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Zehntausend Bomben auf Beirut

Rawi Hage schreibt einen erschütternden Roman über den Bürgerkrieg in Beirut

© Die Berliner Literaturkritik, 06.04.10

Von Alexander Kluy

Tatsächlich ist hier der Schutzumschlag des Buches wirklich stimmig. Der Kölner DuMont Verlag wählte für den Debütroman des 1964 geborenen, bis 1982 in Beirut beheimateten, heute in Kanada lebenden Rawi Hage (ausgesprochen „Haadsch“) ein giftigorangefarben eingefärbtes Panoramafoto von Beirut: Über den Hochhäusern dräuen gefährlich, ja dämonisch Wolken; eine Stadtautobahn schlängelt sich hindurch. Prä-Apokalypse? Post-Apokalypse?

Es ist Beirut, Anfang der 1980er Jahre: Bassam und George sind etwa 17, 18 Jahre alt. Sie wachsen in dieser Stadt auf, die als Vorhölle anmutet. Bombardements erschüttern die Stadt, Christen und Moslems beschießen sich, Gewalt ist grausamer Bestandteil eines erschütternd harten Alltags. George hat der Bürgerkrieg bereits zum Vollwaisen gemacht, Bassams Mutter lebt noch – und kommt, das schildert Hage mit hartem Realismus, im eigenen Haus um, als dieses von einer Bombe getroffen wird. Die Wege der seit früher Kindheit eng miteinander Befreundeten beginnen sich zu trennen. Während Bassam vom Ausland träumt – sein großes Sehnsuchtsziel ist Rom – gerät George in die Fänge der christlichen Falange, die allerdings mehr eine Gangstertruppe ist, deren Obere in teuren Limousinen, Gold behängt und von Bodyguards beschützt, durch die Stadt rasen und sich nehmen, wonach ihnen die kriminellen Sinne stehen und die Lüste. Bassam gerät ins Fadenkreuz der Christenfalange, wird arretiert, in deren Gefängnis geworfen, gefoltert, wieder entlassen.

Umgehend forciert er, nachdem er sich zumindest von den physischen Torturen erholt hat, seine Flucht. Besticht einen ägyptischen Kapitän, der ihn nach Marseille bringt. Er ruft in Paris an, gab ihm doch Georges Tante eine Telefonnummer mit, unter der er Georges leiblichen Vater, einen französischen Juden, in der Hauptstadt erreichen könne. Es meldet sich dessen Witwe, die ihn zu sich einlädt. Vor allem ihre Tochter Reah, Georges Halbschwester, will mehr über den ihr Unbekannten von Bassam erfahren. Es entspinnt sich eine Beziehung, halb genährt von Mitleid, halb vom Kitzel des exotischen Gastes aus einem Land, das in Selbstauslöschung und Binnenzerstörung begriffen ist. Auch hier greift Bassam, mehr und mehr geschüttelt von den in der Haft erlittenen Traumata, schließlich zu einem ihm bekannten Mittel – Gewalt. Er will sich Respekt verschaffen bei der mysteriösen Entourage Reahs, in dem ihn verwirrenden Paris. Hat er am Ende seinen Kopf aus der selbst geknüpften Schlinge gezogen, da er auf einem Bahnhof eine Fahrkarte löst nach Rom?

Rawi Hage hat für sein Buch 2008 den International IMPAC Dublin Literary Award erhalten, den weltweit höchstdotierten Literaturpreis für ein einzelnes Werk. Nicht ohne Grund, vermag er doch eine kraftvolle Prosa zu schreiben, die intensiv ist und bilderstark. Einschließlich grotesker Szenen wie der Schilderung einer Jagd von Milizen auf verwilderte Hunde mitten in Beirut. Er hat auch ein Ohr für Dialoge und Dialogführung.

Was ihm aber zusehends zerfasert, ist eine schlüssige, in die Tiefe gehende Psychologie. Woher Georges inzwischen entgrenzt durchbrechende Gewaltneigung stammt – er nimmt am Massaker im palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila teil –, bleibt so numinos wie andererseits seine Verzweiflung. Und im zu stark literarisierten Paris-Kapitel entfernt sich Bassam als Person immer stärker, nicht nur von der normalen Wahrnehmungswelt, sondern auch von den Sympathien des Lesers. Zu schroff, zu überzogen ist hier die Erzählkonstruktion dieses ansonsten erschütternden Welt-Pandämoniums.


Literaturangabe:

HAGE, RAWI: Als ob es kein Morgen gäbe. Aus dem Englischen von Gregor Hens. DuMont Verlag, Köln 2009. 256 S., 19,90 €.

Weblink:

DuMont Verlag

 

 

 


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