Von Thomas Borchert
Eine Ministerin schnarcht bei der Preisverleihung leise vor sich hin, ein anderer stürmt zornbebend aus dem Saal, der Preisträger stottert bei der Dankesrede ohne erkennbaren Sinn vor sich hin, beschimpft seine Juroren und zeigt echtes Interesse nur am Preisgeld. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Tod von Thomas Bernhard hat die Häme des als sprachgewaltiger Alleshasser berühmt gewordenen Wiener Schriftstellers gegen die Preisverleihungsindustrie und seine eigene, wenig rühmliche Rolle darin nichts an Frische eingebüßt. In einem zu seinem 20. Todestag am 12. Februar neu veröffentlichten Band des Suhrkamp-Verlages kann das erstmals im Detail nachgelesen werden.
Bei der Entgegennahme des Georg-Büchner-Preises 1970, so schreibt Bernhard in einem etwa zehn Jahre später entstandenen Text, habe er den Namen des großen Dichters und Namenspatronen für den „wichtigsten“ deutschen Literaturpreis gar nicht in den Mund nehmen wollen, und das sei ihm in der Dankesrede auch gelungen: „Ich war ja nicht nach Darmstadt gekommen, um irgendwelche Leute zufriedenzustellen, sondern nur, um mir den Preis abzuholen, der mit der Summe von zehntausend Mark verbunden war und der, weil Büchner selbst von diesem Preis ja überhaupt nichts wissen konnte, weil er schon so viele Jahrzehnte vor der Idee, einen Büchnerpreis zu stiften, tot gewesen war, mit dem Preis auch gar nichts zu tun hatte.“
Die Dankesrede ist auch nachzulesen: ultrakurz, hochgradig traurig und fast ebenso hochgradig unverständlich („Wir haben, sagen wir, ein Recht auf das Recht, aber wir haben nur ein Recht auf das Unrecht“). Wie diese Reden in ähnlichem Stil immer wieder vor Preisverleihungen zustande kamen, schildert Bernhard wunderbar trocken: Das Abfassen des fälligen Textes schob er in der Regel auch noch am Tag der Verleihung im Hotel oder bei der geliebten Tante („Ich frühstückte und frühstückte“) so lange auf, bis es gar nicht mehr anders ging.
Vor dem Österreichischen Staatspreis für Literatur 1967 war es ganz schlimm: „Ich fand kein Thema für eine Rede.“ Den Weg im Taxi zur Verleihung empfand er als „Fahrt zu einer Hinrichtung“. Warum er sich in letzter Minute und größter Hast für Beschimpfungen an die Adresse seines Heimatlandes („Wir sind Österreicher, wir sind apathisch“) entschied, bleibt im Dunkeln. Dass aber ein Minister wütend die Feier verließ und Bernhard zu einer Hassfigur für viele Landsleute wurde, ist verbürgt und längst Legende geworden.
Ruhig, ja fast abgeklärt arbeitet Bernhard immer wieder heraus, dass ihn an all den Preisen aus Wien, Darmstadt, Hamburg oder Bremen eigentlich nur die Dotierung interessiert. Er kann davon Autos und Häuser kaufen und tut dies wenigstens mit großer Wonne. Am schönsten fand er deshalb 1964 den Julius-Campe-Preis aus Hamburg. Sein erster Preis überhaupt, das dringend benötigte Geld setzte er sofort in ein Auto um. Vor allem aber: Es gab keine feierliche Verleihung, aus Hamburg war nur, mit bezahlter Übernachtung in einem feinen Hotel, ein Scheck abzuholen.
Literaturangaben:
BERNHARD, THOMAS: Meine Preise. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 144 S., 15,80 €.
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