FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Im März 2009 wurde die Fachliteratur „Du musst dein Leben ändern“ von Peter Sloterdijk beim Suhrkamp Verlag veröffentlicht.
Klappentext: In seinem Essay über die Natur des Menschen betreibt Peter Sloterdijk Märchen-Kritik: Als Kritik des Märchens von der Rückkehr der Religion könnte man seine Thesen verstehen. Doch nicht die Religion kehrt zurück. Es verschafft sich vielmehr etwas ganz Fundamentales in der Gegenwart Raum: Der Mensch als Übender, als sich durch Übungen selbst erzeugendes Wesen. Rainer Maria Rilke hat den Antrieb zu solchen Exerzitien zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Form gefasst: „Du musst dein Leben ändern.“ In seinem Plädoyer für die Ausweitung der Übungszone des einzelnen wie der Gesellschaft entwirft Peter Sloterdijk eine grundlegende und grundlegend neue Anthropologie. Den Kern seiner Wissenschaft vom Menschen bildet die Einsicht von der Selbstbildung alles Humanen. Seine Aktivitäten wirken unablässig auf ihn zurück: die Arbeit auf den Arbeiter, die Kommunikation auf den Kommunizierenden, die Gefühle auf den Fühlenden.
Peter Sloterdijk, geboren 1947, ist Professor für Ästhetik und Philosophie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. (olb/ros)
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Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt – das Gespenst der Religion. Landauf, landab wird uns von ihr versichert, nach längerer Abwesenheit sei sie unter die Menschen der modernen Welt zurückgekehrt, man tue gut daran, mit ihrer neuen Präsenz ernsthaft zu rechnen. Anders als das Gespenst des Kommunismus, der im Jahr 1848, als sein Manifest erschien, kein Wiederkehrer war, sondern eine Neuheit unter den drohenden Dingen, wird der aktuelle Spuk seiner widergängerischen Natur vollauf gerecht. Ob er nun tröstet oder droht, ob er als guter Geist begrüßt oder als irrationaler Schatten der Menschheit gefürchtet wird, sein Auftritt, ja schon dessen bloße Ankündigung, verschafft sich Respekt, wohin man sieht – sofern man die Sommeroffensive der Gottlosen von 2007 außer Betracht lässt, der wir zwei der oberflächlichsten Pamphlete der jüngeren Geistesgeschichte verdanken, gezeichnet: Christopher Hitchens und Richard Dawkins. Die Mächte des alten Europa haben sich zu einer pompösen Willkommensfeier verbündet – auf ihr versammeln sich ungleiche Gäste: der Papst und die islamischen Gelehrten, die amerikanischen Präsidenten und die neuen Kremlherren, alle Metterniche und Guizots unserer Tage, die französischen Kuratoren und die deutschen Soziologen. Bei der versuchten Wiedereinsetzung der Religion in ihre ehemals verbrieften Rechte kommt ein Protokoll zum Tragen, das von den neu Bekehrten und frisch Faszinierten die Beichte ihrer bisherigen Verkennungen fordert. Wie in den Tagen des ersten Merowingers, der sich aufgrund einer gewonnenen Schlacht zum Kreuz bekannte, sollen auch heutigen Tags die Kinder der banalisierten Aufklärung verbrennen, was sie an- 9 beteten, und anbeten, was sie verbrannten.1 Bei dieser Umkehr setzen sich versunkene liturgische Intuitionen in Szene. Sie verlangen von den Novizen der postsäkularen „Gesellschaft „ eine öffentliche Distanzierung von den religionskritischen Lehrsätzen der aufklärerischen Jahrhunderte. Diesen war die menschliche Selbstbestimmung allein zu dem Preis erlangbar erschienen, dass die Sterblichen ihre an die Überwelt verschwendeten Kräfte zurückfordern und sie zur Optimierung der irdischen Verhältnisse einsetzen. Man musste von „Gott“ große Quanten an Energie abziehen, um endlich für die Menschenwelt in Form zu kommen. In dieser Kraftübertragung gründete der Elan des Zeitalters, das sich dem großen Singularwort „Fortschritt“ verschrieben hatte. Die humanistische Angriffslust ging soweit, die Hoffnung zu einem Prinzip zu erklären. Aus dem Proviant der Verzweifelten sollte das primum mobile besserer Zeiten werden. Wer sich zu dieser ersten Ursache bekannte, wählte die Erde zum Einwanderungsland, um dort und nur dort sich zu verwirklichen. Ab nun hieß es, die Brücken zu den Sphären da droben abzubrechen und alle frei gewordenen Kräfte in die profane Existenz zu investieren. Wenn es Gott gäbe, er wäre damals die einsamste Größe im Universum geworden. Die Abwanderung aus dem Jenseits nahm Züge einer Massenflucht an – die aktuelle demographisch ausgedünnte Lage Osteuropas erscheint daneben wie Überbesiedlung. Dass die breite Masse, von Immanenzideologien unbeirrt, auch in den Tagen der triumphierenden Aufklärung sich ihre heimlichen Ausflüge über die Grenze gestattete, steht auf einem anderen Blatt.
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Literaturangabe:
Sloterdijk, Peter: Du musst dein Leben ändern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 714 S., 24,80 €.
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