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Zurück zur Natur

Ein Handbuch für Aussteiger

© Die Berliner Literaturkritik, 19.01.11

Berlin (BLK) – Im Verlag Rogner & Bernhard erschien im Oktober 2010 „Die Faultiermethode. Ein Manifest gegen die alltägliche Diktatur des Geldes“ von Dolly Freed. Das Buch wurde aus dem Amerikanischen von Yamin von Rauch übersetzt.

Klappentext: Seit es sich herumgesprochen hat, dass die fetten Zeiten vorbei sind, werden wir von Büchern bombardiert, die uns beibringen wollen, wie man den Gürtel enger schnallt. Ja, Radfahren ist billiger als Autofahren, Kartoffelsuppe günstiger als Hummer, und Urlaub braucht nur der, dessen Alltag unbefriedigend ist. Hier ist nun endlich ein Buch, das man getrost als Klassiker der Aussteiger-Literatur bezeichnen kann. Geschrieben von einem Mädchen, das mit ihrem Vater auf ein Stückchen Land in Philadelphia zieht und dort ein Leben als Selbstversorger aufbaut. Ohne jeden ideologischen oder missionarischen Geist, aber mit großem Witz schildert Dolly wie Hasen und Hühner gezüchtet, geschlachtet und zubereitet werden, wie man Fische fängt und Gemüse einlegt. Zum Trinken und als Medizin gibt es selbst gebrannten Schnaps. Wer also glaubt, dass nur Hippies oder Soja-Freaks der alltäglichen Diktatur des Geldes entkommen wollen, sollte sich von diesem Buch inspirieren lassen, das der simplen Überzeugung folgt: Es ist einfacher, auf manche Dinge zu verzichten, die man mit Geld kaufen kann, als das Geld zu verdienen, um sie zu kaufen.

Dolly Freed schrieb „Die Faultiermethode“ 1978 im Alter von 18 Jahren. Das Buch wurde ein großer Erfolg und avancierte bald zum Klassiker. Nach 5 Jahren Aussteigerexistenz studierte sie und arbeitete in mehr oder weniger „bürgerlichen“ Berufen, wie Raumfahrtingenieurin bei der Nasa oder Umweltpädagogin. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in Texas.

Leseprobe:

©Rogner & Bernhard©

Einleitung

Viele Menschen, vielleicht auch Sie, sind ihrer Veranlagung nach für die Hetze eines Achtstundentags nicht geeignet, glauben jedoch, es gäbe keine andere Möglichkeit, sein Leben zu verbringen. Da sie zu stolz sind, um Almosen anzunehmen (Sozialhilfe, Essensmarken), und es für sie nicht in Frage kommt, sich einer Hippiekommune anzuschließen, in der Wildnis Pionierarbeit zu leisten oder in Geschäften zu machen, legalen oder illegalen – was bleibt da noch übrig? Andere wieder sind arbeitslos und deshalb ganz krank vor Sorge. Sind diese Gedanken und Ängste tatsächlich begründet?

Warum denken die Leute bloß immer, man müsse in einer trostlosen Wildnis leben, ein Hippie oder ein geselliger, arbeitsamer Zurück-zur-Natur-Freak sein, der Sojabohnen und Joghurt liebt, um sich der Geldwirtschaft weitgehend zu entziehen? Mein Vater und ich haben ein Haus auf einem knapp einen Morgen großen Grundstück, 40 Meilen außerhalb von Philadelphia, Pennsylvania (das man kaum eine Pioniersiedlung nennen kann), wir halten eine bürgerliche Fassade aufrecht und kommen ohne einen Job oder ein regelmäßiges Einkommen – und ohne hart zu arbeiten – gut zurecht. (Natürlich kann die Formulierung „gut zurechtkommen“ auf verschiedene Weise interpretiert werden. Wir finden jedenfalls, dass es so ist – auch wenn andere nicht dieser Meinung sein mögen.)

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Ein wesentlicher Aspekt unseres Wohlbefindens besteht darin, dass wir die Wirtschaftsnachrichten hören können, ohne zu denken, das Ende der Welt sei nahe. Die maßgeblichen wirtschaftlichen Indikatoren, die Zahlungsbilanzen, die Energiekrise, Inflation und Arbeitslosigkeit, das Bruttosozialprodukt – was geht’s uns an? Jeden Abend um 18 Uhr tischen uns die Ökonomen, die eigentlichen Nachfahren der scholastischen Theologen des Mittelalters, ihren Unfug auf und präsentieren das Ganze so feierlich, als sei es von kosmischer Bedeutung. Warum bloß? Schließlich lebte die Menschheit schon seit Tausenden von Jahren auf der Erde – und meist gar nicht so schlecht –, bevor das Dogma des „Wachstums“ und der Rest unseres heutigen Wirtschaftskatechismus überhaupt erfunden wurden.

Mein Vater und ich produzieren die meisten unserer Nahrungsmittel und alle unsere Getränke (und es sind gute Nahrungsmittel und Getränke, wenn ich das so sagen darf) selber und geben im Jahr nur 700 Dollar aus. Und wie gesagt, wir finden, dass wir gut leben. Obwohl wir nicht allzu religiös sind, beherzigen wir den biblischen Rat: „Denn ein jeglicher Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut in aller seiner Arbeit, das ist eine Gabe Gottes“ (Prediger 3:13).

Man beachte: Es heißt „Gott“ und nicht „Bruttosozialprodukt„.

Wir sind keine Zauberer. Wir tun nichts, was jeder andere halbwegs geschickte Mensch nicht auch tun könnte – Sie zum Beispiel.

In diesem Buch werden Sie viele praktische Informationen dazu finden, wie man Geld spart, aber das ist nicht mein einziges Anliegen. Offen gesagt möchte ich Sie dazu anregen, sich selbst einige Gedanken dar über zu machen, wie sehr die Wirtschaft die Richtung Ihres eigenen Lebens bestimmt, heute und im bevorstehenden „Zeitalter des Mangels“.

1. Wir steigen aus

Kennen Sie die Geschichte von Diogenes, diesem Spinner aus dem alten Athen? Er war derjenige, der all seine Besitztümer verschenkte, denn „nicht der Mensch hat den Besitz, sondern der Besitz hat den Menschen“. Er hatte einen Trinkbecher, aber als er sah, wie ein Kind Wasser mit der Hand schöpfte, da warf er den Becher weg. Um der Immobilienkrise ein Schnippchen zu schlagen, stellte er ein herrenloses Weinfass in einem öffentlichen Park auf und wohnte fortan darin.

Das zentrale Thema von Diogenes’ Philosophie lautete: „Die Götter gaben den Menschen ein einfaches Leben, aber die Menschen haben es kompliziert gemacht, weil es sie nach Luxusgütern gelüstete.“

Anscheinend ist er seinen Prinzipien treu geblieben. Doch trotz dieses Handicaps hat er wohl das interessanteste Sozialleben gehabt, das man sich nur vorstellen kann. Er lebte nicht nur mitten im „Big Apple“ seiner Epoche (im Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr.), er erfreute sich auch der Wertschätzung und Gesellschaft der angesehensten, wohlhabendsten und einflussreichsten Bürger sowie der teuersten Prostituierten der Stadt.

Als Alexander von Mazedonien, der zukünftige Herrscher über die bis dato bekannte Welt, durch Griechenland reiste, beehrte er Diogenes mit seinem Besuch. Alexander bewunderte Diogenes’ Ideen so sehr, dass er ihm jeden Wunsch erfüllen wollte, der in seiner Macht lag. Diogenes, der gerade an seiner Bräune arbeitete, bat Alexander, er möge doch etwas beiseitetreten, damit er ihm nicht mehr in der Sonne stand. Das sagte er zu dem reichsten und mächtigsten Mann der westlichen Welt.

Beim Abschied bemerkte Alexander: „Wäre ich nicht Alexander, wollte ich Diogenes sein.“ Diogenes nickte wieder in der Sonne ein.

Diogenes war fair und gerecht zu allen, doch er weigerte sich, die vom Menschen gemachten Gesetze anzuerkennen. Er war ein guter alter Knabe und einer der ersten Zurück-zur-Natur-Freaks in den Annalen der Geschichte. Er wurde über neunzig Jahre alt. Alexander, der große Eroberer, trank sich schon mit dreiunddreißig zu Tode.

Nun war dieser „heilige Diogenes“ schon seit vielen Jahren das Idol meines Vaters. Als ich ein kleines Mädchen war, malte Paps mir ein Bild von Diogenes, wie er in seiner Tonne sitzt und seinen Trinkbecher wegwirft. Darüber schrieb er: ›Bist du eine Diogenianerin?‹ und hängte es im Wohnzimmer an die Wand, um uns zu inspirieren.

Ma war nicht inspiriert.

Damals war Paps ein ganz gewöhnlicher einfacher Arbeiter. Gelegentlich verdiente er gut und kam sich wie eine ganz große Nummer vor. Dann wieder war er arbeitslos und voller Ängste. Unser Wohl war abhängig von den wirtschaftlichen Schwankungen jener Zeit, genauso wie es auch heute auf Millionen von Menschen zutrifft.

Warum muss das so sein? Was tat Diogenes – mal abgesehen davon, dass er in einer Tonne lebte –, was man nicht auch heute tun könnte? Zu seiner Zeit florierte die Wirtschaft nicht so wie in unserer Gesellschaft, dennoch ging er nicht arbeiten und verhungerte trotzdem nicht.

Tatsächlich kann man aber auch heute noch so ähnlich wie Diogenes leben, denn Paps und ich tun es. Und das kam so: Nachdem Paps dieses Bild von Diogenes gemalt hatte, führten wir Sparmaßnahmen ein. Paps hoffte, dass wir so etwas Geld beiseitelegen und mehr Sicherheit und Unabhängigkeit gewinnen könnten.

Mas Hobby, das Kerzenmachen, wurde unter die Lupe genommen. Unser Haus war von oben bis unten voller Kerzen, und die dazugehörigen Geräte und Materialien wurden langsam zu einer finanziellen Belastung. Ma wollte das Kerzenmachen aber nicht aufgeben und entschied sich dafür, die Kerzen zu verkaufen, um das ausgegebene Geld wieder reinzuholen.

Zu unserer völligen Überraschung verdiente sie damit bald richtig viel Geld. In weniger als drei Monaten brachte es ihr netto mehr ein, als das, was Paps in der Fabrik verdiente. Wir konnten es kaum glauben! Keiner von uns, nicht mal Ma selber, hätte erwartet, dass sie sich als talentierte Handwerkerin und geniale Geschäftsfrau erweisen würde. Ein Traum der Frauenbewegung wurde wahr – eine Mutter und Hausfrau entdeckte plötzlich, dass sie in der Lage war, ihr eigenes Geld zu verdienen. Innerhalb kürzester Zeit mietete sie einen Laden und eröffnete ein richtiges Geschäft. Paps kündigte seinen Job in der Fabrik, um ihr zu helfen. Weil er gut mit Zahlen umgehen konnte und knauserig war, übernahm er die Buchhaltung und die finanziellen Aufgaben. Obwohl die beiden keinerlei Erfahrungen oder Kenntnisse von geschäftlichen oder wirtschaftlichen Grundlagen hatten, wurstelten sie sich so durch, ohne zu wissen, was sie da taten, und indem sie ihren gesunden Menschenverstand benutzten, entwickelten sie ihre eigenen Methoden.

Sie verdienten einen Haufen Geld. Obendrein manipulierten sie die Bücher dermaßen, dass sie das meiste davon behalten konnten. Aber wir waren nicht glücklich, und nach drei Jahren verkauften wir das Geschäft und unser Haus und zogen in diese ländlichere Gegend. Der Plan war, in unserem Haus einen kleinen Laden aufzumachen – um die Rechnungen zu bezahlen – und endlich etwas auszuspannen und das Leben zu genießen.

Aber es sollte leider nicht sein. Ma und Paps fingen dauernd Streit an. Natürlich über Geld. Wenn keines da war, dann stritten sie sich auch nicht dar über – aber wenn doch, dann schon. Ma, die Geschmack am Geld- und Geschäftemachen gefunden hatte, entschied, dass sie es nicht aufgeben wollte. Sie war keine Diogenianerin. Also nahm sie den kleinen Carl, meinen Bruder, und verließ uns. Bald dar auf reichte sie die Scheidung ein.

Das war vor vier Jahren. Als sich die Aufregung über die Scheidung gelegt hatte, stellten Paps und ich fest, dass wir kein Auto, keinen Fernseher, keine Haushaltsgeräte, keine Jobs oder Aussichten auf Jobs und keinerlei Einkommen hatten. Ohne Ma konnten wir das Kerzengeschäft nicht weiterführen, und Paps weigerte sich rundheraus, wieder in die Fabrik zurückzugehen.

Alles, was wir noch besaßen, war das Haus, ohne Hypothek, und etwas Geld auf der Bank.

Für Gefühlsmenschen wie uns kann eine Scheidung eine sehr einschneidende Erfahrung sein. Danach ist es oft sehr schwierig, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Deshalb taten wir das auch nicht. Der alte Narr erzählt gerne herum, dass er noch nicht weiß, was er werden will, wenn er erwachsen ist. Aber ehrlich gesagt ist es ein großer Luxus, wenn man keine Entscheidungen fällen muss – genauso wie wenn man nicht arbeiten gehen muss.

Wir lassen uns einfach durch den Tag treiben. Wir haben ein Dach über dem Kopf, Kleider am Leib, und wir essen und trinken gut. Wir können uns die guten Dinge des Lebens so einfach verschaffen, dass es dumm wäre, irgendeinen langweiligen, sinnlosen und frustrierenden Job anzunehmen, mit dem man das Geld verdient, um diese Dinge kaufen zu können, obwohl fast jeder das tut. „Sich seinen Lebensunterhalt verdienen „ nennen sie es. Ich nenne es „Sklaverei“.

Manchmal ist Paps vergrätzt und sagt, wir würden kaum besser leben als die Faultiere. Sie sind die dümmsten unter den Tieren, aber es gab sie schon Millionen Jahre, bevor der Mensch auf der Erde erschien, und sie sind immer noch da – und immer noch gut in Form. Wer kann schon sagen, wer den anderen überleben wird auf unserer guten grünen Erde? Sie sind fett und frech und lieben das Leben (zumindest stelle ich mir das gerne so vor), und nichts kann sie dazu bewegen, in einer Fabrik oder einem Büro zu arbeiten. Unser Leben hier draußen nennen wir jetzt die Faultiermethode.

Wir leben also wie die Faultiere? Gut! Dann tun wir das jetzt erst recht.

 ©Rogner & Bernhard©

Literaturangabe:

FREED, DOLLY: Die Faultiermethode. Ein Manifest gegen die alltägliche Diktatur des Geldes. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Yamin von Rauch. Rogner & Berndhard, Berlin 2010. 220 S., 19,90 €

Weblink:

Rogner & Bernhard


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