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Salatbar für Schafe – Sam Apples „Schlepping durch die Alpen“

Ein „etwas anderes“ Reisebuch über Österreich, Antisemitismus, Neurosen und einen Wanderschäfer

Von: ALEXANDER KLUY - © Die Berliner Literaturkritik, 20.03.08

 

Ach, möchte man seufzen, wieso geht so etwas nur in Amerika. Eine Reisebeschreibung zu schreiben, die sympathisch und exotisch, die ironisch und erhellend daherkommt. Die traurig, komisch, leichtfüßig, klug beobachtet, geschliffen formuliert und überdies noch ein zeithistorisches Dokument ist. Wieso schaffen dies österreichische Autorinnen, Schweizer Dichter oder deutsche Reporter nicht.

Auch wenn es unter der jüngeren Schriftstellergeneration mittlerweile Weltensammler und Reisende gibt, den Neu-Wiener Ilija Trojanow etwa, so ist und bleibt doch das Reisebuch, das weder Kulturguide ist noch praktisches Verzeichnis von Hotels und Eissalons, sondern das missing link zwischen Hochliteratur und Journalismus, eine ureigene angelsächsische Domäne. Betritt man eine Londoner Buchhandlung oder einen Barnes & Nobles-Store in San Francisco, Austin oder Toronto, steht man vor Regalen, überschrieben mit „Literarisch Reisen“. Und realisiert, wie wenige travel writers dem deutschsprachigen Lesepublikum eigentlich geläufig sind, die bekanntesten sind wahrscheinlich V.S. Naipaul, der kürzlich verstorbene Pole Ryszard Kapuscinski und vor allem Bruce Chatwin. Wer aber kennt hierzulande einen Norman Lewis oder eine Isabel Hilton, wer Iain Sinclair oder Patricia Storace.

Dabei gehört zu einer Reise und einem Buch über eben diese Reise nicht viel. Gerade einmal eine ungewöhnliche Anregung. Wie sie beispielsweise dem 1975 geborenen Journalisten Sam Apple aus Brooklyn, New York, als Einladung ins Haus flatterte: Hans Breuer, Österreichs einziger Wanderschäfer, gibt im kleinen jiddischen Kulturzentrum „Yugntruf“ ein Konzert mit jiddischen Lieder, begleitet von einer Diashow mit Aufnahmen seiner 625 Schafe.

So ungewöhnlich die Darbietung im Sommer 2000, so faszinierend wirkte auf den in Texas aufgewachsenen Juden Apple der Schafhirte aus kommunistischer Familie. Und so besucht Apple, der bei seiner Großmutter aufwuchs, die sich Ende der dreißiger Jahre, elf Jahre alt, aus Litauen in die USA rettete, wenig später Breuer und ein Land, das für ihn angesichts des Wahlerfolgs der rechtsextremen FPÖ im Oktober 1999 der Ort eines ungebrochenen Antisemitismus und Fremdenhasses ist. Es war die Zeit, in der die Europäische Union eine intellektuell-moralische Acht über Österreich verhängte.

Sam Apple begleitet Breuer und seine Herde, was für den Vegetarier, grob unsportlichen Großstädter, motorisch unbegabten, schüchternen Reporter und ausgeprägten Hypochonder gar nicht so leicht, für den Leser dafür umso unterhaltsamer ist. Denn er schont sich selber mit keiner Silbe, entblößt sich und erweist sich als begabter Stiefsohn eines Woody Allen aus dessen „Manhattan“ und „Annie Hall“-Phase, den es in die Alpen verschlagen hat. Schon die Liste dessen, was er alles nicht im Gepäck hat, als er in Wien von Breuer abgeholt wird – Wanderschuhe, Wollsocken, Regenjacke, Uhr, Presseausweis, Zahnbürste –, zeigt: Das kann nur schief gehen. Und, ach ja, Deutsch spricht Apple kein Wort. Er ist sich nicht zu schade, auch mitten im Schafskot stehend, genau zu beobachten, ohne dabei die falsche Neutralität einer Kamera zu imitieren. Das ländliche Österreich mutiert so zu einer langen Salatbar für Schafe.

Aber gerade all dies ergibt Reibung. Und diese Reibung zeitigt Überraschungen, auch wenn sie hie und da etwas naiv anmuten, und schlägt Funken. Es ist sein Außenblick, der aufschlussreich ist, der neue Winkel ausleuchtet und so manches anders erscheinen lässt. Das verbreitete Desinteresse an Zeitgeschichte beispielsweise, den latenten Rassismus und auch Apples eigene Vorurteile.

En passant erzählt er auch 70 Jahre österreichische Sitten- und Mentalitätsgeschichte, eingekapselt in der Biographie des 1954 geborenen Breuers, und die Geschichte seiner Eltern, kommunistischen Widerstandskämpfern in den 30er Jahren, wie auch das Versanden des revolutionären Aufbruchs nach 1968 in radikalsektiererischem Dogmatismus.

Natürlich ist Apple, nachdem er bei einer Freundin Breuers in Wien Unterschlupf gefunden hat, auch professioneller Reporter, trifft Universitätsprofessoren wie den Klagenfurter Anglisten Adi Wimmer, Publizisten wie Doron Rabonivici und stellt mit dem Stift in der Hand Demonstranten oder Leuten in einer Kneipe Fragen. Er interviewt Peter Sichrovsky ebenso wie Leon Zelman vom Jewish Welcome Service oder Mitarbeiter von no-racism.net.

Und er, der von seiner Großmutter Bashy erzogen wurde in panischer Angst vor den allermeisten gojim, den Nichtjuden, verliebt sich ausgerechnet in die große, blonde Ilona. Und erlebt mit ihr so manche Überraschung, die jede seiner Neurosen zum Ausbruch kommen lässt, ob nun bei einem amourösen Zwischenspiel in der Hofburg oder bei der Begegnung mit einem nackten Museumsführer oder ähnlich Unbekleideten der Gattung homo sapiens auf der Wiener Donauinsel.

Sam Apples selbstironische Respektlosigkeit setzt sich auf seiner Website www.samapple.com fort. Wo sah man schon mal eine derart witzige Umsetzung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten und deren Querung des Roten Meeres – als Zeichentrickfilm und, natürlich, mit sprechendem Schaf. Das dieses Buch allen wärmstens empfiehlt. Was auch der Kritiker Ihres Vertrauens tut. Sie glauben ihm nicht? Dann wenigstens, ach, dem Schaf.

Literaturangaben:
APPLE, SAM: Schlepping durch die Alpen. Ein etwas anderes Reisebuch. Aus dem Amerikanischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 S., 19,90 €.

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Alexander Kluy arbeitet als freier Buchkritiker für dieses Literatur-Magazin


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