Von Elke Vogel
BERLIN (BLK) - Das Navi ist schuld. Philipps Vater musste ja auch mal wieder das Billigste kaufen. So steckt ihr Auto plötzlich fest in einer zähen, süßen Pampe irgendwo im Nirgendwo. Und hinter dieser Wand aus Grießbrei tut sich eine Welt auf wie im Märchen: Die Hausdächer sind mit Pfannkuchen gedeckt, die Brückengeländer aus Würstchen, im Bach schwimmen Fischstäbchen und über die Wiese rennt ein fröhlich quietschendes Spanferkel mit Messer und Gabel im Rücken. Doch dieses Schlaraffenland ist gar nicht so märchenhaft wie es den Anschein hat.
„Aufruhr im Schlaraffenland“ heißt der neueste Kinderroman der Berliner Autorin Sabine Ludwig. Wie schon in „Der 7. Sonntag im August“, „Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft“ oder „Die schrecklichsten Mütter der Welt“ kommt die 56-Jährige auch dieses Mal ganz ohne Vampire, Drachen und Zauberer aus, um das Fantastische im stinknormalen Alltag zu entdecken.
Gemeinsam mit der selbstbewussten Samantha (ausgesprochen Zementa) aus Berlin-Neukölln entdeckt der wohlbehütete Philipp aus Herne, dass ein skrupelloser Tourismusmanager aus dem unentdeckt in Deutschland schlummernden Schlaraffenland einen lukrativen Ferienclub inklusive Jungbrunnen machen will - doch das würde das Ende für die faulen, liebenswerten Einwohner des Märchenlandes, genannt Schlaraffen, bedeuten.
Das 27. Kinderbuch von Sabine Ludwig basiert auf Bechsteins Schlaraffenland-Märchen. Doch für die meisten Kinder dürfte die Geschichte neu sein. „Kinder kennen keine Märchen mehr“, beklagt Ludwig. Die märchenhaften Vampir- und sonstigen Fantasyromane sind für Ludwig „einfach nur die Fortsetzung der Pferdebücher“. In einer übersexualisierten Welt seien die meist prüden Romane ein Zeichen für die Sehnsucht nach Keuschheit und Geheimnis.
Kinder und Jugendliche gingen zwar souverän mit der Medienflut um. Dabei bleibe ihnen aber zu wenig Zeit für die eigene Fantasie. „Ich finde, Kinder sollten ein Recht auf Langeweile haben“, sagt Ludwig. „Aus Langeweile entsteht oft etwas Kreatives, auch wenn das den Eltern dann nicht immer gefällt“, so die Schriftstellerin. „Ich wünsche Kindern Zeit, um Löcher in die Luft zu gucken.“
Und woher kommen die Ideen von Sabine Ludwig? „Ich erlebe eigentlich gar nichts. Mache keine großen Reisen, erlebe keine Abenteuer“, sagt sie. „Meine Ideen sind mein Alltag.“ Und Ludwig verrät: „Ich neige dazu, fremde Gespräche zu belauschen“ - in der U-Bahn oder im Café.
Ludwigs Geschichten haben immer einen doppelten Boden, und das macht sie auch für Erwachsene so spannend. „Meine Bücher sind Mogelpackungen“, gibt die Autorin zu. Hinter der witzigen, mit viel Ironie gespickten Erzählung sind wie bei Erich Kästner immer die Probleme zu spüren, mit denen Kinder heutzutage zu kämpfen haben. Getrenntlebende Eltern, eine demente Oma, gestresste und überforderte Mütter oder gierige Manager, für die Geld mehr zählt als Lebensgenuss, - all diese Lebenswirklichkeiten finden sich in Ludwigs Romanen wieder.
Literaturangabe:
LUDWIG, SABINE: Aufruhr im Schlaraffenland. Cecilie Dressler Verlag, Hamburg. 256 S., 13,95 €.
Weblink:
Homepage der Autorin Sabine Ludwig