BERLIN (BLK) – Die „NZZ“ bezeichnet William Faulkners Roman „Licht im August“ als ein „Meisterwerk der Moderne“, dessen Neuübersetzung ihm „weitgehend gerecht“ werde. Reinhard Kaiser-Mühleckers Debütroman „Der lange Gang über die Stationen“ beeindrucke die „SZ“ besonders durch seine Authentizität. Außerdem in der Presseschau: Antonio José Pontes „Der Ruinenwächter von Havanna“, Thomas Pynchons neuer Roman „Gegen den Tag“ und Ernst Wiecherts Buchenwald-Bericht „Der Totenwald“. Des Weiteren: zwei Sachbücher über Italiens Architekturstil während des Faschismus und Reiner Stachs zweiter Kafka-Biografieband „Kafka. Die Jahre der Erkenntnis“.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Der Zweck von Birger P. Priddats (Hrsg.) „Neuroökonomie“ sei es, menschliches Handeln besser deuten zu lernen, schreibt die „FAZ“. In dem Band äußern etliche Fachleute ihre Meinung zum Thema Manipulation in der menschlichen Entscheidungsfindung. In dem Band angesprochene Themen sind beispielsweise „die kontrollierte Verarbeitung von Reizen“ oder die Tendenz zum noch gläserneren Bürger, resümiert die „FAZ“.
Florian Borchmeyer lobt in der „FAZ“ Antonio José Pontes Buch „Der Ruinenwächter von Havanna“. Der Lyriker und „messerscharfe politische Analytiker“ verbinde mit Witz und Verstand das Bild der Ruinen Havannas mit dem Verfall der sozialen und politischen Strukturen Kubas. Dabei lasse sich das Buch schwer einordnen, meint der Rezensent. Es habe Elemente von Roman, Essay und Autobiografie, wobei die Geschichte an der Grenze von Fiktion und Realität erzählt werde. Eine bizarre und brillante Kulturgeschichte der Überwachung, befindet Borchmeyer.
Jürgen Lindenlaubs Arbeit „Die Finanzierung des Aufstiegs von Krupp“ befasse sich mit der Geschichte eines der der bedeutendsten deutschen Industrieunternehmen, berichtet die „FAZ“. Der Autor versucht die bisher vorherrschende Meinung zu widerlegen, Alfred Krupp (1812-1887), Sohn des Firmengründers Friedrich Krupp (1787-1826), habe sich entgegen unternehmerischer Ratio eher für „technische Raffinesse, industrielle Expansion und um Investitionen in die Zukunft“ interessiert. Lindenlaub wage einen Vergleich mit heutigen mittelständischen Unternehmen und mache deutlich, wie sinnvoll innenfinanzierte Investitionen sein können, meint die „FAZ“.
Die „FAZ“ berichtet über fünf Agenten-Berichte in Hannes Sieberers „Als Agent hinterm eisernen Vorhang“. Die wohlwollenden Äußerungen über das Ministeriums für Staatssicherheit („MfS“) verwundern den Rezensenten sehr. Die Agenten sind der Meinung, immer gut von den DDR-Organen versorgt geworden zu sein. Die West-Dienste hingegen verführten und betrogen die Geheimdienstler um ihren Agentenlohn. Die „FAZ“ finde es mehr als ungewöhnlich, dass sich verurteilte und inhaftierte West-Agenten derart wohlwollend über den ehemaligen Klassenfeind äußerten.
Anne Bogdanski empfiehlt in der „FAZ“ den Ratgeber „Pillen, Pulver, Powerstoffe. Die falschen Versprechen der Nahrungsergänzungsmittel“ des Lebensmittelchemikers und Ernährungsspezialisten Udo Pollmer und der Biologin Susanne Warmuth. Die Lebensmittelindustrie verspreche zu Unrecht Schönheit, Gesundheit, Potenz. Der Körper hat seinen chemischen Haushalt genau aufeinander abgestimmt und es kann auch gefährlich werden, ohne wirklichen Anlass darin herumzupfuschen. Aber auch harmlosere Scharlatanerien der Geschichte und Gegenwart würden mit viel Humor und Menschenverstand behandelt, meint die Rezensentin.
