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Kunst und Holocaust

Peter Weiss’ Theaterstück „Inferno“

© Die Berliner Literaturkritik, 21.06.07

 

Zurück ins Jahr 1964: Peter Weiss schreibt das Theaterstück „Inferno“, Teil einer Trilogie – aus „Paradiso“, „Ermittlung“ und „Inferno“ bestehend. Denkt man noch weiter zurück, ins 14. Jahrhundert nämlich, stößt man auf Weiss’ Vorlage: die „Divinia Commedia“. Dante Alighieri verfasste in der „Göttlichen Komödie“ den mitunter qualvollen Weg durch Hölle und Fegefeuer, der angeblich ins ewige Paradies führt. In ebenjener Komödie quälen sich Brutus, Crassus, Judas und Co. bis zum Jüngsten Tag.

Dieser Inspiration Folge leistend, überträgt Weiss moralische Dilemmata in eine skurrile Situation. Dante befindet sich in seiner Heimatstadt, ohne seine Wurzeln wiederzuerkennen oder die Sprache wirklich zu verstehen. Fremdartig, wie von einem anderen Stern, erscheint er in der Nachkriegszeit; kurz nach der größten menschlichen Katastrophe. Doch der Genozid an den Juden wird nirgends explizit erwähnt. Alle Tatbestände sind verklausuliert und metaphorisiert, bis es einem so deutlich vor Augen erscheint, das es wehtut.

Modernes Gleichnis

Peter Weiss’ Gesamtwerk steht synonym für den Aufarbeitungsprozess in der Nachkriegsära. Viele seiner Werke setzen sich mit der Schoah auseinander. Nur betreibt er es nicht so vehement wie Adorno, für den es keine Poesie nach Auschwitz gibt, oder wie Jean Améry, für den es kein Weiterleben mehr geben kann. Weiss verpackt ein circa 600 Jahre altes Buch neu und kreiert ein modernes Gleichnis. In einer Zeit, in der Werte und Moral zerstört daniederliegen, kann selbst die Schönheit von Philosophie und Literatur nichts mehr retten.

Das gesamte Theaterstück muss als metaphorisches Ganzes verstanden werden. Weiss thematisiert das paradoxe Verhältnis Kunst und Holocaust. Er spricht auch das unmögliche Doppelleben eines KZ-Wärters als Familienvater an und vieles Verstörende mehr. Sämtliche derartigen Betrachtungsweisen und Fragen, die die Nachgeborenen seitdem aufwühlen, fließen latent in die Handlung ein. Doch gerade jene Aufarbeitung in der Nachkriegszeit führte zur teilweisen Hypersensibilisierung. Kein noch so grausames Bild vermag uns noch zu erschrecken.

Deshalb führt eine solche stilistisch ausgefeilte, präzise und ästhetische Auseinandersetzung mit diesem Thema weiter. Sie verunsichert den Leser und trifft ihn ins Mark. Eine Schrift, die nicht urteilt und eine klare Opfer-Täter-Konstellation parat hält, setzt jedem Leser den Spiegel vor. Ganz allein, im Zwiegespräch mit sich selbst, muss er für sich herausfinden, wo er sich sieht. Banalität und Komplexität verschleiern die Schuldfrage, bis sie der Leser selbst löst. „Von einer Stunde zur andern wurde ich ein Anderer genannt“ – genau das ist ja das Problem.

Von Stephanie Tölle

Literaturangaben:
WEISS, PETER: Inferno. Stück und Materialien. Mit einem Nachwort hrsg. von Christoph Weiß. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 2007. 152 S., 12 €.

Verlag:


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