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„Das ist eine grauenvolle Entwicklung“

Wolf Schneider appelliert an die Selbstverantwortung der Redakteure

© Die Berliner Literaturkritik, 07.05.10

MÜNCHEN (BLK) - Wolf Schneider gilt als einsamer Ritter im Kampf für die deutsche Sprache. Der langjährige Journalist, Moderator („NDR-Talkshow“), Buchautor und Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule wird an diesem Freitag (7.5.) 85 Jahre alt. Britta Schultejans hat kurz vor seinem Ehrentag mit Schneider gesprochen - von seinem Urlaubsort Teneriffa aus redete er am Telefon über die Zukunft der Zeitung, die Qualität der deutschen Schulen und das Desinteresse der Jugend am Weltgeschehen.

Herr Schneider, Journalismus-Ausbildung heute und vor 30 Jahren – was sind die größten Unterschiede?

Schneider: Vor 30 Jahren gab es noch sehr viele Leistungsverweigerer - im Sog von '68 war Leistungsdruck noch ein Schimpfwort. Ich habe dann meinen Satz „Qualität kommt von Qual“ ausdrücklich dagegen gesetzt. Diese Gesinnung hat sich dann im Laufe der 80er Jahre verloren. Die Unvernunft, die Leistungsfeindlichkeit, die bis Mitte der 80er Jahre überwiegend unter den Journalistenschülern herrschte, ist vorbei - Hurra! Bergab gegangen ist es ein bisschen mit dem, was sie in der Schule gelernt haben. Es geht bergab mit der Allgemeinbildung, also dem abrufbaren, punktuellen Wissen, das ja immer noch sehr nützlich ist, damit man sich am Computer orientieren kann. Es geht auch ein bisschen bergab mit Grammatik, Rechtschreibung, Zeichensetzung. Das ist eine allgemeine Entwicklung, an der sie unschuldig sind. Das liegt an den Schulen, aus denen sie kommen.

Was stimmt denn nicht mit den deutschen Schulen?

Die Schüler lernen weniger. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes spricht von der Spaßpädagogik, die an den Schulen dominiere. Das heißt, es besteht die Neigung von Schülern oder Lehrern, dass man nur lernt und lehrt, was Spaß macht. Es ist nicht mehr üblich, dass man paukt, aber viele Dinge muss man pauken. Die unregelmäßigen Verben einer Fremdsprache, ein paar historische Jahreszahlen, die man im Hinterkopf haben sollte - so etwas ist einfach nicht mehr üblich. Es werden keine Gedichte mehr auswendig gelernt, was erstens das Gedächtnis schlechter schult und was zweitens nicht mehr schöne Sprachmodelle im Hinterkopf parkt.

Hat das auch Auswirkungen auf den Journalismus?

Am Bild der Zeitung hat sich am ehesten die Selbstverantwortung des Redakteurs geändert. Die Korrektoren sind ja in den meisten Redaktionen abgeschafft - dadurch kommen viel mehr Flüchtigkeitsfehler, Rechtschreibfehler, grammatische Fehler oder auch sachliche Fehler in die Zeitung. An der Qualität der Journalisten an sich hat sich nach meiner Kenntnis nichts geändert.

Glauben Sie, dass die Zeitung, wie es sie jetzt noch gibt, Zukunft hat?

Ich verfolge das sehr ausführlich. Die Auflagen schrumpfen. Eine Prognose, die ich teile, lautet: Die Tageszeitungen werden es sehr schwer haben, am besten stehen Wochenzeitungen da. Vermutlich ist ein Mensch, der sich täglich am Computer informiert, nicht mehr willens, sich noch für teures Geld zusätzlich mit Papier zu umgeben. Die „Frankfurter Zeitung“, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als Deutschlands beste galt, die hatte nie eine Auflage über 80.000. Es geht also darum, ob man auch mit 80.000 eine Zeitung machen kann. Dabei ist guter Journalismus, der natürlich auch online stattfinden kann, so wichtig wie noch nie für das Funktionieren der Gesellschaft.

Warum?

Weil noch nie soviel Unfug geschrieben und verbreitet worden ist wie heute durch die Blogger. Ein Mensch, der nun sortieren kann, der in bester journalistischer Tradition sagt, was eigentlich auf der Welt los ist und was eigentlich wichtig ist, wäre so wichtig wie noch nie. Aber die Nachfrage nach dieser Orientierung ist gering. Was 18-Jährige unter Information verstehen, ist nicht, dass ich noch weiß, wie es auf der Welt zugeht, sondern dass ich weiß, was meine Freunde gerade tun, gerade denken oder gerade vorhaben. Das heißt also, unter jungen Leuten ist der Wunsch, sich überhaupt noch über den Zustand Deutschlands und der Welt zu informieren, dermaßen gering, dass sie die Journalisten, die das tun könnten, überhaupt nicht mehr interessieren. Ich habe selbst erlebt, dass 18-Jährige erst von dem Vulkanausbruch auf Island erfahren haben, als die Flugzeuge schon drei Tage auf dem Boden standen. Sie mailen und bloggen und telefonieren ununterbrochen - aber nur übereinander. Was in der Welt zugeht, interessiert sie nicht. Das ist eine grauenvolle Entwicklung.

Wird da noch einmal ein Wendepunkt kommen?

Das traue ich mich nicht zu prophezeien. Dies ist eine sehr traurige Entwicklung.

Kann man diese Entwicklung irgendwie aufhalten?

Mir fällt nichts ein, nein. Man kann nur versuchen, durch sehr guten Journalismus - ob im Print oder Online - noch zu erreichen, dass die Zahl der Leute, die sich dafür interessieren, nicht noch weiter schrumpft. Journalisten sollen sich weiter Mühe geben, aber generell sind die Zeiten schlecht für sie.

Das Gespräch führte Britta Schultejans

Weblink:

Henri-Nannen-Schule


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