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Yu Hua hat Glück mit der Zensur

Wieso ist die Zensur nicht eingeschritten, wie vielfach erwartet worden war?

© Die Berliner Literaturkritik, 01.07.09

Von Thomas Maier

FRANFURT/MAIN/PEKING (BLK) - Der chinesische Autor Yu Hua gehört zu den wenigen international erfolgreichen Schriftstellern seines Landes. Der gelernte Zahnarzt hat in seinem jüngsten Roman „Brüder“ ein großes und oft groteskes Sittengemälde Chinas entworfen. Er rechnet mit der Kulturrevolution ab und nimmt die Geldgier im derzeitigen Wirtschaftsboom genauso aufs Korn. Der 2005 in China erschienene Roman erreichte dort eine Millionen-Auflage. Im August kommt er rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland China bei S. Fischer heraus. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa erläutert Yu, wieso sein Roman den Nerv der chinesischen Gesellschaft getroffen hat.

Ihr Buch ist auch als scharfe Kritik an den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen zu verstehen. Wieso ist die Zensur nicht eingeschritten, wie vielfach erwartet worden war?

Yu: „Die Verleger, denen das Buch angeboten worden war, haben in der Tat einige Änderungswünsche geäußert. Ich habe aber darauf bestanden, dass kein Wort geändert wird. Nachdem das Buch dann auf dem Markt war, hat es merkwürdigerweise dann nie Stimmen gegeben, die für ein Verbot plädierten. Allerdings wäre es undenkbar gewesen, dass „Brüder" 1995 in China herausgekommen wäre. Insofern habe ich Glück gehabt: Immer dann, wenn ich mit einem Buch fertig war, war die Zeit in China gerade so reif, dass es erscheinen konnte.“

„Brüder“, das in zwei Teilen innerhalb eines halben Jahres erschien, war in China sehr erfolgreich. Da wurde ganz offensichtlich auch emotional ein Nerv getroffen.

Yu: „Viele haben beim ersten Teil des Romans, der die Schrecken der Kulturrevolution schildert, geweint. Zum Beispiel beim Lesen im Flugzeug, wie mir Freunde erzählt haben. Beim zweiten Teil haben dann die Leute beim Lesen losgelacht – wobei man wissen muss, dass Lachen in der Öffentlichkeit in China verpönt ist. Dass ein Buch Leser zum Lachen bringt, ist in China ohnehin ungewöhnlich. Die Chinesen sind zwar ein Volk, das generell Humor hat. Nur spiegelt die Literatur das nicht richtig wider.“

Im kommunistischen China scheint die Schere zwischen Arm und Reich immer größer zu werden. Kann dies nicht zu einer explosiven Lage führen?

Yu: „Die Zuspitzung dieser Widersprüche hat schon begonnen. Wir haben sehr viele soziale Probleme. Die Unzufriedenheit äußert sich vor allem auf lokaler Ebene gegen die dortigen Machthaber. Dagegen ist das Vertrauen der Bevölkerung in die zentrale Staatsführung eher gewachsen, da diese sich anders als früher auch verstärkt in die lokalen Konflikte einschaltet. Hinzukommt, dass die Menschen für ihren Zorn ein Ventil gefunden haben. Sie gehen ins Internet. Die Kernfrage bleibt aber, wie es wirtschaftlich weitergeht. Die nächsten zwei oder drei Jahre werden entscheidend sein.“

China ist im Oktober Gastland der Frankfurter Buchmesse. Was bedeutet dieser Auftritt?

Yu: „Das ist eine große Chance und eine sehr gute Gelegenheit für chinesische Bücher auf den deutschen Markt zu kommen.“

Die Menschenrechte in China werden sicherlich auch ein großes Thema auf der Buchmesse sein. Finden Sie das wichtig oder könnte darunter das Interesse an der chinesischen Literatur leiden?

Yu: „Die Frage, ob ich das bedauere, stellt sich nicht. Ich weiß, dass gerade in Deutschland das Interesse an politischen Fragen sehr groß ist. Wenn aber die Schriftsteller nur mit Fragen nach Menschenrechten überschüttet werden, dann könnte es Ärger geben. Möglicherweise werden nicht alle chinesischen Autoren auf solche Fragen bereitwillig antworten – oder sie werden umgekehrt die Frage nach den Menschenrechten in anderen Ländern stellen.“


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