Von Thomas Maier
Die lateinamerikanische Literatur wird immer noch mit dem „Magischen Realismus“ von Gabriel García Marquez oder von Isabell Allende und Carlos Fuentes verbunden. Aber es gibt auch die wenig bekannten „Jungen Wilden“, die sich vehement gegen das Klischee wenden und stattdessen eine zeitkritische Literatur fordern. Zu dieser so genannten „Generation Crack“ gehört in Mexiko der 1968 geborene Jorge Volpi – ein europäisch geprägter Intellektueller, der schon in Paris Kulturattaché seines Landes war und heute den staatlichen mexikanischen TV-Kultursender leitet.
Wie so mancher Denkmalstürmer ist Volpi höchst ehrgeizig: In seinem neuen Roman „Zeit der Asche“ versucht er, praktisch das gesamte 20. Jahrhundert mit allen Katastrophen und Herausforderungen literarisch im Brennglas zu bündeln. Damit nicht genug: Für einen männlichen Autor eher ungewöhnlich hat er für sein gesellschaftliches Epos die Sicht von drei Frauen gewählt.
Einmal geht es um eine sowjetische Biologin, die mit ihrem Mann den atomaren GAU von Tschernobyl am eigenen Leib erlebt. Die zweite Protagonistin ist eine ehrgeizige amerikanische Ökonomin, die im Dienste des Internationalen Währungsfonds Karriere macht. Dritte Hauptfigur ist eine aus Ungarn stammende Wissenschaftlerin, die für einen US-Biotechnologiekonzern das Geheimnis des menschlichen Genoms entschlüsseln will.
Volpi entwirft ein gewaltiges Panorama über mehrere Kontinente hinweg: Es geht um den Stalinismus und den Zerfall der Sowjetunion. Die Finanzjongleure an der Wall Street sind genauso Thema wie die neureichen russischen Oligarchen. Zugleich verknüpft Volpi dies vor dem Hintergrund der privaten Beziehungsprobleme seiner drei Frauen mit der Frage nach den ethischen Grenzen der heutigen Wissenschaft – ob in der Computertechnik oder Atom- und Biotechnologie.
Eindrucksvoll breitet Volpi im Buch sein unglaubliches Wissen aus. Doch letztlich scheitert der Autor an seinen hohen Ansprüchen. Er hastet atemlos durch die Zeitgeschichte, um viele lose Enden verknüpfen zu können. Dies gelingt dem routinierten Schreiber nur auf Kosten der literarischen Glaubwürdigkeit. Die Figuren bleiben zu schematisch und die Handlung zu konstruiert. Und der Roman kann sich nicht richtig entscheiden, ob er jetzt Wissenschafts- oder Politkrimi oder doch eher globales Epos sein will.
Literaturangabe:
VOLPI, JORGE: Zeit der Asche. Übersetzt aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser und Kirstin Bleiel. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009. 512 S., 24,90 €.
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