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„Wie ein Stein im Geröll“

Ein Roman von der katalanischen Autorin Maria Barbal

© Die Berliner Literaturkritik, 23.06.09

Von Weeranut Jaksarn

Arbeit ist das höchste Prinzip, wonach in den Bergdörfern der Pyrenäen gelebt wird. Auf nur ungefähr hundert Seiten erzählt die katalanische Autorin Maria Barbal die Lebensgeschichte von Conxa, deren Schicksal vielen anderen Frauen vor und während der Herrschaft Francos gleicht.

Als fünfte von sechs Geschwistern wird Conxa mit dreizehn Jahren in ein anderes Dorf geschickt—zur dominanten, aber liebenswürdigen Tante und zum wortkargen, aber nicht unfreundlichen Onkel. Das Ehepaar ist kinderlos geblieben und benötigt eine zusätzliche Arbeitskraft auf seinem großen Gutshof. Das Mädchen packt fleißig und gehorsam mit an. Widerworte liegen nicht in ihrer Natur, was zu mangelnder Spannung im Handlungsverlauf führt. Lieber beißt sie sich zweimal auf die Zunge, als sich der Tante zu widersetzen. Anstelle von äußeren Konflikten, trägt sie innere mit sich und Gott aus.

Aus der Ich-Perspektive spricht Conxa selbst klar und schnörkellos. Ihre Sätze sind begleitet von vielen Einschüben in Nebensätzen, die aber an keiner Stelle Verwirrung aufkommen lassen. Wehmütig ist ihre Erzählung, aber keineswegs wehleidig und schon gar nicht mitleidheischend. Völlig undramatisch wird ihre Geschichte wiedergegeben. Die Übersetzerin hat ganze Arbeit geleistet, denn Conxas einfaches Wesen kommt in nüchtern gewählten Worten wunderbar zur Geltung. Eine blumige Ausdrucksweise wäre unangebracht gewesen, denn Conxa hat nur für kurze Zeit die Schule besucht. In den Pyrenäen ist Arbeitskraft wichtiger als Bildung. Die Wertvorstellungen der Menschen zeigen sich an vielen Stellen im Roman. Felder müssen bestellt, Kühe versorgt, der Hof muss sauber gehalten werden. Untätigkeit können die Tante und der Onkel nicht ausstehen. Conxa macht sich für sie nützlich, wo sie nur kann. Genau so, wie sie es ihr beigebracht haben, „ohne eine selbständige Handbewegung hinzuzufügen, denn das wäre ihnen vielleicht als ein Mangel an Respekt erschienen.“ Das erklärt Conxas durchgehend widerspruchsloses Verhalten, sogar zum Nachteil ihrer eigenen Familie. Geld ist in den Bergen kaum im Umlauf, daher wäscht eine Hand die andere. Ein Gefallen wird mit einem anderen vergolten. Die Tante pflegt zu sagen, eine Kruste Brot sei wertvoller als schöner Tand. Deswegen murrt sie über die Geschenke der Vettern aus Barcelona, anstatt sich zu freuen. Conxas Glück scheint vollkommen, als sie den Handwerker Jaume kennenlernt. Dieser fröhliche junge Mann mit den lebendigen Augen scheint nur auf der Welt zu sein, um ihr all ihre „Ängste zu nehmen“ und „ein Licht anzuzünden, wo sie nur Dunkelheit sieht“. Die beiden heiraten und werden Eltern dreier Kinder.

Im Winter arbeitet Jaume fernab von der Familie in der Stadt Montsent. Als politisch Engagierter unterstützt er die Republik gegen Franco. Die Einfachheit seiner traditions- und heimatverbundenen Frau unterscheidet sich von dem Ehrgeiz Jaumes wie der Tag von der Nacht. Das entfernt die beiden voneinander. Er glaubt, die harten Lebensbedingungen für die Bergbauern verändern zu können, die Conxa für unveränderlich hält. Für diesen Traum muss er mit dem Leben bezahlen. Der dritte Teil des Romans geht so schnell über die Bühne wie die Verhaftung und Ermordung Jaumes, nachdem die Republik blutig gestürzt wird. Seine Familie wird für einen Monat inhaftiert und in ein Lager gebracht. Conxa sehnt sich nur noch nach dem Tod, aber ihre älteste Tochter zwingt sie zu essen.

Wieder zurück auf ihrem Gut, wo die inzwischen sehr gealterte Tante auf sie wartet, findet die Familie zurück in ihr altes Leben. Dennoch fühlt sich Conxa wie ein Stein im Geröll. Wenn jemand sie anstieße, dann würde sie weiter rollen. Wenn es keiner tut, dann bleibt sie, wo sie ist. Ihre Trauer um Jaume lässt sie nur noch stumpf funktionieren. Als ihre Kinder heiraten, schöpft sie die letzte Hoffnung, dass nach dem Tod der Tante wieder Leben in ihr Zuhause einkehrt, doch diese erfüllt sich nicht. Ihr restliches Leben bis hin zu den Jahren in Barcelona ist von Freudlosigkeit geprägt. Auf den allerletzten zwei Seiten schwingt sich der Roman in ungeahnte literarische Höhen. Bei der Beschreibung der Stadt Barcelona, explodiert die Sprache regelrecht in phantasievollen Metaphern, Vergleichen und stilistischen Feinheiten. Barcelona personifiziert sich auf vielfältige Art und wird dadurch nahezu greifbar.

Der Leser fragt sich sprachlos: Warum? Und bleibt ohne Antwort zurück. Dennoch hat die Geschichte ihre Wirkung nicht verfehlt. Ob man sie als eine Biografie liest, als politischen Roman oder als bloße Fremdbeschreibung einer anderen Kultur und völlig anderen Lebensweise, die ohne Elektrizität und Medien auskommt—sie ist und bleibt eine warmherzig berührende Lesekost.

Literaturangabe:

BARBAL, MARIA: Wie ein Stein im Geröll. Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum. Transit Buchverlag, Berlin 2007. 125 S., 14,80 €.

Weblink:

Transit Verlag


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