

Obgleich Reinhardt die Wirkmacht von Calvins über 6 500 Predigten in 25 Jahren nicht gering schätzt, bietet er seinen Lesern eine alternative, leichter nachzuvollziehende Erklärung. Er stellt neben den großen Reformator den gerissenen Machtpolitiker Calvin. Denn die freie Republik Genf unter Führung seiner untereinander zerstrittenen Patrizier war alles andere als darauf erpicht , Geistliche zu den obersten Hütern der öffentlichen Ordnung zu machen. Erst recht nicht dann, wenn sie so weitreichenden Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen wollten wie Calvin.

So kam es bereits 1538, ein Jahr nach Calvins Ankunft in Genf, zu einem inneren Zwist in der Republik. Calvin beharrte darauf, dass sich alle Genfer qua Schwur zu der neuen Lehre und Kirchenordnung bekannten. Dem kamen aber nicht alle führenden Familien nach, und in der Folge kämpfte der Reformator immer wieder mit den Patriziern um die Einführung und Durchsetzung seiner Lehre. Dass dabei etwa eine Forderung wie die nach Abschaffung aller Feiertage bis auf den in der Bibel verbrieften Sonntag auch das allgemeine Volk gegen den Reformator aufbrachte, nahm dieser gern in Kauf. Nicht so aber die Genfer Patrizier, die den kompromisslosen Calvin 1538 als „Rebellen gegen die öffentliche Ordnung“ aus der Stadt warfen.

Erst über drei Jahre später riefen die Genfer Calvin zurück an die Rhone. Die Machtverhältnisse und das allgemeine Klima waren nun wieder günstiger für den Reformator, der sie für seine Zwecke zu nutzen wusste. Mit dem Konsistorium – eine der Bedingungen für Calvins Rückkehr – setzte er eine Art obersten Wächterrat ein, der jeden Bürger wegen Fehlverhaltens zu sich bestellen und in Zusammenarbeit mit dem Rat der Stadt bestrafen konnte, wovon er in den folgenden Jahrzehnten ausgiebig Gebrauch machen sollte. Zugleich säuberte Calvin den Priesterorden von allen unzuverlässigen Angehörigen und ersetzte sie durch eigene Getreue. So schuf Calvin über die Jahre hinweg ein Netzwerk von Unterstützern.

Den Widerstand gegen Calvins unbeliebteste Forderungen – kein Prunk bei Hochzeiten, keine „heidnischen“ Taufnamen – erstickte das nicht. Erst nach Jahren der begünstigten Einwanderung von Glaubensflüchtlingen aus Frankreich, der Einsetzung ihm treuer Patrizier in wichtige Ämter und Räte der Stadt und nach zahlreichen Fehlern seiner Gegner triumphierte Calvin in Genf. Doch ihm, der für die Menschen im Allgemeinen und die Genfer im Besonderen nicht viel übrig hatte, stellten diese Erfolge nicht zufrieden. Noch an seinem Totenbett, als Genf – zumindest vordergründig – die wohl frommste Stadt in ganz Europa war, verdammte er die Heuchler in den Reihen seiner Kirche.

Mit „Tyrannei der Tugend“ hat Reinhardt zum 500. Geburtstag des Reformators einen der interessantesten Beiträge über Calvins Leben vorgelegt. Eben weil er sich nicht in die Reihe derer stellt, die den Einzelnen in der Geschichte überhöhen – „große Männer schreiben Geschichte“ – sondern Calvin in seinem sozialen und politischen Kontext betrachtet. Interessanterweise gewinnt Calvin dabei im Rückblick an Größe, zumindest wenn Machiavellis „Il Prinicipe“ der Maßstab ist.

Das gut lesbare Buch profitiert nicht zuletzt auch von Reinhardts im positiven Sinne altmodischem Zugang: Der Historiker präsentiert seinen Lesern Geschichte als wohlbegründete und plausible Erzählung. Konstruktivistische Theorien und statistisch unterlegte Netzwerkanalysen werden dem Leser hier glücklicherweise nicht zugemutet. Ein Wermutstropfen ist allein das Fehlen eines vollständigen Anmerkungsapparats. Während Zitate aus Calvins Werken belegt werden, bleiben fast alle anderen Textstellen unbelegt. Hier hätte mehr Konsequenz ein gutes Buch noch etwas besser gemacht.

Literaturangabe:

REINHARDT, VOLKER: Tyrannei der Tugend: Calvin und die Reformation in Genf. Verlag C. H. Beck, München 2009. 271 S., mit 14 Abb. u. 3 Karten, 24,90 Euro.

Weblink:

C.H. Beck

Thomas Hajduk hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert und promoviert nun in Berlin. Er ist freier Mitarbeiter dieses Literaturmagazins


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