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Unsoziales Europa?

Rolf Hochhuths neuestes Stück „McKinsey kommt“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.11.04

 

„McKinsey kommt“, das neueste Stück von Rolf Hochhuth, Autor von so provokanten und treffsicheren Geschichts- und Gesellschaftsdramen wie „Der Stellvertreter“, „Soldaten“ und 1993 „Wessis in Weimar“, nimmt diesmal den Rationalisierungswahn in den Chefetagen der Großkonzerne aufs Korn. McKinsey als gut bezahlte Handlanger-Mannschaft im Globalisierungsprozess gibt dem Drama seinen Titel. Wenn McKinsey kommt, dann heißt es Stellen streichen, und der Präsident eines Zigarettenkonzerns droht in Hochhuths neuestem Werk seinem langjährigen, firmeneigenen Berater wie einem ungehorsamen Kind damit, „McKinsey kommen zu lassen“, wenn dieser sich weigere, ihm bei der Tilgung von Arbeitsplätzen zur Hand zu gehen.

Ein böser Mann also, dieser Präsident. Böse, wenn auch nicht ganz so böse wie der böse Präsident, sind auch seine Mitarbeiter: gewissenlos, sarkastisch, menschenfeindlich stehen bei ihnen nur schwarze Zahlen und der Shareholder-Value im Vordergrund. Das Einzige, was sie noch stoppen könnte, ist die Presse, jedoch hat sich auch diese größtenteils schon zu einem duckmäuserischen Sprachrohr der Wirtschaft degradiert.

Die alles bestimmende Supermacht

Auf der anderen Seite stehen die Schwachen, die „Wegrationalisierten“ und „Freigestellten“, und jene Menschen, welche sich für die Opfer der Globalisierung einsetzen: die Gründerin einer Arbeitslosenpartei, die Arbeiterinnen eines „Pharma-Riesen“, demonstrierende Studenten. Ihr Engagement scheitert jedoch vorerst, am Ende brennt die Europaflagge eines Europa „ohne sozial-revolutionäre Idee“, welches keine andere Utopie hat als „jene, die sich aus den Unternehmensbilanzen ergibt“ (hier zitiert Hochhuth Bourdieu). Die Wirtschaft, in ihren Wunderzeiten noch ein arbeitsspendender Segen, ist ohne Zweifel nicht nur bei Hochhuth, sondern auch außerhalb des Theaterraums - deshalb die brennende Aktualität von „McKinsey kommt“ - zu der alles bestimmenden Supermacht geworden.

Eine der Ursachen für die fatalen Despotismus der Wirtschaft sieht Hochhuth in einer veralteten Verfassung, in der der Einzelne nicht durch ein „Recht auf Arbeit“ geschützt wird, beziehungsweise eine Politik, die der Wirtschaft zu viele Freiheiten lässt. Sein unmissverständlicher Lösungsansatz für die Abfederung einer totalen Katastrophe lautet demnach: Demokratisierung und Reglementierung der Wirtschaft. Eine mutige, weil unbeliebte Forderung.

Der Mensch als politisches Wesen

Rolf Hochhuth hatte schon in den Sechzigerjahren mit seinem Erstlingswerk „Der Stellvertreter“ Aufsehen erregt. In dem umfassenden Geschichtsdrama behandelte Hochhuth die Rolle der katholischen Kirche, namentlich des Papstes Pius XII., während des Holocausts. Mit Scharfblick und anklägerischer Offenheit zeigte er ihn nicht als Opfer der geschichtlichen Verwicklungen, sondern als Mensch, der die Möglichkeit hat, sich zwischen Einschreiten und Wegsehen zu entscheiden, der aber von seiner Verantwortung der Humanität gegenüber keinen Gebrauch macht. Der Mensch als Individuum, als „zoon politikon“, dessen Handeln von historischer Relevanz ist – sei es mit fatalem Ausmaß wie bei „Der Stellvertreter“, sei es das positive Engagement der Gründerin der Arbeitslosenpartei der Hilde Zumbusch bei „McKinsey kommt“ – steht bei Hochhuth im Vordergrund.

Dementsprechend ist das Drama bei Hochhuth keine sich in den Verwinkelungen des Privaten verlierende Nabelschau, sondern belegt öffentlichen Raum, macht politische Zusammenhänge zum Thema, die uns – unreflektiert - auch in den Medien begegnen. Arbeitslosigkeit, Managergehälter und Fusionen sind uns zu alltäglichen Begleitern in U-Bahn, Wohnzimmer und am Arbeitsplatz geworden. Hochhuth verhindert, dass diese Alltäglichkeit in Gleichgültigkeit umschlägt: er berichtet uns im Prinzip nichts Neues, jedoch macht er Dinge erkennbar, verdichtet sie zum politisch brisanten Stoff. Hochhuth deckt nichts auf, er trägt Informationen zusammen und klagt an, in derselben Offenheit im „Stellvertreter“ wie bei „McKinsey kommt“.

Opfer oder Richter?

