Von Andreas Heimann
Aravind Adiga bleibt sich treu. Wie in seinem Debütroman „Der weiße Tiger“, für den er 2008 den Booker-Preis bekam, ist auch sein neues Buch eine schonungslose Auseinandersetzung mit der indischen Gesellschaft. In „Zwischen den Attentaten“, in der gelungenen Übersetzung von Klaus Modick gerade im C.H. Beck Verlag erschienen, porträtiert Adiga die südindische Stadt Kittur. Entgegen der Reiseführerlyrik, die „die landschaftliche Schönheit und die Vielfalt der Religionen, Völker und Sprachen“ der Stadt besingt, dominieren bei Adiga Armut, soziale Ungleichheit, politische Korruption und religiöser Hass.
Der in Mumbai, dem früheren Bombay, lebende Autor stellt Kittur in Episoden vor, die an sieben Tagen spielen und jeweils andere Protagonisten haben. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ohnmächtig gegen ihr Schicksal ankämpfen. Ziauddin ist einer von ihnen, ein Zwölfjähriger mit Hasenzähnen und das sechste von elf Kindern einer muslimischen Landarbeiterfamilie. Erst jobbt er in einer Teestube, wird herumgestoßen und dann hinausgeschmissen. Dann kämpft er als Gepäckträger an Kitturs Bahnhof um Kunden. Und als er sich dafür bezahlen lässt, die Züge zu beobachten, die täglich indische Soldaten an ein unbekanntes Ziel transportieren, wird er fast hineingezogen in den Dauerkonflikt zwischen Moslems und Hindus.
Denn die Vielfalt der Völker und Religionen ist in Kittur alles andere als buntes Multikulti. Anders als Bollywoodfilme gehen Adigas Geschichten entsprechend böse aus. Das Bild, das er vom modernen Indien zeichnet, ist kitschfrei und von ernüchterndem Realismus: Der Lehrer, der sich für seinen Lieblingsschüler eine glänzende Zukunft erhofft, stirbt erbärmlich an einem Herzinfarkt im Kino. Die beiden Brüder, die vor der Armut auf dem Land nach Kittur fliehen, werden dort schon bei der Ankunft betrogen und geraten in die Hände der lokalen Schutzgelderpresser in der Obdachlosenszene.
Wie immer sich seine Protagonisten auch abstrampeln, in Adigas Kittur gibt es für sie wenig Hoffnung: Chenayya, der mit seinem Fahrrad samt Anhänger Möbel ausliefert, weiß das. Tagtäglich quält er sich Kitturs Hügel hinauf, bis ihm die Luft ausgeht, in der Hoffnung auf ein bisschen Trinkgeld, das ihm von den reichen Kunden wie ein Almosen gewährt wird — wenn er Glück hat. Und so wird es immer weitergehen, bis er irgendwann keine Puste mehr hat. Schön sind die Geschichten nicht, die Adiga da erzählt, aber er erzählt sie brillant.
Wem der „Weiße Tiger“ gefallen hat oder wer nach „Slumdog Millionaire“ mehr über die Schattenseiten Indiens erfahren will, für den ist das Buch genau richtig. Adiga hat es bereits vor seinem Erfolgsroman geschrieben, auch wenn es nach ihm publiziert wurde. Der Titel „Zwischen den Attentaten“ spielt auf den Mord an Indira Gandhi 1984 und den tödlichen Anschlag auf Rajiv Gandhi sieben Jahre später an und weist bereits darauf hin, dass es dem Autor nicht um Friede, Freude, Eierkuchen geht. Das macht das Buch umso lesenswerter.
Literaturangabe:
ADIGA, ARAVIND: Zwischen den Attentaten. C. H. Beck, München 2009. 376 S., 19,90 €.
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