Werbung

Werbung

Werbung

Zeugnisse einer Freundschaft

Paul Celan und seine Jugendzeit in Czernowitz

© Die Berliner Literaturkritik, 09.09.10

Von Roland H. Wiegenstein

Paul Celan – und kein Ende. Je höher das Ansehen des Dichters steigt, desto mehr aus seinem Leben und seinem Werk kommt ans Tageslicht, obwohl doch sein Sohn Eric, Bertrand Badiou und der Suhrkamp Verlag, die eine historisch-kritische Ausgabe der Werke des 1970 durch Freitod in der Seine Gestorbenen herausgegeben haben, eine Art von Deutungs-Monopol behaupten: ohne Frage haben sie Bedeutendes geleistet. Gleichwohl gibt es vor allem aus Paul Celans Jugendzeit in Czernowitz Erinnerungen an den Dichter, die sich diesem Monopol entziehen (auch aus den Pariser Jahren sind sie etwa in den Erinnerungen von Brigitta Eisenreich erhalten): Celans vielfältige Liebesbeziehungen machen die „Überlieferung“ kompliziert, zumal er seinen wechselnden Freundinnen Gedichte von seiner Hand geschenkt hat – auch solche, die in den zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Bänden entweder gar nicht oder in anderen, womöglich späteren Fassungen existieren. Kopfzerbrechen für die Philologen. Wobei die Abweichungen in aller Regel nur Kleinigkeiten, etwa die Zeichensetzung betreffen. Solchen Quisquilien verdankt sich auch das von Edith Silberstein und Amy-Diana Colin, einer amerikanischen Germanistin, herausgegebene Buch „Zeugnisse einer Freundschaft“. „Die primäre Zielsetzung dieser Publikation ist es, einen Einblick in Celans frühe Schaffensphase zu geben und einen wichtigen Abschnitt im poetischen Transformationsprozeß seiner Lyrik zu verdeutlichen.“

Es geht dabei um Gedichte, die Celan Anfang der vierziger Jahre seiner damaligen Freundin Edith Silberstein dediziert hat, und die in der Historisch-Kritischen Ausgabe Abweichungen aufweisen. Amy-Diana Colin hat sich die größte Mühe gegeben, sie aufzufinden und tabellarisch darzustellen und im Faksimile abzubilden, stellen sie doch in aller Regel die früheste niedergeschriebene Form dieser Gedichte dar. Sie wirft den offiziellen Herausgebern vor, sich mit Silberstein nicht ins Benehmen gesetzt zu haben, obwohl doch auch diese als Übersetzerin mit dem Suhrkamp Verlag verbunden gewesen ist und diesen ihre Mitarbeit angeboten hat. Insofern ist dieses Buch auch eine der nicht seltenen Zänkereien zwischen Herausgebern, die, so betrüblich sie sein mögen, in Nachlassfragen wohl beinahe unvermeidlich sind. Bestünde diese Geschichte einer Freundschaft nur daraus, sie wäre allenfalls für Spezialisten und Celan-Philologen interessant.

Doch Edith Silberstein war eine erstaunliche Frau, deren Leben es verdient, von ihr selbst und Colin der Vergessenheit entrissen zu werden, zumal Celan selbst in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder mit ihr, der längst mit dem Anwalt Jacob Silberstein Verheirateten, in Kontakt kam, den beiden nach seinen Fähigkeiten half, als sie Czernowitz verließen und versuchten, im Westen Fuß zu fassen; die beiden haben sich schließlich in Düsseldorf niedergelassen. Edith, geboren 1921, die als Schauspielerin und Übersetzerin arbeitete, ehe sie 2008 starb, hatte Germanistik an der Universität Czernowitz und Musik am Konservatorium studiert, ehe die Rassegesetze der Nazis 1941, nach deren Einmarsch in die Stadt, beides verboten. Sie unterrichtete an einer Musikschule, stets gewärtig, abtransportiert zu werden. Nach 1945 arbeitete sie am „Yiddischen Kunst Theater“ mit großem Erfolg, 1948 machte sie ihr philologisches Examen an der Universität  Bukarest und heiratete den Anwalt Silbermann. Sie trat weiter am Theater auf, wurde aber auch Studienrätin, floh 1963 mit ihrem Mann nach Wien. Von dort nach Düsseldorf, wo sie Dozentin für Deutsch und Rumänisch an der Volkshochschule, als Übersetzerin und Rezitatorin arbeitete. Vor allem osteuropäische Autoren versuchte sie mit Vorträgen, Rezitationen und Radiosendungen bekannt zu machen. Dafür erhielt sie den Andreas-Gryphius-Preis.

Ein schwieriges, bewunderungswürdig gemeistertes Leben, 1993 veröffentlichte sie ihre „Begegnung mit Paul Celan“, 2003 ein Buch über Rose Ausländer. In ihrem „Zeugnisse“-Buch stehen „Erinnerungen an Paul Celan“, die ergänzt durch „Mythen in der Celan-Forschung“ ihre eigenen, weithin vergeblichen Bemühungen schildern, diejenigen Zeugnisse, die in ihrem Besitz geblieben waren, einzubringen und oft publizierte „Legenden“ über Celan und Czernowitz aus eigener Erfahrung zu destruieren. Dass sie dabei die Celan-Herausgeberin Barbara Wiedemann ebenso höflich wie entschieden auf deren „Fehler“ aufmerksam macht, ist umso verständlicher, als ihr diese vom Verlag vorgezogen wurde. Die Bitterkeit musste sie loswerden. Für uns, die wir keine Philologen, sondern nur Leser von Dichtung sind, ist Silbermanns Bericht spannend, weil er viel vom geistigen Klima jenes Czernowitz enthält, das in den Jahren vor den Kriegen in der Tat ein wichtiges kulturelles Zentrum war. („Im Grunde stammen wir doch alle aus Czernowitz“, hat Hannah Arendt, die in Königsberg aufgewachsene Philosophin einmal gesagt.) Czernowitz ist geradezu zu einer Chiffre für ein Alteuropa geworden, dessen Kultur und Geistigkeit einzigartig waren – und die noch Paul Celan, den Spätgeborenen nie losgelassen hat.

Insofern ist das Buch von Silbermann/Colin, dessen Fertigstellung die Hochbetagte in Düsseldorf nicht erleben durfte, ein wichtiges Zeugnis, Philologie hin und her.

Literaturangabe:

COLIN, AMY-DIANA; SILBERMANN, EDITH (HRSG.): Paul Celan – Edith Silbermann. Zeugnisse einer Freundschaft. Wilhelm Fink Verlag, München 2010. 366 S., 39,90 €.

Weblink:

Wilhelm Fink Verlag

 


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: