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Wird das Rätsel um Lorcas Grab gelöst?

Die Öffnung des Massengrabs steht bevor – Lorcas Erben sind dagegen

© Die Berliner Literaturkritik, 19.10.09

Von Jörg Vogelsänger

MADRID (BLK) - Siebzig Jahre nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) liegen landesweit noch rund 120.000 der Opfer in namenlosen Massengräbern. Die meisten von ihnen standen aufseiten der im Kampf gegen die Truppen des späteren Diktators Francisco Franco (1939-1975) unterlegenen Republikaner. Der bekannteste darunter ist Federico García Lorca. Spaniens großer Dichter und Dramatiker wurde kurz nach Kriegsausbruch am 18. August 1936 von den Schergen Francos zusammen mit anderen Gefangenen in der Talschlucht von Víznar bei Granada hingerichtet. Er war erst 38.

„Ich habe der schwulen Sau zwei Kugeln in den Arsch gejagt“, brüstete sich der Täter, Juan Luis Trescastro, später in einer Kneipe der südspanischen Stadt. Die Stelle, wo er erschossen wurde, ist heute Teil eines Parks. Lediglich ein schlichter Steinquader nahe einem Olivenbaum erinnert dort an Spaniens bis heute meistübersetzten Poeten des 20. Jahrhunderts. „Im Gedenken an Federico García Lorca und an alle Opfer des Bürgerkrieges“, ist darauf zu lesen.

Doch liegt der Autor der „Zigeuner-Romanzen“ wirklich dort? Die Antwort auf diese Frage erhoffen sich Historiker und Schriftsteller von der unmittelbar bevorstehenden Öffnung des Massengrabes. Sie wurde von der Regionalregierung Andalusiens auf Antrag einer Vereinigung von Bürgerkriegs-Opfern und einigen Angehörigen veranlasst. Den Fall hatte der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón angestoßen, der eine großangelegte Untersuchung der Gräuel des Bürgerkrieges einleitete.

Doch die Erben Lorcas sind bislang gegen eine Exhumierung. Sie fordern, dass der Leichnam nicht angerührt wird – schließen andererseits aber auch nicht aus, gegebenenfalls mit Hilfe eines DNA-Abgleichs eine Identifizierung zuzulassen. Die Überreste des Dichters könnten nach Ansicht von Experten mit bloßem Auge erkannt werden: Lorca hatte einen sogenannten Dolichocephalus, einen asymmetrisch langen und schmalen Schädel.

Seine Nachfahren wollen nach eigenen Angaben verhindern, dass die Gegend „entweiht“ wird. „Wir möchten nicht, dass er im Vergleich zu den anderen Opfern hervorgehoben wird“, sagt die Großnichte des Autors, Laura García Lorca. Bis zu 3.000 weitere Leichen werden in der Umgebung vermutet. Deshalb setzten die Erben auch durch, dass der Park als Friedhof deklariert wird - so müsste Lorca nach einer etwaigen Identifizierung nicht umgebettet werden.

Mit dem Dichter waren damals nach neuesten Untersuchungen zwei anarchistische Stierkampf-Gehilfen, ein Steuerinspektor und ein republikanischer Lehrer hingerichtet und verscharrt worden. Auch die Angehörigen des Lehrers wehren sich derzeit gegen die Exhumierung, die Familien der anderen sind dafür. In dem Grab soll sich zudem ein Kriegsgefallener befinden.

Böse Zungen behaupten, die Familie Lorcas wolle aus finanziellen Gründen das Rätsel über das Schicksal des Poeten am Leben erhalten - zumal ihre Rechte an seinem Werk nach Presseberichten im Jahre 2016 auslaufen. So gibt es Spekulationen, Lorca sei gar nicht getötet worden und 1954 eines natürlichen Todes gestorben. Der Journalist Fernando Guijarro will indes herausgefunden haben, dass der Autor bereits kurz nach seinem Tod von der Familie exhumiert und anderswo beerdigt wurde. Bodenproben haben kürzlich ergeben, dass es nach der Hinrichtung Grabungen gegeben hat.

Als Linker, Homosexueller und „Volksdichter“ war Lorca den Faschisten besonders verhasst. „Er hat mit seiner Feder mehr Schaden angerichtet als andere mit einer Pistole“, sagten die Militärs über den Weggefährten von Künstlern wie dem Maler Salvador Dalí oder dem Regisseur Luis Buñuel.

„Die Familie darf sich nicht gegen die Identifizierung der Leiche sperren“, fordert der irische Hispanist und Lorca-Biograf Ian Gibson, der das Grab 1971 geortet hatte. Ihm gebühre als größtem Symbol der Opfer des Bürgerkrieges eine würdevolle Bestattung. Dies wäre nach seinen Worten auch eine moralische Wiedergutmachung für den Autor, der mit Theaterstücken wie „Bernarda Albas Haus“ oder „Bluthochzeit“ weltberühmt wurde. „Lorca gehört nicht seiner Familie, sondern der Menschheit.“


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