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Wie entstand die Schweiz?

Die Schweiz von 1840 bis 1960

© Die Berliner Literaturkritik, 10.12.09

Von Evelyn Gaida

ZÜRICH (BLK) – Im Dezember erreicht die Foto-Ausstellung „Aufbruch in die Gegenwart“ des Schweizerischen Landesmuseums Zürich ihre Halbzeit. Den Gang der Zeit machen diese Fotografien sichtbar: Es ist eine „Bilder-Geschichte“ der Schweiz, die zeigt, wie das Land sich vom Agrar- zum Industriestaat entwickelte. Sie führt ebenso vor Augen, wie Menschen altern, die Moden wechseln, das Stadtbild sich verändert. Hunderte Fotografien zeichnen den Weg der Schweiz von der neuen Bundesverfassung des Jahres 1848 bis an die Schwelle der Gegenwart. Das Landesmuseum widmet dem Medium Fotografie aus besonderem Anlass eine solche Aufmerksamkeit: Letztes Jahr erwarb es umfangreiche Bestände der Sammlung Herzog aus Basel und stellt diese nun erstmals umfassend aus. Die Sammlung beinhaltet viele Bilder unbekannter Amateurfotografen, die ein besonders alltagsnahes Bild der Geschichte vermitteln. Auch die Veränderung der Fotografie selbst wird deutlich – herausragend ist dabei der dichte Bestand an Fotografien aus dem 19. Jahrhundert.

„Es fehlt etwas“, schreibt Dieter Bachmann, Herausgeber des begleitenden Bildbandes „Aufbruch in die Gegenwart. Die Schweiz in Fotografien 1840-1960“ im Vorwort. „Die alte Schweiz versank, mit Mann und Maus, mit Dällebach Kari und Polizischt Wäckerli, mit der ganzen Schweizersschweiz, der Bichselbeiz – was allem Anschein nach doch eine Identität gewesen war.“ Das Buch lässt die alte Schweiz wiederkehren – in 106 älteren und alten Fotografien, ausgewählten Stücken aus der Sammlung Herzog. Sie decken ein Jahrhundert ab und machen die Umwälzungen anschaulich, die das Land bis zur modernen Partnerschaft mit Europa zurückgelegt hat. Schritt für Schritt zeigen sie, wie Gegenwart sich formt: Fotos, die immer überraschend sind, manchmal nostalgisch, oft witzig. Im Buch wird das Visuelle durch literarische Texte zur Schweiz von damals bis heute ergänzt.

Die „Zeitreise“ der Foto-Sammlung Herzog repräsentiert alle Techniken, die seit Erfindung des Mediums (1839/40) verwendet wurden. In den letzten 30 Jahren entstanden, enthält die Sammlung heute rund 300.000 Fotografien und ist eine der bedeutendsten weltweit. Meisterwerke großer Fotopioniere kommen ebenso vor wie die vom Ehepaar Ruth und Peter Herzog stets hochgeschätzten Amateuraufnahmen (z.B. Familiengeschichten in Albumform). Inhaltlich kann das Leben der Menschen aller Kontinente in der Industriegesellschaft über den Zeitraum von 1839 bis ca. 1970 in sämtlichen Facetten verfolgt werden. Den Schweizer Teil ihrer Fotosammlung verkauften die Herzogs im Dezember 2008 an die Schweizerischen Landesmuseen. Durch diesen Erwerb avancierte die Sammlung dokumentarischer Fotografie der Museumsgruppe zur größten in der Schweiz.

Am 3.12. führt Kurator Hanspeter Lanz und am 17.12. Kuratorin Ricabeth Steiger unter dem Motto „Der subjektive Blick“ durch die Ausstellung im Landesmuseum. Das fotografische Panorama umfasst drei Teile: Zu Beginn ist die wild-romantische Natur einer noch unberührten Schweizer Bergwelt des 19. Jahrhunderts zu sehen. Die sukzessive Eroberung der Natur durch Tourismus und Landwirtschaft auf dem Weg vom Agrar- zum Industriestaat kann in diesem Abschnitt nachvollzogen werden. Der zweite Teil steht ganz im Zeichen des Wandels: Eisenbahnen, Straßennetze und Flughäfen prägen das „Bild“, dynamisieren die Schweiz und den Tourismus. Eindrucksvoll und lebensnah widmet sich der dritte Teil den Menschen, die hinter den dokumentierten Veränderungen stehen: Seien es anonym gebliebene Bauarbeiter und Hausfrauen oder bekannte Industrielle wie Adolf Escher. Andere Fotografien zeugen vom Bedürfnis der Schweiz nach Identifikationsfiguren: General Guisan oder Wilhelm Tell werden zu „Helden“, die später durch Schauspieler und Sportler ersetzt wurden. Den sogenannten „Knipsern“ – Amateurfotografen wie professionellen Fotografen – ist es schließlich zu verdanken, dass den heutigen Besuchern der Ausstellung und den Betrachtern des Begleitbandes dieses Wachsen und Werden sowohl sichtbar als auch spürbar wird.

Herausgeber Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, ist ein erfahrener Autor, Redakteur, Reporter und Essayist mit umfangreichem Werk. Er arbeitete als Literatur- und Theaterkritiker, schrieb Fernsehbeiträge und war in den Jahren 1970-1978 erst Redakteur der „Weltwoche“, dann des „Tages-Anzeiger Magazins“. 1981 wurde er freier Autor. Von 1988 bis 1998 war Bachmann Chefredakteur der Zeitschrift „du“ und stand von 2000 bis 2004 dem Kulturinstitut „Instituto Svizzero“ in Rom als Direktor vor. Heute lebt er in Umbrien und Zürich. Drei Romane stammen aus seiner Feder: „Rab“ (1985), „Der kürzere Atem“ (1998) und „Grimsels“ (2002). Bachmann ist zudem Herausgeber zahlreicher Bücher, zuletzt des Reisebuchs „Im ganzen Land schön“ (2006). Darin berichten fünfzehn Schweizer Autoren von „Eintagesschweizumreisungen“.

Literaturangabe:

BACHMANN, DIETER: „Aufbruch in die Gegenwart: Die Schweiz in Fotografien 1840-1960 / La suisse en photographies 1840-1960 / La Svizzera in fotografie 1840-1960“. Limmat Verlag, Zürich 2009. 183 S., 31,80 €.


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