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Der scharfe Blick der Frauen

Scharfsichtige Frauen fotografieren im Paris der 20er und 30er Jahre

© Die Berliner Literaturkritik, 30.01.11

Unda Hörner: Scharfsichtige Frauen. Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris. Edition Ebersbach, Berlin 2010, 145 S., 25 €, gebunden, ISBN 978-3869150246.

Von Roland H. Wiegenstein

Treffpunkt: Rue Campagne-Première, Paris. Dort wohnte und arbeitete in den Zwanziger Jahren Man Ray, der Guru der modernen Fotografie. Und dorthin zog es sie, die alle um die Jahrhundertwende geborenen Bürgertöchter aus Springfield/Ohio oder Bublitz/Westpreußen oder Frankfurt oder Poughkeepsie/New York – junge ehrgeizige Frauen, die meisten aus jüdischen Familien, die entschlossen waren, als Fotografinnen ihr Brot zu verdienen und womöglich bekannt zu werden.

Die meisten hatten nicht einmal eine solide handwerkliche Ausbildung; sie konnten gerade so mit einer Platten-Kamera umgehen oder mit einer der eben erst erfundenen Rolleys, die mit Kartouchen gefüttert wurden. Machte nichts, Man Ray nahm sie als Assistentinnen (sie durften in der Dunkelkammer seine Bilder entwickeln, aber sie lernten auch seine Tricks) und machten sich bald selbständig, fotografierten auf den Modeschauen und in den Straßen von Paris; einige mit einem auskömmlichen Monatsscheck von zu Hause, andere verdienten mit anderen Berufen ihr Geld. Was sie, so verschieden sie auch sein mochten, verband, war, dass sie sich an der richtigen Stelle, am richtigen Ort fühlten. Untereinander haben die meisten sich gekannt und saßen in den gleichen Bars, der „Coupole“, den „Deux Magots“ – zusammen mit den Männern: Dichtern, Malern, Avantgardisten allemal, sie gehörten dazu. Einige (wenige) hatten Ehemänner, „Familie“ kaum eine. Sie waren selbst eine Avantgarde der Emanzipation.

Die Zehn, die Unda Hörner in einem schönen Buch als „Scharfsichtige Frauen“ beschreibt, sind alle berühmt geworden, auch wenn sie in ihrem späteren Leben die Kamera beiseite legten und als Malerinnen oder Galeristinnen arbeiteten und auch, wenn ihr fotografisches Werk erst in ihren letzten Lebensjahren (die meisten sind alt geworden) wiederentdeckt und überall publiziert wurde. Denn die Zeitschriften (wie „Life“), bei denen viele als Reporterinnen arbeiteten, gibt es nicht mehr, so wenig wie die großen Modehäuser, die längst andere Namen haben.

Was Hörner an diesen Figuren offensichtlich fasziniert hat, ist ihre Unabhängigkeit, ihre Rolle als Protagonistinnen (oder später erst bewunderte Vorläuferinnen) des europäischen Feminismus der 20er und 30er Jahre, in dem Frauen mit Eigensinn und viel Talent auf der Bühne erschienen. Frauen wie Berenice Abbott, die später, in der großen Depression Ende der 3Oer Jahre, Manhattan fotografierte: die Veränderungen von „Big Apple“ ein für alle Mal nüchtern und präzise festhielt (und die nebenbei das umfangreiche Werk des Topografen des 19. Jahrhunderts, Eugène Atget, rettete, das ohne sie zerstreut worden wäre). Lee Millers fantastische Modefotos und die Erfindung des „solarisierten Fotos“, die sie gemeinsam mit Man Ray entwickelte, gehören heute zu den Inkunabeln der Fotografie genauso wie Germaine Krulls Bilder vom Eiffelturm, Florence Henris Collagen und Ilse Bings Reportagen, Marianne Breslauers wunderbare Straßenszenen aus Paris und Gisèle Freunds sprechende Porträts.

Viele dieser Bilder kennen wir, ohne die Namen derer noch zu kennen, die sie schufen. Nur eine Fotografin fällt aus der Reihe – und sie ist auch die am wenigsten bekannte unter den Zehn: Claude Cahun, deren surrealistische Arbeiten und deutlicher feministischer Anspruch den Chef der Bewegung, André Breton, eher verärgerten. Sie lebte während des Krieges auf der Kanalinsel Jersey, wurde wegen ihrer Arbeit für den französischen Widerstand erwischt und zum Tode verurteilt und entging nur durch Zufall dem Fallbeil. Die, die ihr in Arbeitsweise und Schicksal am nächsten kommt, Dora Maar, Picassos langjährige Freundin, hat vom Fotografieren gelassen, sich zurückgezogen und nur noch gemalt. Ré Soupault ging 1940 mit ihrem Mann Philipp nach Amerika, die Negative, die sie auf ihrer Flucht über Afrika retten konnte, hat sie erst Jahrzehnte später freigegeben. Die, die während des Krieges in Frankreich blieben, waren alle im Widerstand und arbeiteten nach ihrer oft abenteuerlichen Flucht aus dem besetzten Land als Kriegs-Reporterinnen in aller Welt.

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Die Auswahl, die Hörner getroffen hat, ist vortrefflich, ihre Darstellung der unterschiedlichen Lebensgeschichten, ihre Zuneigung zu ihren Objekten deutlich. Was man bedauern muss, ist, dass der Band so wenige Fotobeispiele enthält. Offenbar waren die Rechte für mehr zu teuer. Immerhin, die Autorin hat gut ausgesucht – es sind keine beiläufigen Bilder dabei. „Die Fotografien in ihrer von so vielen Anfechtungen ausgesetzten künstlerischen Entwicklung zeichnen sich dadurch aus, dass sie als spielerisches, formales Experiment begannen und im Lauf der Zeit an inhaltlicher Tiefe gewannen. Marianne Breslauers oder Ilse Bings Fotografien lassen sich vor dem Hintergrund des aufziehenden Faschismus und der Diktaturen als Plädoyers für das Individuum lesen und sind durchaus politisch. Jedenfalls sind sie mehr als harmlose Impressionen in Schwarz-Weiß. So ist allen zehn Fotografinnen noch eine weitere wichtige Eigenschaft gemeinsam: die Autonomie.“ So fasst Hörner ihre Studie zusammen: Sie hat damit recht, so recht wie mit ihrer Auswahl. Es ist nicht nur ein schönes, es ist ein wichtiges Buch geworden.


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