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Zeitreise

Als Mozart auf dem Sterbebett

© Die Berliner Literaturkritik, 29.03.10

Berlin (BLK) – Im Sommer 2009 ist Eva Baronskys Roman „Herr Mozart wacht auf“ im Aufbau Verlag erschienen.

Klappentext: Am Vorabend noch hat er auf dem Sterbebett gelegen. Nun erwacht Wolfgang an einem unbekannten Ort und – wie ihm nach und nach klar wird – in einer fremden Zeit. Die Ungeheuerlichkeit seiner Zeitreise ins Jahr 2006 kann er sich nur mit einem göttlichen Auftrag erklären: Er soll endlich sein Requiem beenden. Als wunderlicher Kauz und lebender Anachronismus irrt Wolfgang durch das moderne Wien, wagt nicht mehr, sich Mozart zu nennen, und scheitert an U-Bahntüren und fehlenden Ausweisen. Einzig die Musik dient ihm als Kompass, um sich in der erschreckend veränderten Welt zu orientieren. Zur Seite stehen ihm ein polnischer Stehgeiger, das Mädchen Anju und seine Lust, hergebrachte Harmonien auf den Kopf zu stellen. Doch je länger sich Wolfgang in der fremden Zeit aufhält, desto drängender wird die Frage, was ihn erwartet, wenn er das Requiem vollendet hat.

Eva Baronsky, 1968 geboren, studierte Innenarchitektur und Marketing-Kommunikation und war zuletzt selbständig als Beraterin für Kommunikation und Journalistin. Sie lebt im Taunus. „Herr Mozart wacht auf“ ist ihr erster Roman.

Leseprobe:

©Aufbau Verlag©

Präludium

Der Tod ist ein kalter Bruder.
Mit klammen Fingern packt er ihn, zerrt ihn, schüttelt ihn, dass ihm die Zähne aufeinander schlagen.
Oder sind es Sophies Arme, die unter seine Schultern greifen? Er fühlt, wie sie ihn anhebt, die zarte Person, damit Constanze sein schweißkaltes Hemd wechseln kann.
Lasst mich, will er sagen, doch mehr als ein mattes Stöhnen bringt er nicht heraus. Wie soll er all das vollführen, was noch zu tun ist, wenn er nicht einmal mehr weinen kann?
Die harten Schläge von Pferdehufen, sonst ein willkommener Taktwechsel, martern seinen Schädel, als träte der Gaul selbst auf ihm herum.
„Er kommt, dem Herrn sei Lob und Dank!“
Ein Luftzug sagt ihm, dass Sophie aufgesprungen ist, dass Kerzenflammen die Schatten durch den Raum jagen, und er spürt, wie Constanzes Hände die seinen umklammern, als könnten sie ihn festhalten. Er lässt die Augen geschlossen, dennoch weiß er um den Ausdruck ihres Gesichts, der Ton ihrer Stimme verrät die Tränen, die sie mühsam zurückhält, verrät den Wahn, der sie zu packen droht. Kraftlos hebt er die Lider, erkennt schemenhaft das vertraute Antlitz im Schein der Wachslichter. Reichlich Kerzen haben sie entzündet. Der Tod ist ein schwarzer Bruder.
Mühsam reckt er den Arm, vergebens, er reicht nicht mehr an Constanzes Wange, sein Körper ist schwer geworden, als gehöre er einem anderen.
Es pocht hart gegen die Tür, er erschrickt, zuckt und kann sich doch nicht bewegen. Will sich aufbäumen, liegt indes ergeben und weiß, er wird dort liegen bleiben.
Eine Hand wiegt schwer und kalt auf seiner Stirne.
„Tücher sind vonnöten. Auch kaltes Wasser. Rasch.“ Die Stimme des Doktors, aber der wird ihm nicht helfen können.
„Clos-set.“ Ein Röcheln, mehr gelingt ihm nicht.
„Lieber Mozart, bleiben Sie liegen.“
Was sollte er auch anderes tun? Clossets kalte Hände greifen seinen Arm, schieben das Plumeau zur Seite, betasten sein Bein.
Der Doktor spricht nurmehr leise. „Er hat der schlechten Säfte zu viel, derer er sich zu entledigen sucht.
Der Aderlass wird ihm Erleichterung verschaffen.“
So sehr er sich auch abplagt an einem Nein, sein Protest bleibt ungehört.
„Wohin mit den Tüchern?“ Auch von Sophie kommt nur ein Flüstern. Als hätte eine reizende Frauenstimme ihm je das Leben nehmen können.
„Macht Wickel. Ist das Wasser kalt? Den Kopf kühlt ihm, die Stirne auch.“
Er fühlt die Pfanne an seiner Wade, die Kraft reicht nicht zum Wehren.
Schon spürt er den kleinen Schmerz des Schnittes. O diese Blutrünstigen! Noch kälter wird ihm, als liefe mit dem Blut die letzte Wärme, der letzte Rest an Lebenskraft aus ihm heraus.
Bald versteht er nicht mehr, was gesprochen wird, nur ein schwaches Murmeln, als sei er längst fort. Der Tod ist ein stiller Bruder.


Requiem

Requiem aeternam dona eis, Domine
et lux perpetua luceat eis
Te decet hymnus,
Deus, in Sion
et tibi reddetur votum in Jerusalem

Als er zu Bewusstsein kam, fror er nicht mehr. Das Gemurmel hielt noch immer an, doch klang es unvertraut - waren fremde Stimmen hinzugekommen? Er drehte sich behutsam zur Seite, zu seiner Verwunderung gelang es ihm schmerzfrei und ohne Anstrengung. Auch die alles verzehrende Mattigkeit war wie weggeblasen, als sei er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. Dabei hatte er das Gefühl, nur einen Augenblick eingenickt zu sein. Sollte der alte Doktor Closset ihm gegen jede Erwartung geholfen haben? Freude durchfuhr ihn wie unverhoffte Novembersonne.
Die Crisis war überwunden!
„Stanzi…“ Er sprach leise, um sich nicht zu überanstrengen, doch schon während er es sagte, war ihm klar, dass er mühelos laut nach ihr hätte rufen können. Schritte näherten sich, er blinzelte, schloss aber gleich wieder die Lider, das helle Licht blendete.
„Er kommt zu sich, na endlich.“
Die Stimme – es war weder Stanzis noch Sophies – klang fremd, zweieinhalb Oktaven zu tief, aber zumindest verstand er die Worte klar.
„Stanzi“, gab er zur Antwort und bemühte sich um ein Lächeln, „Stanzi, so hat er endlich ein Gegengift gefunden?“
„Der hat ja Humor.“
Jemand lachte, dann wurde er sachte am Arm gerüttelt. „Alles klar, Mann?“
Zaghaft öffnete er das rechte Auge. Ein Gesicht, ihm völlig fremd, beugte sich über ihn. „Der Closset hat ein Wunder gewirkt“, hauchte er.
„Was? – Scheiße, Mann, hat der etwa …?“ Mit einem Ruck zog man ihm die Decke fort und gab ihn der Kälte preis wie ein nacktes Tier.
„Reg dich ab, der ist immer noch auf dem Trip, lass ihn weiterpennen.“ Die Decke senkte sich wieder herab.
„Na, der kann was erleben! Ruht sich aus, während wir die Arbeit machen.“

 ©Aufbau Verlag©

Literaturangabe:

BARONSKY, EVA: Herr Mozart wacht auf. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 320 S., 19,00 €.

Weblink: Aufbau Verlag


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