BERLIN (BLK) - Insgesamt sechs Bücher behandelt die Belletristik-Presseschau am Dienstag. Der Debütroman "Wilde Orangen" von Anna Katharina Fröhlich wird von der "FAZ" begutachtet, diese zeigt sich aber eher enttäuscht von dem Erstling. Der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung" ist geteilter Meinung was "Wie viele Vögel" angeht, ein Buch über wartende junge Leute. Auch die Lektüren welche in der "NZZ" behandelt werden bieten positive als auch negative Resonanzen. Sehr angetan hat es der Zeitung "Das Tagebuch eines Psychopathen" des russischen Autors Wenedikt Jerofejew. Auch "Der unbekannte Begleiter" und "Mein Leben ist ein Roman" müssen sich nicht verstecken, wohin gegen "Solarplexus" von Albert Ostermeier doch eher auf der Strecke bleibt.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Die "FAZ" befasst sich mit Anna Katharina Fröhlichs Romandebüt "Wilde Orangen", das, wie schon der Titel impliziere, eine als "moralische Parabel" konzipierte Liebesgeschichte darstelle. Die Affäre einer romantischen jungen Frau mit einem verheirateten, dreißig Jahre älteren Schriftsteller, die sich "zur Chronik einer Läuterung" wandele. Ansonsten passiere in diesem Buch leider nicht viel, außer den stetigen "Zeichen eines wirkmächtigen Schicksals", die Fröhlichs "empfindsame Protagonistin" in allem zu erkennen vermöge. Trotz des "eigenwilligen, poetischen Stils" der Autorin klinge die Geschichte doch sehr "altbacken", besonders, wenn ein Gott "über sämtliche Bilder des alltäglichen Lebens zu den Menschen" spreche.
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"Neue Zürcher Zeitung"
Die "NZZ" stellt Franco Lucentinis "Der unbekannte Begleiter. Drei Erzählungen" vor und zeigt sich von den vor vierzig und mehr Jahren im Original erschienenen Texten äußerst angetan. Neben den Erzählungen "Die Tür" und "Die unbekannten Gefährten" bilde der "Bericht von den Ausgrabungen" das Glanzstück des Bandes dar. Mit dem aufs Äußerste reduzierten Vokabular seines Helden präsentiere Lucentini "eine wunderbar anrührende Geschichte über die große Verunsicherung des Auf-der-Welt-Seins." Obwohl die Texte des kaum dreißigjährigen Autors "mitunter an einer noch ungelenken Dialogführung oder etwas dröhnender Symbolik" litten, seien sie mit dem "untrüglichen Gespür für die Potenziale der Massenkultur" durchflochten.
Viel erwarten könne man von einem Tagebuch das der Autor mit "Aufzeichnungen eines Psychopathen" tituliere. Wenn der Schriftführer dann auch noch Wenedikt Jerofejews heiße, so meint die "NZZ", könne man von "Größenwahn und Schwermut" ausgehen. Tatsächlich schreibe die russische Legende von "Existenziellen zum Politischen, vom Alltäglich-Banalen zum Allegorisch", dadurch erhalte der Schriftsteller "Narrenfreiheit und poetische Lizenz". Das Werk setzte sich jedoch nicht ausschließlich aus sauber datierten Einträgen zusammen, vielmehr enthalte es eine Mixtur aus Selbstgesprächen, Erzählungen, Noten und dokumentarischen Skizzen. Erfreut schreibt der Rezensent, das Tagebuch gebe indirekt über den Zustand der damaligen Sowjet-Gesellschaft Auskunft, erweise sich aber zugleich als "ernstes, kluges und vielseitig".
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Das von Rudolf Habinger und Walter Kohl herausgegebene Werk "Mein Leben ist ein Roman" sei die Antwort von über achtzig Autoren auf den Aufruf der beiden oberösterreichischen Verfasser, private Zeugnisse, Erzählungen, Tagebücher Fotos und Erinnerungen zur Verfügung zu stellen, um dem Leser einen Einblick in die österreichische Alltagsgeschichte zu ermöglichen, informiert die "NZZ". Obwohl bereits die zweite Generation erwachsen sei, die schon im Frieden zur Welt kam, "gelte in kollektiver Erinnerung vorwiegend der Krieg als das große, niemals bewältigte Ereignis der Nation", bemerkt die Zeitung.
"Widerständiger als bei Albert Ostermeier" kann man sich die Lyrik kaum vorstellen, so die "NZZ". In seinen Gedichten fühle man sich "gezogen und gezerrt" durch Sprachmelodie, den Rhythmus und die "suggestiven Verskaskaden". Als eine "scheinbar bekannte Landschaft des Alltags und der Träume" erscheine die Welt, wobei im Vordergrund die Bildmagie stehe. Die Strophen seien "virtuos und kühn, nüchtern und anrührend", auch wenn Ostermeiers Dichtung gewöhnungsbedürftig zu sein scheine.
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"Süddeutsche Zeitung"
Viel und doch wenig habe "Wie viel Vögel" von Franziska Gerstenberg zu bieten. Wer aufregende "formale, sprachliche oder thematische" literarische Höchstleistungen erwarte, sei bei dieser Erzählung falsch, meint die "SZ". Jedoch zeichne sich das Werk gerade durch das Weglassen solcher Attribute aus. Die Geschichte handle einfach nur von jungen Leuten die auf nichts Bestimmtes warten. Der Rezensent ist der Meinung, der "unprätentiöse, irgendwie wortkarge und geheimnisvolle" Schreibstil sei der beste Weg die beschriebene Langeweile zu fassen. Dies bedeute aber nicht, dass das Erzähldebüt selbst der Langeweile verfalle. (lep/mir/gün)
Literaturangaben:
FRÖHLICH, ANNA KATHARINA: Wilde Orangen. Roman. DuMont Verlag, Köln 2004. 312 S., 19,90 €.
GERSTENBERG, FRANZISKA: Wie viel Vögel. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2004. 230 S., 18,90 €.
HABINGER, RUDOLF / KOHL, WALTER (Hrsg.):Mein Leben ist ein Roman. Alltagsgeschichten aus Oberösterreich. Bibliothek der Provinz, A-Weitra 2003. 230 S., 22,80 €.
JEROFEJEW, WENEDIKT: Aufzeichnungen eines Psychopathen. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Tropen-Verlag, Köln 2004. 191 S., 17,90 €.
LUCENTINI, FRANCO: Der unbekannte Begleiter. Drei Erzählungen. Mit einem Nachwort von Carlo Fruttero. Aus dem Italienischen von Dora Winkler. Piper-Verlag, München 2004. 247 S., 18,90 €.
OSTERMEIER, ALBERT: Solarplexus. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 138 S., 37,50 Fr.
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