Von Anna Gerstlacher
Verstörend sind die Titelseiten beider Bücher: Auf der einen der Plastikfuß einer Puppe im vertrockneten Gras, auf der anderen ein zersplitterter Baumstamm, der entfernt an einen zerfetzten Männerkörper erinnert. Auffallend, aber nicht unbedingt werbeträchtig, den in den Büchern behandelten Themen jedoch durchaus angemessen.
In dem schmalen Gedichtband mit dem sperrigen Titel „Wie Männer mich lehrten die Bombe zu halten und ich sie fallen ließ“ widmet sich die Autorin in mehreren Gedichten Steinen. Es geht nicht um gewöhnliche Steine, sondern um jene, mit denen nach den Gesetzen der Scharia auf Frauen geworfen wird. Glasklar und unbeirrt hebt Jenny Schon den Schleier der Verblendung und sieht die Freiheit, eine Freiheit „über sechs Kinder und eine Wäschetruhe. Einkaufen tut der Mann“. In ihrer prägnanten Lyrik spannt sie den Bogen von Berlin-Kreuzberg über den Bosporus, in den Orient, wo „Frauen nicht alleine auf die Straße, nicht lesen, nicht schreiben, nicht leben“ dürfen. Die Autorin wagt sich hinaus in die Welt, im Schlepptau die iranische Neda, die türkische Sürreya, die österreichischen Töchter von Fritzl, die Frauen in Palästina Dabei durchläuft sie ferne weite Wüsten, um dann schließlich durch enge Gassen bei sich selbst in Berlin anzukommen.
Der Sprachlosigkeit dieser Frauen, deren Überforderung, Einsamkeit und Missverständnisse stellt Jenny Schon die Agitprop der Studentenbewegung der 60er Jahre, das nachfolgende „make love not war“ gegenüber und prangert sie an: „schweig über den klau meiner wörter – du griffst auch meine vielfalt – einfältiger du – ich lass dir die – lüge von der dreifaltigkeit“.
Ein weiteres Thema ihrer lyrischen Beobachtungen ist der 9. November 1918, 1938 und 1945 („Eine deutsche Zählung“); überraschender- und interessanterweise nicht den 9. November 1989. Doch bereits in der Einleitung bekennt Jenny Schon, dass der Fall der Mauer in Berlin für sie weniger Bedeutung hatte als die Verhängung der Fatwa gegen Salman Rushdie im 20. Jahrhundert.
Lässt die Berliner Autorin in ihren Gedichten durch die Dichte der Worte, die Komplexität der Reime, die Konsequenz der Themen kein Entkommen, kein Aufatmen, kein Abspannen zu, führt sie uns im Gegensatz dazu in ihrem Roman „Die Sammlerin“ in epische Breiten.
Eine andere Zeit, eine andere Thematik ist angesagt. In dem biografisch angelegten Roman gräbt Jenny Schon alias Beata Pütz von der Gegenwart ausgehend in ihrer Vergangenheit. Stein für Stein wird angehoben und hinterfragt, bis zum Schluss ein Puzzle zusammen gelegt ist, das vor allem ein die jüngere deutsche Geschichte betreffendes Thema gründlich durchleuchtet: Die Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland.
Erst die Wende, d.h. der Mauerfall, machte es möglich, dass Beata Pütz wiederholt ins böhmische Riesengebirge fahren kann. Bald erweisen sich die Spuren ihrer Vorfahren als zu eng. Die Scheuklappen werden abgelegt. Sie geht weit in die Geschichte zurück und schildert, wie die heilige Hedwig (Schutzpatronin von Polen und Schlesien) von Mongolenhorden bedrängt und ihr Sohn geköpft wird. Anhand ihres eigenen „Mongolenflecks“ wird Beata Pütz klar, weshalb sie sich im Studium mit Asien, vor allem mit China, beschäftigt hat. Zurück im historischen Hier und Jetzt greift sie auch aktuelle Themen auf, beispielsweise Schlepperbanden im tschechisch-polnischen Grenzgebiet. Geschickt lenkt die Autorin das Spiel zwischen Gegenwart und der Vergangenheit, so dass nicht nur historische Erkenntnisse, sondern auch gegenwärtige Fragen und Probleme angesprochen, erörtert und erklärt werden.
Auf sehr subtile Weise steht die Geschichte einer individuellen Flucht für das Gesamtdrama dieses historischen Abschnitts deutscher Nachkriegsgeschichte. Der brüchige Begriff der Heimat und der aus Mitteleuropa nicht wegzudenkende Einfluss christlicher Religionen füttern nicht nur die literarische Ambition, sondern steuern auch den Lauf der Entwicklung der Protagonistin und der Erzählstränge. Ihre materiellen Fundstücke und die im Lauf eines Lebens angesammelten Erkenntnisse bringen Beata Pütz am Ende auf einen überraschenden Weg, der sich zu Beginn der Handlung nicht abzeichnet. „Auch der falsche Weg ist ein Weg“ konstatiert die Autorin nüchtern.
Lehrreich und an keiner Stelle langweilig, lässt sich dieser ungerade und verzweigte Lebensweg mit all seinen physischen Ausflüchten und literarisch-philosophischen Betrachtungen ohne Unterlass nachvollziehen. Allen, die sich der Aktualität und der Brisanz der Themen stellen, ist eine interessante und gewinnbringende Auseinandersetzung garantiert. Sie lernen in Jenny Schon nicht nur eine engagierte und differenzierte Romanautorin, sondern auch eine sensible und prägnante Lyrikerin in einer Person kennen.
Literaturangaben:
SCHON, JENNY: Wie Männer mich lehrten die Bombe zu halten und ich sie fallen ließ: Gedichte. Geest Verlag, Vechta 2009. 106 S., 10 €.
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SCHON, JENNY: Die Sammlerin. trafo Literaturverlag, Berlin 2009. 313 S., 13,80 €.
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