Nicht besonders überschaubar sei der Roman „Lenins Schwestern“ der Autorin Bärbel Reetz geraten, urteilt die Rezensentin Sabine Brandt in der „FAZ“. Die Handlung des Buches setzt 1873 ein und schildert bis zum Jahre 1944 die Ideologien von politisch engagierten Frauen, welche mit der Geschichte Russlands aufs engste verbunden sind. Als „Lenins Schwestern“ bezeichne die Autorin die Damen, die mit ihm gewisse Vorstellungen teilten, schreibt Brandt. Allerdings seien sie alle fern von dessen „Hang zur Diktatur“. Reetz beschreibe ihre Rebellinnen sehr anmutig und einfühlsam, allerdings habe das Buch bei der hohen Kompetenz der Autorin zuweilen etwas Lehrmeisterliches.
„Frankfurter Rundschau“
Die „FR“ rezensiert das Buch des Bildwissenschaftlers W.J.T. Mitchell, welcher schon seit langem „eine globale Kritik der visuellen Kultur“ fordere. Bereits in der Mitte der achtziger Jahre begann Mitchell, die herkömmlichen Konzepte der Bildinterpretationen öffentlich in Frage zu stellen. So erkenne man schon an der Bandbreite der für ihn existierenden Bildformen seinen ungewöhnlichen Ansatz. Mit seiner undogmatischen Vorgehensweise verbinde Mitchell Bilder von Velásquez (1599-1660) bis zum Mad-Magazin, um sich letztlich der Frage zu nähern: „Was wollen Bilder nun?“, resümiert die „FR“.
„Neue Zürcher Zeitung“
Die „NZZ“ bezeichnet William Faulkners neu übersetzten Roman „Licht im August“ als ein „Meisterwerk der Moderne“. Faulkners Welt der amerikanischen Südstaaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimme „religiöser Hass, sexistische Moral“ und „rassistische Gewalt“, fasst der Rezensent zusammen. In „Licht im August“ gehe es auch um „Leben und Tod – um Sehen und Wegsehen“. Der Roman lasse sich „durchaus noch präziser und damit auch radikaler übersetzen“. Insgesamt werde die Neuübersetzung dem Roman aber „weitgehend gerecht“, urteilt die „NZZ“.
Rick Moodys Erzählungen im Sammelband „Paranoia“ seien nicht mehr als „Gelegenheitsarbeiten“, findet die „NZZ“. Sie handelten von Verschwörungstheorien, „der Mittelschichten-Tristesse“ und dem „Gefühl der neuen Verwundbarkeit Amerikas“. Jedoch verlören sich die Erzählungen zu sehr in Einzelheiten, kritisiert der Rezensent. Trotz satirischer Bissigkeit lasse sich eine „gewisse Ermüdung des Lesers“ nicht vermeiden.
Zwei Bücher, Emilio Gentiles „Fascismo di pietra“ und Paolo Nicolosos „Mussolini architetto“, welche Auskunft über Italiens Architekturstil während des Faschismus geben und die Baupolitik des Architekturfans Mussolinis im speziellen hinterfragen, werden von der „NZZ“ rezensiert. Gentile stelle die Spanne zwischen Mussolinis überbordender Architektur und dem noch immer bitter armen Land dar. Nicoloso erkenne ein System hinter der Baupolitik jener Zeit und zwar die Möglichkeit zur Beeinflussung über den Untergang der faschistischen Ära hinaus, resümiert der Rezensent.
„Süddeutsche Zeitung“
Thomas Pynchon sei ein „Großalchimist der Sprachen, Stile, Theorien und Methoden“, der die Welt herausfordere, lobt Christoph Bartmann in der „SZ“. Sein neuer Roman „Gegen den Tag“ treibe gelegentlich an den Rand der Verzweiflung oder Erschöpfung, viele unzusammenhängende und krause Geschichten würden erzählt, es gebe keine lineare Handlung, die nach Auflösung strebe, schreibt Bartmann. Dennoch entwickle Pynchons Buch einen dissidenten, anarchistischen Gegenentwurf zu der rationalen, kapitalistischen Welt unserer Zeit, geschrieben in genialer Sprache und hinreißenden Bildern.
Als „dummes Buch eines guten Menschen“ bezeichnet die „SZ“ Ernst Wiecherts Buchenwald-Bericht „Der Totenwald“. Darin begründe der Protagonist die Schrecken der Nazi-Diktatur im „Einbruch Asiens ins Abendland“ und salviere damit das Deutschtum. Es sei das Buch eines enttäuschten Nationalisten, der sich eben nicht enttäuschen lassen wolle, meint der Rezensent.
