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Ein Mädchen polarisiert

Das Debüt einer 20-Jährigen

© Die Berliner Literaturkritik, 28.10.05

 

„Wenn es dunkel wird, wächst mein Gesicht aus den Scheiben. Morgen möchte ich Monika heißen, oder Mara, und glücklich sein. Ich puste mir eine Schneeflocke vom Handrücken.“

Mit diesen Sätzen endet die letzte, die vielleicht stärkste Erzählung aus „In den Farben der Nacht“. Eine Erzählung, in der eine junge Frau ihren Großvater verliert, mit ihrem Cousin schläft und mit diesem über sich und ihr Leben spricht. Die Ich-Erzählerin Sophie hat das unangenehme Gefühl nicht sie selbst sein zu können. Wer ist sie überhaupt? Kann man überhaupt „man selbst“ sein? Wie soll sie leben? Der Cousin rät: „Du musst dich veräußerlichen, dir bleibt nichts anderes übrig.“

Autobiographische Tendenzen?

Es wimmelt von großen Worten in dem Dialog zwischen Sophie und ihrem Cousin, von Lebensentwurfsvorschlägen. Und wer „In den Farben der Nacht“ bereits ganz gelesen hat, wird in dieses Gespräch auf den letzten Seiten des Buches vielleicht eine ganz besondere Bedeutung hineininterpretieren. Wird darin vielleicht die Poetik des Bandes mitgeliefert? Tut die 1985 geborene Autorin Susanne Heinrich in ihrem Schreiben vielleicht genau das, was sich Sophie in der Geschichte vornimmt? Das scheint nicht abwegig, denn die 14 Erzählungen machen den Eindruck, als spreche hier immer die gleiche Person, als wechsle die Figur nur ihre Namen, um sich dann immer wieder aufs Neue zu „veräußerlichen“. Das Erzählte wirkt erlebt, erfahren, manchmal fast tagebuchhaft protokolliert. Und das ist gut, denn gerade dieses Gefühl von Authentizität, der Eindruck, dass hier jemand in einem konsequenten Seelenstriptease große und intime Teile seines jungen Lebens ausbreitet, macht es spannend. Vorraussetzung ist jedoch ein gewisses Interesse für das Sexual- und Beziehungsleben junger Frauen, für deren Melancholie und die Suche nach sich selbst. Geht einem dies ab, könnte „In den Farben der Nacht“ eventuell schwer zu ertragen sein.

Heinrichs Hauptfiguren sind immer junge Frauen, Mädchen in ihrem Alter. Mädchen, die begehrenswert sind, die sich aber nicht entscheiden können, wen sie lieben sollen, die niemals wissen, ob sie überhaupt lieben und die sich fragen, was sie so unglücklich macht, was es ist, nach dem sie suchen. Sie haben einen Hang zum Melodramatischen, sie nehmen alles groß und ernst und schwer. Wenn sie in tiefer Melancholie baden, wenn sie sich erschlagen lassen von den eigenen Beobachtungen, ganz heimlich geht es ihnen dann am besten.

Poesie-Pop

Ganz eindeutig leben sie in den 2000er Jahren. Sie schauen sich „Lost in Translation“ mehrmals an, hören Yann Tiersen und „Massive Attack“, zitieren Filme und Songs. Die Protagonistinnen sind sich der Popkultur bewusst und finden auf ihrer bedrückenden Suche nach individuellem Glück mitunter ein wenig Halt in Musik und Filmen. Zumindest mehr als in dem Sex, der ihnen irgendwie ständig passiert. Es vergeht keine Erzählung ohne -, ohne verschiedene Arten von Sex, um genau zu sein. „Wir schliefen miteinander, konzentriert und gewissenhaft, leicht und behutsam...“ und wenige Zeilen später: „Unsere Körper wollten einander noch nicht in Ruhe lassen, und als es draußen noch ein zweites Mal zu regnen begann, schliefen wir wieder miteinander, heftig und traurig und ernsthaft.“

Aber erfüllen, so viel darf verraten werden, wird all dieser Sex die jungen Frauen nie. Nur eine Geschichte bietet ein Happy End, nämlich den Beginn einer ernst gemeinten Beziehung. Und das ist jene, für die Susanne Heinrich beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb bereits viel Lob erhalten hat.

