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Woanders ist’s auch scheiße

Frank Goosen nimmt seine Leser mit auf eine Reise ins Ruhrgebiet

© Die Berliner Literaturkritik, 04.05.10

FRANKFURT (BLK) – Im Januar 2010 hat der Eichborn Verlag Frank Goosens „Radio Heimat“ herausgegeben.

Klappentext: Wo sonst auf der Welt wird die fröhliche Begrüßung „Ey, Jupp, du altes Arschloch!“ als freundschaftliche und ehrerbietig empfunden? Nirgends, nur entlang der A 40, im Herzen der schönsten deutschen Provinz, die zwar nicht wirklich viel Gegend hat, dafür aber jede Menge skurrile, herzliche, raue, gnadenlos ehrliche Ureinwohner. Denn „es geht um die Menschen“, und von diesen Menschen erzählt Frank Goosen in seinem ganz besonderen, sehr persönlichen Ton. Er fördert Kindheitserinnerungen von Omma und Oppa (die im Bochumer Rathaus wohnten und stadtbekannt waren) zutage, er durchstreift mit Mücke, Pommes und Spüli die Untiefen einer Jugend, er steht an der Seltersbude auf ein Bierchen, leidet und jubelt mit den Fans im Stadion, durchkämmt Schrebergärten und Zechen, Industriebrachen und Einkaufszentren.

Frank Goosen wurde im Mai 1966 in Bochum geboren. Nachdem er 1986 das Abitur erhalten und sein Magisterexamen abgelegt hatte, folgten 1992 erste Auftritte mit Jochen Malmsheimer unter dem Namen „Tresenlesen“. Das Duo gewinnt 1997 den „Prix Pantheon“ und 1998 den „Salzburger Stier“. Im Jahr 2000 heiratet er die Schauspielerin Maria Wolf, mit der er zwei Kinder hat. Im Februar 2001 wird sein erster Roman „Liegen lernen“ veröffentlicht, der zudem verfilmt wurde. 2003 und 2005  folgen die Romane „Pokorny lacht“ und „Pink Moon“. Im Februar 2007 erzählt Goosen in seinem neuen Programm „A40 – Geschichten von hier“ erstmals vom Ruhrgebiet. (ros)

Leseprobe:

©Eichborn Verlag©

An lauen Sommerabenden stehe ich gern auf der Eisenbahnbrücke am Lohring in Bochum und schaue auf meine Stadt. Ich sehe das Mercedes-Hochhaus am Bahnhof, die Fiege-Brauerei, das neue Hochhaus der Stadtwerke (das ein bisschen aussieht wie der Monolith aus ‚2001’), die Türme von Propstei- und Christuskirche, und ganz rechts erkenne ich sogar noch den Förderturm des Bergbau-Museums. Und dann denke ich: Boah! Schön ist das nicht!

Wenn sie nicht im Haushaltskittel daherkamen, trugen diese Frauen Tantenpullover. Unifarbene Strickpullis mit V-Ausschnitt, die sich über einen unglaublichen Atomvorbau spannten. So was wird ja heute gar nicht mehr gebaut. Die Mieder, die das stützen mussten, waren Meisterleistungen der Ingenieursplanung, höchstens noch vergleichbar mit Bauwerken wie der Fehmarn-Sund-Brücke. Diese Pullis saßen so eng, das war praktisch gehäkeltes Neopren. Man fragte sich spontan: Wie kommt die Tante da überhaupt rein? Vermutlich wie der Christbaum ins Netz kommt: Im Altersheim stand auf dem Gang eine durchgeschnittene Tonne, da kam vorne der Pullover drauf, und hinten schoben zwei Zivis. Die alten Männer hörte man oft schon, bevor man sie sah. Ihnen ging ein abgehacktes Donnern voraus, und da wusste man gleich, da kommt wieder einer um die Ecke, der hat dreißig Jahre lang kaum das Sonnenlicht gesehen und hustet jetzt seine schleimigen Lungenreste auf den Bürgersteig hinaus. Und manchmal sah das, was da raus kam, aus, als würde es noch leben. Hackendes Lungendonnern – der Soundtrack einer Kindheit im Ruhrgebiet.

©Eichborn Verlag©

Literaturangabe:

GOOSEN, FRANK: Radio Heimat. Eichborn Verlag, Frankfurt 2010. 168 S., 14,95 €.

Weblink:

Eichborn Verlag


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