Werbung

Werbung

Werbung

Aller Anfang ist schwer

Zeruya Shalev über die Schwierigkeiten, eine „Späte Familie“ zu gründen

© Die Berliner Literaturkritik, 23.09.05

 

„Späte Familie“ – so heißt der dritte Roman der Israelitin Zeruya Shalev. Wie in ihren beiden vorhergehenden Veröffentlichungen hat sie sich erneut der Komplexität zwischenmenschlicher Verhältnisse verschrieben. Ging es in „Mann und Frau“ und „Liebesleben“ noch um das Zerbrechen von Beziehungen, so hat sie hier erstmalig das „Danach“ thematisiert.

Ella, die Protagonistin des Romans, hat sich von Amnon, ihrem Partner und Vater eines gemeinsamen Kindes, getrennt. Sie erzählt nun in einer Art innerem Monolog, wieso es für sie ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, weiter mit Amnon zu leben. Der konnte nicht damit umgehen, dass sie ihren Sohn so sehr liebte, dass die partnerschaftliche Liebe darüber manchmal ein bisschen verloren ging.

Ella reflektiert viel, sie denkt über die Beziehung zu ihrem Vater nach - einem Menschen, der ihr immer seine Weltanschauungen aufdrängte - und auch über die Ehen in ihrem Umfeld. Durch diese Überlegungen kommt sie zu dem Schluss, dass sie so nicht leben will, gefangen in einem Konstrukt, das sie ihr Leben lang nicht mehr verlassen könnte. Als sie sich zur Trennung entschließt, scheint ihre eigene Welt leichter, aber Amnons bricht zusammen.

Trügerischer Schein

Doch dieses Missverhältnis ist schnell aufgehoben, denn irgendwie ist das Allein-Sein nicht so befreiend, wie Ella es sich vorgestellt hat. Erste Zweifel kommen auf und vor allem wirken die Erinnerungen plötzlich so schön und unantastbar. So leidet die Verlassende unter der Trennung weit mehr, als sie sich das je vorgestellt hat und versucht, Amnon zurück zu erobern. Überraschenderweise ist der dagegen - wie sich später herausstellt, nur aus taktischen Gründen. So muss die kleine Ella, die sich gebärdet wie ein Kind, das immer gerade das haben will, was es nicht mehr besitzt, mit den Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen umzugehen lernen. Sie versteht, dass man nicht immer alles erreicht, wenn man dauerhaft auf Widerstand ausgerichtet ist.

Mitten in dem ganzen Leid trifft sie auf Oded, der gerade Ähnliches durchmacht. Gemeinsam versuchen sie, ihre Geschichten zu verarbeiten und einer neuen Liebe eine Chance zu geben. Das funktioniert leider nicht so einfach wie vorher gedacht, denn das alte Leben lässt sich nicht so leicht mit neuer Rollenbesetzung fortsetzen. Erst als jeglicher Idealismus schwindet und die Realität offen daliegt, scheint es eine Chance zu geben. Am Ende geschieht, was bei Shalev immer das Herzstück ist: die Protagonistin geht gestärkt aus der Situation hervor und hat viel über sich gelernt.

Zwischenmenschliche Beziehungen

Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Protagonistin entwickelt und welchen Mut sie beweist, sich wieder auf neue Dinge einzulassen. Überraschend auch, wie ehrlich Shalev dabei vorgeht. Hier wird dem Leser nicht vorgegaukelt, dass das Leben nach einer Trennung einfach und ein Neuanfang jederzeit möglich sei. Es handelt sich bei Ella und Oded um zwei Personen, die mehr als einfach nur ein wenig Erfahrung gesammelt haben. Schon wegen der Kinder ist es nicht möglich, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen.

Die Autorin zeichnet ein sehr eindringliches Bild von zwei verzweifelten Personen, die beide sehr von Schuldgefühlen geplagt sind. Sie klammern sich aneinander und halten das für Liebe. Dadurch scheint die Liebe tatsächlich möglich zu sein, nur eben ganz anders konnotiert als ursprünglich gedacht. Ellas Gefühlsregungen lassen sich sehr gut nachvollziehen, auch die Emotionen der beiden an ihrem Reigen beteiligten Männer sind weitgehend schlüssig. Der einzige Schwachpunkt in dieser Figuren-Konstellation ist Gili, der Sohn. Ob die Autorin verständlich machen wollte, wieso die aufopferungsvolle Haltung der Mutter manchmal nachlässt? Oder wie lässt sich sonst erklären, dass sie einen sechsjährigen Jungen derart unsympathisch darstellt? Anders kann man es  nicht bezeichnen, wenn ein Kind beginnt, neidisch auf Erlebnisse der Eltern zu sein, die vor seiner Geburt geschahen und an denen es deswegen noch nicht teilhaben konnte. Gilis Naseweisheit gepaart mit seiner kindlichen Hochmut führen dazu, dass man als Leser nur eingeschränkt Mitleid mit dem Jungen haben kann.

Großartige Metaphern ohne Übertreibungen

Wunderschön ist vor allem die Sprache, in der der Roman erzählt wird. Mittels sehr eindrucksvoller Bildern wird der Leser zum Mitwisser an Ellas Geschichte, die häufig überraschende Wendepunkte aufweist. Wirkt ein so großer Reichtum an Metaphern bei anderen Autoren oft platt und konstruiert, schafft es Shalev, dass man mit ihrer Bildersprache eine ganz genaue Vorstellung von den Gefühlsregungen der Figuren bekommt. Neben der Verzweiflung ist auch die immer wieder aufkeimende Hoffnung zu spüren.

Einzigartig ist auch die Art und Weise, wie die Autorin erotische Situationen beschreibt, ohne dass diese von einem dumpfen Beigeschmack begleitet werden. Etwas planlos sind lediglich die Exkurse in die Archäologie. Es ist nicht wirklich klar, was die Autorin eigentlich damit bezwecken will, wenn sie von der Arbeit Ellas erzählt. Ein nettes schmückendes Beiwerk - zur Geschichte trägt es allerdings wenig bei und nimmt so des öfteren zu viel Raum ein.

Blick auf die Seele

Kleine Verweise finden sich auch auf die politische Situation Jerusalems, allerdings nur sehr dezent. Das überrascht, wenn man bedenkt, dass die Autorin während der Arbeit an diesem Buch selbst Opfer eines Anschlags wurde. Aber zugleich ist es ein weiterer Beweis dafür, dass es ihr um das Innenleben, die Seele ihrer Figuren geht, nicht um gesellschaftspolitische Fragen. Die Autorin, von der schon Reich-Ranicki sagte, bei ihr sei ungeheure Magie am Werk, hat auch in ihrem dritten Werk nichts an feinfühligem Zauber eingebüßt.

Liest man das Buch im Kontext von Shalevs bisherigen Werken, lässt sich eine Entwicklung erkennen: In „Liebesleben“ bleibt die Protagonistin allein, in „Mann und Frau“ rückt die Hauptfigur ihre Beziehung wieder ins Lot und jetzt schafft es die dritte von Shalevs Heldinnen, den Sprung in ein neues Leben zu wagen. Ohne falschen Idealismus lässt sie den Leser mit der Botschaft zurück, dass das möglich ist, aber jeder Menge Arbeit und Ehrlichkeit gegen sich selbst bedarf.

(Bettina Koller)

Mehr:   „Späte Familie“ (Kurzvorstellung)

Literaturangaben:
SHALEV, ZERUYA: Späte Familie. Roman. Übersetzt aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2005. 587 S., 22,- €.


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: