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Zu radikal für seine Zeit

Tennessee Williams wäre jetzt 100

© Die Berliner Literaturkritik, 24.03.11

Von Gisela Ostwald

NEW YORK (BLK) - Zwei Jahrzehnte wartete Tennessee Williams vergeblich auf den Erfolg, den ihm „Endstation Sehnsucht“ und andere Frühwerke beschert hatten. Nichts wollte mehr gelingen. Ein halbes Dutzend Theaterspiele, die der einst gefeierte Dramatiker von 1962 bis zu seinem Tod 1983 schrieb, hielten sich zusammen noch nicht einmal 100 Tage am Broadway und in Off-Broadway-Theatern. Williams war 71, als er in einem New Yorker Hotel starb, einsam, enttäuscht, von Alkohol und Medikamenten abhängig.

Zu seinem Geburtstag, der sich am 26. März zum 100. Mal jährt, wird seinem Gesamtwerk die Anerkennung zuteil, die der moderne Klassiker zuletzt so schmerzlich vermisst hatte. Drei späte Stücke, „The Milk Train Doesn't Stop Here Anymore“, „Vieux Carré“ und „Small Craft Warnings“, kommen derzeit in Manhattan auf die Bühne. Gewürdigt wird Williams auch durch Ausstellungen in New York, London und Austin (Texas) sowie mit einem literarischen Festival in New Orleans.

So gewährt die Morgan Bibliothek (New York) Einblick in das Tagebuch, das Tennessee im Februar 1955 begann und mit Einträgen zu seinem körperlichen und emotionalen Verfall, zu seinen vielen sexuellen Abenteuern und dem quälenden Mangel an Ideen füllte. Eine Kostbarkeit ist auch das Originalmanuskript seines Erfolgsstückes „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ mit einer erotisch explosiven Szene zwischen Big Daddy und seiner Schwiegertochter, die noch vor der Premiere am Broadway dem Rotstift anheim fiel.

Obwohl nicht autobiografisch angelegt, reflektieren Williams Dramen, Romane und Kurzgeschichten immer die eigenen Ängste und Zwänge, seine homosexuellen Traumata, die inzestuöse Neigung zur später geisteskranken Schwester Rose, die Schrecken des zerrütteten Elternhauses und die Unentrinnbarkeit aus der bigotten, südstaatlichen Moral. Tennessee, wie er sich als Künstler nannte, wagte sich in einer Zeit, als dies noch tabu war, an die Darstellung häuslicher Gewalt, roher Sexualität und geistiger Verwirrung. Einige seiner jetzt gezeigten Schriftstücke aus der Nachkriegszeit lassen erkennen, wie schwer sich auch Londons Theaterwelt mit dem schwulen Amerikaner tat. Sein „Blechdach“-Script passierte die britische Zensur erst nach 31 Textänderungen

Williams Mutter brüstete sich in einem Buch („Remember Me to Tom“) mit dem erfolgreichen Sohn mit den Worten: „Es gibt keine niederträchtige Tat, die mein Sohn nicht beschrieben hat“ und fügte gleich eine Liste hinzu: „Mord, Kannibalismus, Kastration, Wahnsinn, Inzest, Vergewaltigung, Untreue, Nymphomanie und Homosexualität.“ Williams ging neue Wege und war seiner Zeit oft weit voraus, vermutlich deshalb ließ das vernichtende Echo nie lange auf sich warten.

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1975 äußerte sich Williams in einem Interview zu dem Chaos in seinem Leben unter anderem durch den Tod seines langjährigen Geliebten Frank Merlo. „Meine Theaterstücke aus den 40er und 50er Jahre waren relativ konventionell, weil ich selbst noch ausgeglichen war. Damals hatte die schreckliche Phase meiner fast klinischen Depression noch nicht eingesetzt. Aber je verzweifelter ich wurde, desto mehr musste ich meinen Stil ändern. Denn mein Zustand passte einfach nicht mehr zu dem herkömmlichen Muster eines Dramas.“

Thomas Lanier Williams war 1911 als Sohn einer ehemaligen Provinz-Schönheitskönigin und eines zu Jähzorn und Trunksucht neigenden Schuhverkäufers zur Welt gekommen. Er studierte und überlebte durch Gelegenheitsjobs, bis 1944 mit dem Bühnenwerk „Die Glasmenagerie“ der verdiente Durchbruch kam. 10 bis 15 Jahre lang galt er als der größte Autor des amerikanischen Theaters. Unter seinen bekanntesten Werken sind auch „Die tätowierte Rose“, „Casino Real“ und „Plötzlich im letzten Sommer“. Zwei Mal wurde Williams mit dem Pulitzer Preis belohnt. Hollywoodstars wie Marlon Brando, Elizabeth Taylor und Vivien Leigh verhalfen den Filmversionen seiner Stücke zu Weltruhm. (jjr/dpa)


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