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Wissenschaftliche Präzision

Gesammelte Schriften des Kunsthistorikers Gerhard Schmidt

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 29.08.05

In unserem bildersüchtigen Zeitalter werden Kunstwerke eher als spektakuläre „Events“ wahrgenommen als in den Museen, wo sie ohne Aufhebens jeden Tag betrachtet werden können, selbst solche höchsten Ranges kommen ins öffentliche Gerede (und ins Fernsehen) meist nur, wenn sie in großen Ausstellungen zum Mittelpunkt werden. Der kunsthistorische Ertrag, den solche den Ausstellungen bringen, ist meist weit geringer, als es den Anschein hat, sie dienen vor allem dem Fremdenverkehr und der Kassenfüllung oft finanziell klammer Kunstinstitutionen, können sie doch ziemlich zuverlässig mit den „Drittmitteln“ rechnen, deren Einwerbung heutzutage vielen Kulturpolitikern (und Finanzministern oder Kämmerern) als vordringlicher Qualitätsausweis wissenschaftlicher Arbeit gilt.

Diese jedoch vollzieht sich, von der Öffentlichkeit meist wenig beachtet, in Fachzeitschriften oder (häufig ungedruckten) Dissertationen. Für diese Lage ist das nun in zwei voluminösen Foliobänden vorliegende Lebenswerk des inzwischen über achtzig Jahre alten österreichischen Kunsthistorikers Gerhard Schmidt ein besonders prägnantes Beispiel. Es gibt von Schmidt nur ganz wenige Bücher, da mussten schon Schüler und Kollegen einspringen, um die oft an entlegener Stelle publizierten Essays, Katalogbeiträge, Rezensionen zu sammeln und die darin aufgehobenen Forschungsergebnisse anders als in Fotokopien vorzustellen, zum Nutzen der Zunft, einer kunstinteressierten Öffentlichkeit und des Autors Gerhard Schmidt.

Intellektuelle Redlichkeit

Was da auf über achthundert großformatigen Seiten mit zahlreichen Abbildungen (und vielen den beiden Bänden vorgeschalteten Farbtafeln) festgehalten ist, ist ein erstaunliches Lebenswerk aus vier Jahrzehnten: „Malerei der Gotik. Fixpunkte und Ausblicke“. Schmidt hat es sich nicht nehmen lassen, manche älteren Aufsätze mit „Nachträgen“ aus den letzten Jahren zu aktualisieren: Die Forschung ist weitergegangen, er hat es zur Kenntnis genommen und scheut keine Selbstkorrektur, wo sie ihm angebracht erscheint. „Es soll dem Leser nicht verborgen bleiben, dass sich die Meinung des Verfassers geändert hat.“

Dieses Bemühen, jeweils auf der Höhe der aktuellen Diskussion zu bleiben und eine darin aufbewahrte intellektuelle Redlichkeit gehören zu Schmidts Kennzeichen. Dabei ist er, im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen, gar nicht zänkisch, er wägt neue Forschungsergebnisse, baut sie in seine Argumentation ein und hütet sich, etwa bei Zuschreibungen, vor jedem apodiktischen Urteil.

Man muss nur einmal den großen Aufsatz „Zur Kaufmannschen Kreuzigung“ studieren, in dem er versucht, dieses besonders schöne Bild (es hängt heute in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin), dessen Schöpfer – wie bei den meisten mittelalterlichen Meistern – keinen Namen hat, zu situieren: örtlich, stilistisch, historisch. Er untersucht die Kontroverse, ob es sich bei dem Bild um ein Werk österreichischen oder böhmischen Ursprungs handelt, wägt die Optionen der Kollegen, trägt – von einer Fülle von Vergleichsmaterial beraten, über das er souverän verfügt - eine eigene Sicht vor, ohne diese jedoch als verbindlich zu erklären. Am Ende ist die Causa zwar keineswegs entschieden, aber Schmidts Vorschläge sind derart überzeugend, dass man daran „weiter arbeiten“ kann.

Mittelalterliche Meister auf Wanderschaft

Vor allem aber befasst sich dieser Autor mit illuminierten Handschriften. „In öffentlichen oder privaten, oft klösterlichen Bibliotheken verwahrt, erweckten die illuminierten Handschriften der Romanik und Gotik die Neugier der Forscher erst sehr viel später als die vor aller Augen stehenden und leicht zugänglichen Bauwerke, Skulpturen und Monumentalmalereien der gleichen Epochen.“ Er verabschiedet sich von der älteren Vorstellung, dass diese Handschriften (fast) ausschließlich in klösterlichen Scriptorien von Mönchen geschrieben und gemalt worden seien, besteht auf dem großen Anteil den „Laienmaler“ daran.