„Wir rauchen beim Ficken.“, heißt es da gleich am Anfang. Ein für alle Erzählungen typischer Satz. Denn auch geraucht wird ständig. Und es ist die Härte solcher Feststellungen im Wechsel mit feinfühligen, poesieschwangeren Beschreibungen, die den Ton des Buches bestimmt: „Der Schnee lehnte sich gegen die Scheiben, er wuchs am Glas nach oben, als füllte er ein Becken, in dem wir beide lagen, zusammengerollt.“

Empfindsamkeitsprosa

„Ich merke fast nichts mehr. Ich bin schon ganz taub geworden. Ich kann dich nicht einmal mehr einfach nur küssen. Ich habe vergessen, wann ich das letzte Mal etwas richtig gefühlt habe.“

Mancher wird in Sätze wie diese eintauchen können, sich mitnehmen lassen in die existenzielle, junge Welt, in der sich alles um Liebe und Begehren zu drehen scheint. Ein anderer wird die Augen verdrehen, das Gelesene für schwülstig, vielleicht für (post)pubertär halten. Doch wer hat Recht? Natürlich keiner, aber auch beide zugleich. Denn beide Reaktionen liegen absolut nahe. Es fällt schwer, den Texten aus „In den Farben der Nacht“ gelangweilt oder völlig neutral gegenüberzustehen. Dafür liegt zu viel Aufgeladenes, Schwermütiges in ihrer Sprache, dafür ist der Inhalt, die geschilderte Sex-Befremdung zu provokant. Zudem ist die Autorin einfach zu jung und ihr leicht exzentrisches Aussehen zu medienwirksam, als dass man auf das Phänomen mit unspektakulären Meinungen reagieren könnte. Ablehnen oder feiern - dazwischen bleibt wenig Platz.

Erzählungen als Konzeptalbum

Sind Heinrichs Mädchen, ist diese Ich-Erzähler-Stimme repräsentativ für eine Generation? Erzählen dort Personen mit psychischen Krisen, die auf gesellschaftliche Probleme verweisen? Oder geht es bloß um gut aussehende Diven, um ihr Selbstmitleid und ihre Luxusprobleme? Ein schmaler Grad, auf dem sich die 14 Erzählungen bewegen, die sich auch als eine, nur mehrmals durchgespielte Geschichte lesen lassen.

In einem Interview mit der Musikzeitschrift „Intro“ sagte Susanne Heinrich kürzlich: „Eben das war mein Ziel: eine Geschichte in so vielen Varianten zu erzählen, bis sie nicht mehr erzählbar ist.“ Das ist ihr gelungen. Und ungeachtet was die Heinrich-Feinde sagen werden, die Feier-Hälfte kann schwärmen: Ein Buch wie ein Konzeptalbum, eine Sammlung von Erzählungen als Gesamtkunstwerk! Es ist die Darstellung eines speziellen, eines unsere Zeit widerspiegelnden Themas: Die Identitätskrise und emotionale Zerrüttetheit junger Erwachsener. Groß!

Was ist nun also „In den Farben der Nacht“? Nervige, gefühlsüberfrachtete „Mädchenprosa“ oder aber runde, emotionale Literatur? Natürlich beides. Und beides zusammen repräsentiert Susanne Heinrich, ihren schwermütigen Sprachfluss, ihren spezifischen Ton. Die junge Autorin kann was, ihre Empfindsamkeitsprosa funktioniert und der Band „In den Farben der Nacht“ macht Sinn, ganz gleich ob man in diese Welt der Monikas, Maras oder Sophies nun begeistert eintaucht, oder ob man genervt die Augen verdreht.

(Leif Randt)

Literaturangaben:
HEINRICH, SUSANNE: In den Farben der Nacht. Erzählungen. Dumont Verlag, Köln 2005. 213 S., 19,90 €.


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