Von Wilfried Mommert
BERLIN (BLK) - Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“) kann die Welt nicht ändern, ist aber der Überzeugung, „jeder muss für sein eigenes Seelenheil arbeiten und sich hier auf Erden ändern oder es wenigstens versuchen“. Darin sieht der Regisseur auch seine Seelenverwandtschaft mit dem großen russischen Autor und aus der Kirche ausgeschlossenen Gottsucher Leo Tolstoi (1828-1910), der nicht nur Klassiker wie „Krieg und Frieden“ oder „Anna Karenina“ geschrieben, sondern auch ein unvollendetes, stark autobiografisch geprägtes Drama mit dem Titel „Und das Licht scheint in der Finsternis“ hinterlassen hat. Stefan Zweig hat das Werk, eine Art weltanschauliches und religiöses Testament, als „Flucht zu Gott“ zu den „Sternstunden der Menschheit“ gezählt.
Der 70-jährige, in Potsdam lebende Oscar-Preisträger hat sich jetzt an das Stück herangewagt, Premiere ist an diesem Freitag (14. August) auf Schloss Neuhardenberg im Brandenburgischen, danach zeigt Schlöndorff seine Inszenierung ab 9. September an der Tolstoi- Gedenkstätte Jasnaja Poljana rund 200 Kilometer südlich von Moskau. Zu seinen Darstellern gehören Hans-Michael Rehberg und Angela Winkler, mit der Schlöndorff schon 1975 bei seiner Böll-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ zusammengearbeitet hat. „Wir warten voller Ungeduld auf eine neue Interpretation unserer Klassiker“, hatte Ururenkel Wladimir Tolstoi kürzlich bei einem Besuch Schlöndorffs in Moskau gesagt.
Obwohl sich die Kommunistische Partei Russlands bis zuletzt immer wieder auf das Stück bezogen habe, habe Tolstoi nie eine explizite politische Intention gehabt, wie Schlöndorff jetzt in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa zu seiner von der Europäischen Union finanziell unterstützten Inszenierung sagt. „Ihm ging es nicht um den Zustand der Welt sondern um den Zustand der Seele des Menschen, das ewig gültige Thema, auch um den Zwiespalt zwischen Künstler, Gesellschaft und privatem Individuum.“
Natürlich sei es Tolstoi auch um die große Ungleichheit und Ungerechtigkeit auf der Welt gegangen „und um alle bisher gescheiterten Versuche, sie abzuschaffen“, betont Schlöndorff. „Wir müssen lernen, damit zu leben. Wir sind noch immer am gleichen Punkt wie vor der Revolution in Deutschland von 1848, als das Kommunistische Manifest geschrieben wurde.“ Jeder Mensch müsse in seinem eigenen kleinen Leben anfangen, besser und immer wieder auch anders zu werden, wie Tolstoi meinte „und wie Peter Sloterdijk es heute sagt: Wir müssen unser Leben grundlegend ändern“.
Es gehe bei Tolstoi „nicht nur um die Befindlichkeit von ein paar Sommergästen wie bei Gorki, Tolstoi ist auch ein wunderbarer Chronist seiner Zeit und entwirft ein großes Panorama der russischen Gesellschaft“, meint Schlöndorff zu seiner Hommage an den großen Sohn Russlands. Das dramatisierte Panorama hat bei Max Reinhardt 1918 am Deutschen Theater in Berlin mit Schauspieler-Heroen wie Lucie Höflich und Alexander Moissi noch drei Stunden gedauert, bei Schlöndorff sind es noch knapp 100 Minuten. Nach dem Krieg hat Oscar Fritz Schuh das Stück mit Lucie Mannheim und Ernst Deutsch im Theater am Kurfürstendamm inszeniert.
Für den zuletzt mit seinen Filmen eher weniger erfolgreichen Schlöndorff - die Verfilmung der „Päpstin“ wurde ihm wieder weggenommen, der KZ-Film „Der neunte Tag“ wurde immerhin bei den Kritikern ein Achtungserfolg - ist die jetzige Theaterarbeit motivierend. „So intensiv habe ich lange nicht mehr Theater gemacht. Jetzt wundert es mich auch nicht mehr, dass Peter Zadek immer drei Monate geprobt hat. Man kommt eigentlich nie zum Ende, aber irgendwann muss man loslassen.“ Wie eben im richtigen Leben auch. Schlöndorff will auch mit 70 weiterarbeiten. „Im Theater oder im Film, ich bin ein Arbeiter und mache, was sich anbietet. Es ist nicht einfach zurzeit, beim Film die Füße auf den Boden zu kriegen. Ich bin für alles offen.“
Der „wohl letzte Ausflug ins Theaterfach“, wie er früher einmal das Tolstoi-Projekt nannte, wird es also eher nicht. Und an neuen Filmplänen mangelt es Schlöndorff auch nicht - ob nun „Gigola“ über die Glitzerwelt der Pariser Revuetheater oder über den italienischen Komponisten Antonio Vivaldi (1678-1741). Von einem „ganz Großen des deutschen Films, der ja fast schon ein Klassiker ist“, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) Schlöndorff nennt, ist immer Überraschendes zu erwarten.