Meister, die häufig von einem Ort zum anderen „wanderten“, schlossen sich gelegentlich, wenn es um einen besonders wichtigen (und umfangreichen) Auftrag ging, zu Arbeitsgemeinschaften zusammen und wurden so zu wichtigen Vermittlern zwischen verschiedenen lokalen Kunsttraditionen, sie trugen neue Erfindungen weiter: von Italien nach Österreich oder Böhmen, von dort ins westliche Europa (oder umgekehrt.) „Das änderte aber nichts an ihrem sozialen Status: Anders als manche ihrer französischen Kollegen, avancierten sie keineswegs zu Hofbeamten, sondern blieben selbstständige Unternehmer.“

Und waren eben darum häufig die Agenten künstlerischer Veränderungen, die dann in die Tafel- und Freskenmalerei eingingen, wobei Miniaturisten und Tafelmaler nicht selten identisch waren. Schmidt spürt solchen Beziehungen so genau nach, dass die Lektüre seiner Arbeiten auch für interessierten Laien spannend wird. Die können bei Schmidt auch lernen, wie genau man hinsehen muss, wenn man etwas begreifen will und wie viel Vorwissen nötig ist, um haltbare, mindestens plausible Aussagen zu machen.

Das Bild einer künstlerischen Epoche

Die Kunst der Gotik wird dabei, von Aufsatz zu Aufsatz mehr, zu einem höchst komplizierten Stoff, in dem Maltechniken und der Wandel der Frömmigkeit, dynastische (und theologische) Interessen, philosophische Theorien und psychische Dispositionen derart miteinander verwoben sind, dass es des geschärften Auges und der stupenden Kenntnisse eines Gerhard Schmidt bedarf, um gleichwohl das Bild einer künstlerischen Epoche herzustellen. Wobei Schmidt eben niemals so etwas wie ein „Gesamtbild“ entwirft (was eigentlich schade ist), sondern stets vom einzelnen Kodex, dem einzelnen Bild ausgeht, es mit anderen vergleicht, Verwandtschaften aufspürt und es am Ende dem Leser überlässt, sich aus dem, was er gelernt hat, ein womöglich neues Bild von dieser „Gotik“ zu machen.

Wie vorläufig (und doch unerlässlich) solche Epochentermini sind, das kann man in diesen Bänden erfahren: Man muss sich nur von der Vorstellung trennen, dass „gotisch“ (oder „romanisch“) als Kennzeichen genügten, um ein Bild, eine Handschrift, eine Plastik zu charakterisieren. Natürlich gibt es Epochenstile, aber sie sind vielfach differenziert – und also unterscheidbar. Dazu tragen diese Aufsätze, Rezensionen, Katalogtexte (von großer Präzision) Erhebliches bei. Und auch dazu, solche kunsthistorische Arbeit am Detail nicht als müßiges Spiel, sondern als Methode zu begreifen, um unsere Vergangenheit und ihre „Kultur“ verstehen zu lernen.

Auch wenn Schmidts Arbeiten ihren Schwerpunkt in österreichisch-böhmischen Raum haben, sie greifen weit darüber hinaus – nach Italien, Frankreich, ins Oberrheingebiet, schlagen neue Datierungen vor, gehen Interdependenzen der Kunstlandschaften nach. Sie spüren mittelalterlichen Vorstellungen von Humor (und Karikatur) nach oder den (typisierten) „Herrscherporträts“ des 14. und 15. Jahrhunderts: Hier exemplifiziert an den Stundenbüchern des Duc de Berry und den vielen Porträts des Kaisers Friedrich III. Sie behandeln die „Armenbibeln“ und ihre Funktion, fragen danach, was denn in Auszügen aus dem Alten Testament Texte und Bilder zur Ilias oder anderen antiken Sagen zu suchen haben.

Man erfährt viel in diesen Aufsätzen und liest sie gern, weil Schmidt seine Forschungen in einem Stil vorträgt, der Klarheit und Eleganz verrät. Man hat gut daran getan, dies verstreute Lebenswerk auf solch schöne Weise zu retten.

SCHMIDT, GERHARD: Malerei der Gotik. Fixpunkte und Ausblicke. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2005. 2 Bde, 468 u. 406 S. mit zahlr. Abb., 120,- €.

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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