Leider fehlt jedoch dem neuesten Hochhuth-Stück - nicht nur auf Grund seines geringeren Umfangs - die für brisante Stoffe wichtige Vielschichtigkeit, die sich bei den früheren Arbeiten noch ausmachen lässt. Die Schuldigen werden zu eindeutig als Unmenschen gezeichnet, die Schuld bei den rücksichtslosen Großkonzernen und einer veralteten Verfassung gesucht, in der die Arbeitnehmer nicht durch ein Recht auf Arbeit geschützt werden. Gibt ihnen das aber das Recht, selbst als Richter tätig zu werden? Hochhuth deutet dies an, indem er auf das Schicksal Schleyers und Herrhausens verweist und indem er aus Jacob Burckhardts Fragmenten zitiert: „Es liegt nahe, dass zunächst bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel, da man Richter in eigener Sache wird, eine Regierung oder ein Individuum die Zernichtung des Gegners unternimmt.“

Hiermit weist Hochhuth nicht nur auf die Gefahr hin, die sich aus dem fehlenden Schutz der Arbeitnehmer ergibt, sondern er stellt auch frei, den Absatz hinsichtlich der Rechtfertigung des Tyrannenmordes zu interpretieren – und auf die „Gegner“ der Arbeitslosen auszuweiten. Denn Schuldige werden genannt und – dies einer der Hauptgründe für die Brisanz der Stücke - bedroht. Ackermann wird in „McKinsey kommt“ mit dem Schicksal Herrhausens und Schleyers gedroht, die Chemiearbeiterinnen, die der Globalisierung zum Opfer fallen, sind sich einig, dass „man mal wieder einen Molli schmeißen“ müsste.

Hochhuth macht es sich zu einfach. Da hilft es auch nicht, durch Doppelrollen die Austauschbarkeit und Willkürlichkeit der gesellschaftlichen Stellung des Einzelnen zu veranschaulichen, durch Gleichsetzung von Arbeiterin und Verfassungsrichterin auf die allen Menschen gemeinsame Verstrickung in politische und historische Abläufe hinzuweisen: die Wut auf die Verantwortlichen bleibt unmissverständlich im Raum stehen, im positiven Fall produktiv, im negativen Fall gefährlich und gewalttätig.  

Theater macht Politik

„Politisches Theater kann nicht die Aufgabe haben, die Wirklichkeit – die ja stets politisch ist – zu reproduzieren, sondern hat ihr entgegenzutreten durch Projektion einer neuen.“ Mit diesem Ausspruch wendet sich Hochhuth gegen eine rein aristotelische Nachahmungstheorie und dem Schiller’schen Geschichtsdrama zu, welches laut Hochhuth – Gerd Ueding zitiert ihn im Nachwort – nicht nur Politik darstellt, sondern Politik macht. Hochhuth weist dem Theater eine politische Funktion in der Gesellschaft zu, die sich gegen eine für den Kapitalismus sonst typische Funktionslosigkeit der Kunst wendet.

Hier droht allerdings, und dies ist der wunde Punkt an Hochhuths Drama, die Gefahr einer zu einseitigen Instrumentalisierung. Hochhuth projektiert in „McKinsey kommt“ einen Lösungsansatz für unser Gesellschaftsdrama: die Schuldigen werden gefunden, die Fehler eindeutig verortet. Jedoch birgt diese Eindeutigkeit Gefahren, vor allem hinsichtlich der intellektuellen Leistung der Zuschauer. Hochhuth geht in seinen Dramen davon aus, dass dem durch Massenmedien abgestumpften Publikum Dinge „erkennbar“ gemacht werden müssen, erkennt ihm also die Fähigkeit ab, selbst Missstände zu aufzuspüren. Gleichzeitig bietet er die Lösung, wobei die intellektuelle Leistung des Zuschauers gleich null bleibt. Macht Hochhuth es sich zu einfach - und „McKinsey kommt“ krankt auf Grund seiner Eindeutigkeit am Hang zum Plakativen - verkommt das Theater zu wütender Agitation und läuft Gefahr, nicht ernst genommen zu werden.

Hochhuth reflektiert bewusst die kritische bis ablehnende Resonanz auf seine Stücke und somit den Stand eines politischen Autors in der Gesellschaft: Wohlweißlich präsentiert er in „Molières Tartuffe“, dem zweiten Stück des Bandes, Molière als ein historisches Alter Ego. Molière, der sich mit seinem „Tartuffe“ gegen die heuchlerischen Machenschaften der Kirche gewandt hatte, erfährt das Schicksal eines von der Zensur Verfolgten, Ausgestoßenen. Hochhuth sieht sich hier eindeutig in der Tradition der politisch unbequemen Autoren, des sehenden Wahrheitsverkünders. Eine wichtige, eine schwierige Rolle. Gerade deshalb darf man es sicht mit ihr nicht zu einfach machen.   

 

Literaturangaben:
HOCHHUTH, ROLF: McKinsey kommt. Molières Tartuffe. Zwei Theaterstücke. Mit einem Essay von Gert Ueding. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2003. 155 S., € 10.


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