Werbung

Werbung

Werbung

Zafóns Barcelona

Und wieder hat der spanische Autor einen Roman über diese Stadt geschrieben

© Die Berliner Literaturkritik, 26.04.11

FRANKFURT/MAIN (BLK) – Im April 2011 ist im S. Fischer Verlag der Roman „Marina“ von Carlos Ruiz Zafón erschienen. Peter Schwaar hat ihn aus dem Spanischen übersetzt.

Klappentext: „Wir alle haben im Dachgeschoss der Seele ein Geheimnis unter Verschluss. Das hier ist das meine.“ So beginnt Óscar Drai seine Erzählung. Der junge Held des Romans sehnt sich danach, am Leben Barcelonas teilzuhaben, und streift am liebsten durch die verwunschenen Villenviertel der Stadt. Eines Tages trifft er auf ein faszinierendes Mädchen. Sie heißt Marina, und sie wird sein Leben für immer verändern. Gemeinsam werden die beiden in das düstere Geheimnis um den ehemals reichsten Mann Barcelonas gesogen. Schmerz und Trauer, Wut und Größenwahn reißen sie mit sich, eine höllische Verbindung von vernichtender Kraft. Aber auch Marina umgibt ein Geheimnis. Als Óscar schließlich dahinterkommt, ist es das jähe Ende seiner Jugend. In „Marina“ beschwört Carlos Ruiz Zafón erstmals sein unnachahmliches Barcelona herauf, eine Stadt voller Magie und Leidenschaft, und erzählt in unvergleichlicher Weise die dramatische Geschichte eines jungen Mannes, der um sein Glück und seine große Liebe kämpft..

Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren und lebt heute in Los Angeles. Mit den großen Barcelona-Romanen „Der Schatten des Windes“und „Das Spiel des Engels“ begeisterte er ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt; seine Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. „Das Spiel des Engels“ stand wochenlang auf denBestsellerlisten. Nur kurze Zeit vor „Der Schatten des Windes“ schuf Carlos Ruiz Zafón den Roman „Marina“.

Leseprobe:

©S. Fischer©

3

Langsam löste sich ein Fahrrad aus dem Dunst. Ein junges Mädchen in einem weißen Kleid fuhr mir bergauf entgegen. Im durchscheinenden Licht des frühen Morgens waren durch die Baumwolle hindurch die Umrisse ihres Körpers zu erraten. Lange heublonde Haare verdeckten in Wellen ihr Gesicht. Reglos, wie ein halbgelähmter Idiot schaute ich zu, wie sie sich mir näherte. Zwei Meter vor mir blieb das Rad stehen. Meine Augen – oder meine Phantasie – erahnten die Konturen schlanker Beine, die sich auf den Boden stemmten. Mein Blick kletterte das Kleid hoch, das einem Bild von Sorolla zu entstammen schien, um dann bei den Augen innezuhalten, so tief grau, dass man hätte hineinfallen können. Sie ruhten mit sarkastischem Blick auf mir.

  Ich lächelte und setzte das dümmlichste Gesicht auf, das ich zustande brachte.

„Du musst der mit der Uhr sein“, sagte das junge Mädchen in einem Ton, der zu ihrem starken Blick passte.

  Ich schätzte sie auf mein Alter, vielleicht ein Jahr älter. Das Alter einer Frau zu erraten war für mich eine Kunst oder eine Wissenschaft, nie ein bloßer Zeitvertreib. Ihre Haut war so blass wie das Kleid.

„Wohnst du hier?“, stotterte ich und deutete auf das Gittertor.

Sie blinzelte nur. Ihre Augen durchbohrten mich mit solcher Wut, dass ich zwei Stunden brauchen würde, um zu merken, dass dies das bezauberndste Geschöpf war, das ich je im Leben gesehen hatte oder zu sehen hoffte. Aber das ist ein anderes Thema.

„Und wer bist du, dass du das fragst?“

Unterstützen Sie unsere Redaktion, indem Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen kaufen! Vielen Dank!

„Vermutlich bin ich der mit der Uhr“, improvisierte ich. „Ich heiße Óscar. Óscar Drai. Ich bin gekommen, um sie zurückzubringen“.

Bevor sie etwas sagen konnte, zog ich die Uhr aus der Tasche und reichte sie ihr. Einige Sekunden schaute mich das junge Mädchen weiter an, ehe sie sie ergriff. Dabei sah ich, dass ihre Hand so weiß wie Schnee war und dass sie am entsprechenden Finger einen goldenen Ring trug.

„Sie war schon kaputt, als ich sie an mich nahm“, erklärte ich.

„Sie ist seit fünfzehn Jahren kaputt“, murmelte sie, ohne mich anzusehen.

Als sie schließlich aufschaute, musterte sie mich von oben bis unten wie ein altes Möbelstück. Etwas in ihren Augen sagte mir, dass sie mich nicht unbedingt für einen Dieb hielt, sondern vielmehr für einen Schwachsinnigen oder ganz gewöhnlichen Dummkopf. Das Idiotengesicht, das ich aufgesetzt hatte, mochte das Seinige dazu beitragen. Das Mädchen zog eine Braue in die Höhe, während sie rätselhaft lächelte

und mir die Uhr zurückgab.

„Du hast sie mitgenommen, also sollst auch du sie ihrem Eigentümer zurückgeben.“

„Aber …“

„Die Uhr gehört nicht mir«, erklärte sie. „Sie gehört Germán.“

Die Nennung dieses Namens beschwor die riesige Silhouette mit der weißen Mähne herauf, die mich einige Tage zuvor in der Galerie des alten Hauses überrascht hatte.

„Germán?“

„Mein Vater.“

„Und du bist …?“, fragte ich.

„Seine Tochter.“

„Ich meine, wie du heißt.“

„Ich weiß ganz genau, was du meinst.“

Und sie stieg wieder aufs Rad und fuhr durchs Tor. Bevor sie sich im Garten verlor, wandte sie sich kurz um. Ihre Augen lachten mich lauthals aus. Ich seufzte und folgte ihr. Eine alte Bekannte hieß mich willkommen. Die Katze schaute mich mit ihrer üblichen Verachtung an. Gern wäre ich ein Dobermann gewesen. Eskortiert von dem Tier, ging ich durch den Garten, bahnte mir einen Weg durch den Dschungel bis zu dem Brunnen mit den Cherubim. Dort war das Rad angelehnt, und seine Eigentümerin hievte eine Tüte aus dem Korb am Lenker. Es duftete nach frischem Brot. Sie zog eine Flasche Milch aus der Tüte und kniete nieder, um eine große Tasse auf dem Boden zu füllen. Das Tier schoss auf sein Frühstück zu. Das schien ein tägliches Ritual zu sein.

„Ich dachte, deine Katze frisst nur wehrlose Vögel“, sagte ich.

„Er jagt sie bloß. Er frisst sie nicht. Das ist eine Frage des Territoriums“, erklärte sie, als hätte sie ein Kind vor sich. „Was er wirklich mag, ist Milch. Nicht wahr, Kafka, Milch schmeckt dir?“

Zum Zeichen der Zustimmung leckte ihr das kafkaeske Katzentier die Hand. Sie lächelte warm, während sie ihm den Rücken streichelte. Dabei zeichneten sich in den Falten des Kleides ihre Muskeln ab. Nun schaute sie auf und ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte und mir mit der Zunge über die Lippen fuhr.

©S. Fischer©

Literaturangabe: 

ZAFÓN, CARLOS RUIZ: Marina. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main 2011. 352 S., 19,95 €.

Weblink:

S. Fischer Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: