Von Patrick T. Neumann
HAMBURG (BLK) - Zwei „Vorleser“, ein prominenter Bücherfan, aber kaum Fernsehpublikum: Die neue ZDF-Literatursendung „Die Vorleser“ war am Freitagabend ein Quotenflop. Nur 880.000 Zuschauer schalteten die Bücherschau um 22.30 Uhr ein, der Marktanteil von 4,1 Prozent fiel im Vergleich zu den anderen ZDF-Sendungen deutlich ab. Dabei hatte der öffentlich-rechtliche Sender ordentlich die Werbetrommel gerührt für sein neues Format.
Woran lag es also? Warfen die Vorgängerformate „Das literarische Quartett“ und „Lesen!“ mit ihren streitlustigen und unterhaltsamen Charakterköpfen Marcel Reich-Ranicki beziehungsweise Elke Heidenreich einen zu großenSchatten auf das neue Literaturduo Amelie Fried (50) und Ijoma Mangold (37)?
Die beiden hatten sich viel vorgenommen für die neue Sendung - vielleicht etwas zu viel: Fünf Bücher wollten sie vorstellen, inklusive Studiogast, dazu noch als Schnellexpertise „drei Bücher in drei Minuten“ – und das alles in einer halben Stunde. So geriet die Sendung zu einem Galopp durch die mitgebrachten, durchaus interessanten Werke. Zeit für vertiefende Einblicke, Diskussionen und Streitereien gab es wenig.
Der versierte Kritiker Mangold, stellvertretender Feuilletonchef der „Zeit“, dozierte zuweilen bei seiner Fernsehpremiere, sprach von einem „anderen Assoziationsechoraum“ der Sendung, „ästhetischen Valeurs“ und einem „apologetischen“ Werk über den Kapitalismus. Er sagte aber auch schöne Sätze, wie „Das ist ein poetisches Werk, das fast hingehaucht ist in seinen einzelnen Szenen“ bei Alice Greenways „Weiße Geister“. Die versierte Fernsehfrau Fried bemühte sich als informierte Leserin – im Gegensatz zum Kritiker – um Lockerheit, verkrampfte aber ein ums andere Mal.
Interessant wurde die Sendung, wenn die beiden sich stritten. Beispielsweise über Joey Goebels Werk „Heartland“: Für Fried eine märchenhafte „Parabel“, für Mangold ein „brav biederer“ Roman voller Klischees. Oder über Per Olov Enquists Buch „Ein anderes Leben“, dass Leserin Fried in seinen historischen Details als zu „speziell“ kritisierte, Kritiker Mangold jedoch als „ganz tolle Zeitgeschichte“ pries. Doch diese Momente gab es selten, häufig waren sich beide im Lob eines Autors, eines Buches einig, gingen nett und artig miteinander um. Ganz nach der ausgegebenen Devise: Kontroverse Diskussionen, aber kein Krawall.
Ein Lichtblick der Auftritt von Schauspieler Walter Sittler, der glühend über sein Lieblingsbuch „Als ich ein kleiner Junge war“ von Erich Kästner sprach: „Es ist nicht nur für Kinder geschrieben, sondern für alle (...) Es wird einem wieder klar, wie wichtig die Kindheit für die Entwicklung des Menschen ist, dass sie friedvolle, soziale, selbstständige Menschen werden können.“ Das sei gerade in der hektischen Gegenwart eine wichtige Erkenntnis. „Wir stehlen den Kindern die Kindheit.“ Dass er gleichzeitig Werbung machen durfte für seine szenische Bühnenaufführung eben jenes Buches, gehört wohl zum Geschäft.
Insgesamt steckt Potenzial in der Sendung, die sich aber mit dem trockenen Start schwertat: Im ehemaligen Hamburger Hauptzollamt mit ihrem Hall kam trotz der roten Sofas für die Diskutanten und Bücherkulisse kaum Atmosphäre auf, von den rund 130 Zuschauern kamen außer des obligaten Beifalls an den entsprechenden Stellen kaum Reaktionen. Mehr Abwechslung bei Schnitt und Gestaltung, eine frechere Fried und ein Mangold, der seinen zuweilen aufblitzenden Reich-Ranicki-Duktus etwas ausbaut, dürften der Sendung guttun.
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