Reiner Stachs zweiter Kafka-Biografieband „Kafka. Die Jahre der Erkenntnis“ widmet sich dem Zeitraum von 1916 bis zu Kafkas Tod im Jahr 1924, berichtet die „SZ“. Der Biograf sei „ganz im Sinne eines Erzähltypus des 19.Jahrhunderts, ein Autor, der sich einerseits in seinen Helden einfühlen vermag, andererseits es besser weiß als dieser“, urteilt der Rezensent. Außerdem wolle Stach selbst einen literarischen Text „zuwege bringen“ und trete somit „zu Kafka in Konkurrenz durch Paraphrase“. Somit würden Stachs „unpräzise und beliebige Bilder“ Gedanken ersetzen, anstatt sie auszudrücken, meint die „SZ“.
Der Züricher Philosophieprofessor Michael Hampe erörtert in dem von der „SZ“ besprochenen Band „Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs“, ab wann man von Gesetzen in der Naturbeobachtung spreche. Der Band behandle sowohl das abstrakte Weltbild des Mittelalters als auch die theorienlastige Denkweise neuerer Zeit. Der Versuch Hampes, Klarheit in vergangene und aktuelle Diskussionen zu bringen, mache die Lektüre des Buches lohnenswert, findet die „SZ“.
Jean-Michel Berg rezensiert in der „SZ“ Reinhard Kaiser-Mühleckers Debütroman „Der lange Gang über die Stationen“. Das Werk erzählt die Geschichte eines schweigsamen Bauers in den fünfziger Jahren. Im Einklang mit der Natur verlebt er seinen alltäglichen Rhythmus und bemerkt dabei nicht, wie ihn die Zeit langsam überholt. Der Roman beeindrucke besonders durch seine Authentizität und die „mitunter schwere Sprache“, die der junge Autor wähle. (car/mir/sat/vol/zei/wip)
Literaturangaben:
FAULKNER, WILLIAM: Licht im August. Roman. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008. 480 S., 19,90 €.
GENTILE, EMILIO: Fascismo di pietra. Editori Laterza, Rom und Bari 2007. 273 S., 16 €.
HAMPE, MICHAEL: Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs. Die Gesetze der Natur und die Handlungen des Menschen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 201 S., 10 €.
KAISER-MÜHLECKER, REINHARD: Der lange Gang über die Stationen. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008. 160 S., 16,95 €.
LINDENLAUB, JÜRGEN: Die Finanzierung des Aufstiegs von Krupp. Die Personengesellschaft Krupp im Vergleich mit den Kapitalgesellschaften Bochumer Verein, Hoerder Verein und Phönix 1850 bis 1880. Klartext Verlag, Essen 2007. 690 S., 89 €.
MITCHELL, W.J.T.: Bildtheorie. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Heinz Jatho. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gustav Frank. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 497 S., 32,80 €.
MOODY, RICK: Paranoia. Novellas. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Piper Verlag, München 2008. 256 S., 18 €.
NICOLOSO, PAOLO: Mussolini architetto. Propaganda e paesaggio urbano nell’Italia fascista. Giulio Einaudi editore, Turin 2008. 315 S., 32 €.
POLLMER, UDO / WARMUTH, SUSANNE: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Die falschen Versprechen der Nahrungsergänzungsmittel. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 206 S., 19,95 €.
PONTE, ANTONIO JOSÉ: Der Ruinenwächter von Havanna. Übersetzt aus dem kubanischen Spanisch von Sabine Giersberg. Verlag Antje Kunstmann, München 2008. 234 S., 19,90 €.
PRIDDAT, BIRGER P. (Hrsg.): Neuroökonomie. Neue Theorien zu Konsum, Marketing und emotionalem Verhalten in der Ökonomie. Metropolis Verlag, Marburg 2008. 224 S., 29,80 €.
PYNCHON, THOMAS: Gegen den Tag. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 1596 S., 29,90 €.
REETZ, BÄRBEL: Lenins Schwestern. Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main, Leipzig 2008. 271 S., 19,80 €.
SIEBERER, HANNES (Hrsg.): Als Agent hinterm Eisernen Vorhang. Fünf West-Spione über ihre DDR-Erfahrungen. Verlag Edition Ost, Berlin 2008. 224 S., 14,90 €.
STACH, REINER: Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. S. Fischer, Frankfurt am Main 2008. 728 S., 29,90 €.
WIECHERT, ERNST: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 184 S., 13,80 €.
Presseschau vom 27. Juli 2008
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