Von Susanna Gilbert-Sättele
In einem verwahrlosten Haus in der Ödnis eines Industriegebiets am Rande der Stadt spielt sich für den 13jährigen Christiano das Leben ab. Die Mutter ist schon lange abgehauen, sein rabaukiger, saufender Vater Rino und dessen Freunde aber, der Trottel Quattro Formaggi und der depressive Danilo, geben ihm so viel Wärme, wie sie können. Doch dann braucht es nur eine Nacht, um die brüchige Idylle in einen Scherbenhaufen zu verwandeln. Niccoló Ammaniti, der mit seinem Drama „Ich habe keine Angst“ einen Welterfolg landete, stellt in seinem neuen ambitionierten Werk „Wie es Gott gefällt“ erneut ein Kind im Konflikt in den Mittelpunkt, das in einer kalten, düsteren und menschenverachtenden Welt verzweifelt nach einem Halt sucht. Der 42jährige Römer hat ein Stück Italo-Realismus vom Feinsten abgeliefert, das zu lesen sich von der ersten bis zur letzten Seite lohnt.
Christiano streift gern durch das Einkaufszentrum und wünscht sich nichts sehnlicher als ein Handy, doch das scheint ebenso unerreichbar zu sein wie die Zuneigung der beiden Schul-Beauties Esmeralda und Fabiana oder die Freundschaft des mit goldenen Löffeln im Mund geborenen Tekken. Doch Christiano weiß sich zu trösten: „Wenn jetzt zum Beispiel ein Erdbeben käme und hier alles zerstören würde, dann wüsste Tekken nicht, was er machen sollte. Er würde verzweifeln, weil er dann arm wäre, und sich am erstbesten Baum aufhängen. Ich würde gar nichts verlieren. Ein Erdbeben wäre Klasse.“
Derweil baldowert sein Skinhead-Papa mit den Kumpels die Umgebung eines EC-Automaten aus, den sie mit Brachialgewalt an sich bringen wollen. Doch just in der Nacht, in der das Ding gedreht werden soll, tobt ein schweres Unwetter über der Stadt. Als der beschränkte, aber für harmlos befundene Quattro Formaggi auf dem Weg zur Tat zufällig auf Fabiana trifft und über sie herfällt, zieht er seine Freunde mit in den Abgrund.
Angepasst an die verbalen Fähigkeiten seiner Protagonisten schreibt der Autor knapp und nüchtern vom Alltag am Rande der Gesellschaft, von dem zunächst geregelten Leben der Vier zwischen Fernseher, Bierkasten und Gelegenheitsjobs, bis sich die Geschichte zum Thriller steigert. Als die Katastrophe die drei Männer in ihren lebensgefährlichen Sog zieht, bleibt ein ver- und zerstörter Junge allein zurück. „Du müsstest eigentlich begreifen, was es bedeutet zu leiden und Mitleid zu haben“, hält ihm der Sozialarbeiter Beppe vor. „Weißt du eigentlich was Mitleid ist? Wenn man dich so hört, glaubt man das nicht. Du hasst jeden. Du bist so voller Wut, dass du gleich explodierst. Sag mal, Christiano, hast du eigentlich ein Herz?“ „Nein, nicht mehr?“.
Ammanitis Klasse zeigt sich darin, dass er das brutale Leben und die verdrängten Gefühle seiner Outcasts so klar zu beleuchten versteht, dass sie seine Leser, die zumeist sicher anderen Milieus angehören, nachempfinden können. Seine größte Kunst aber ist es, selbst die finsteren Typen – allen voran den gewalttätigen Neonazi Rino – so differenziert darzustellen, dass eine Identifikation mühelos gelingt.
Berührend ist vor allem dessen von roher Zärtlichkeit begleitete Liebe zum Sohn, den er allein großgezogen hat. „Wir beide“, so hämmert er dem Kind seine Überlebensstrategie ein, „sind untrennbar verbunden, willst du das endlich begreifen? Und alle wollen dieses Band zerreißen. Aber das wird niemand schaffen? Denk immer dran, Du musst so stark sein, dass niemand dir wehtun kann.“ Eine so tiefe Vater-Sohn-Beziehung wie hier mag einem in der literarischen Welt nur noch in Cormac McCarthys Meisterwerk „Die Straße“ begegnen. Die Kritik des „Deutschlandradio“ würdigt den düsteren Roman mit seinen antikapitalistischen Anklängen denn auch als „Monolith der negativen Mystik“. In Ammanitis Heimat ist das Buch längst ein Besteller.
Literaturangaben:
AMMANITI, NICCOLO: Wie es Gott gefällt. Fischer Verlag, Frankfurt 2008. 485 S., 14,95 €.
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