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Alles war für Max Bill Gestaltung, auch das Leben

Zwei Publikationen zu Max Bills 100. Geburtstag

Von: KLAUS HAMMER - © Die Berliner Literaturkritik, 14.07.08

 

Er hat sich vorrangig Architekt genannt, die Architektur war für ihn die Königsdisziplin unter den gestalterischen Berufen. Aber er war ebenso Bildhauer, Maler – Vertreter der Zürcher Schule der Konkreten –, Grafiker, Designer, Produktgestalter, Typograf, Bühnenausstatter, Theoretiker und Pädagoge. Als Parteiloser wurde er auch politisch tätig, als Mitglied des Gemeinderates von Zürich und dann im Schweizer Nationalrat. Er hat diese Teilwelten als Möglichkeiten des gleichwertigen Nebeneinander, des Mehrdimensionalen bewusst wahrgenommen und für sich genutzt. Es waren nicht Facetten, sondern Gesichter dieser gesamten gestalterischen Welt.

Denn alles war für ihn Gestaltung, auch das Leben. Schönheit sah er als das Resultat einer geistigen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Ordnung an, und zwischen den Gestaltungsproblemen des Alltags und denen in der Kunst konnte er keinen prinzipiellen Unterschied erkennen. Diesen Spagat zwischen Alltagswelt und reiner Kunst, seinen unbeirrbaren Glauben an eine schönere, bessere Welt haben nicht alle mit ihm geteilt. Aber das aufregend Ungewohnte seines Schaffens und Denkens fasziniert heute mehr denn je, und sein bevorstehender 100. Geburtstag am Ende dieses Jahres wird weitere Aktivitäten auslösen.

In seiner Schweizer Geburtsstadt Winterthur ist ihm bereits eine große Doppel-Retrospektive ausgerichtet worden. Das dortige Kunstmuseum zeigte seine Gemälde und Plastiken und das Gewerbemuseum stellte den kompromisslos neue Wege gehenden Gestalter Bill vor. Das Berliner Bauhaus-Archiv, dessen Vorstandsvorsitzender er einst war, führt jetzt im Vorfeld seines 100. Geburtstages Aspekte seines Werkes vor: Architektur, Design und Typografie (bis zum 25. August). Die Ausstellung ist vom Gewerbemuseum Winterthur übernommen worden.

Der in Winterthur besorgte Katalog „Max Bill – Aspekte seines Werkes“, ein illustriertes Lesebuch zu Bill, geht auf das Frühwerk des Künstlers, auf Konstanz und Wandlung des Begriffs „konkret“ bei Bill und auf seine freie Plastik- und Denkmalprojekte ein. Weitere Abschnitte behandeln Bill und das Bauhaus, Bill als Lehrer, Bill und die Hochschule für Gestaltung in Ulm, Bill und Asger Jorn im Streit um das neue Bauhaus, Bill und die konkrete Poesie, Bill und das Design, Bills Arbeit am Buch, Bill und das Corso in Zürich, Bill als Ausstellungsgestalter und sein Verhältnis zur Geburtsstadt Winterthur. Der Katalog enthält zudem viele Abbildungen und eine Biografie des Künstlers.

Zugleich ist von dem Sohn Jakob Bill eine gut dokumentierte Studie über „max bill am bauhaus“ erschienen mit Fotografien und frühen Zeichnungen Max Bills aus seiner Zeit am Dessauer Bauhaus in den Endzwanziger Jahren, als er bei Walter Gropius und Hannes Meyer Architektur studierte, während für seine künstlerische Entwicklung Laszlo Moholy-Nagy, Paul Klee und Wassily Kandinsky prägend wurden.

Das erste Haus, das Bill 1932/33 bauen konnte, war sein eigenes Wohn- und Atelierhaus in Höngg, damals eine Außengemeinde Zürichs. Der einfache weiße Kubus wurde statt mit einem obligaten Flachdach mit einem Satteldach aus Kupferblechen eingedeckt. Die klar hervortretende, konstruktiv aber nicht unbedingt erforderliche geometrische Fassadengliederung sollte dann auch ihre Analogien in den bildnerischen Gestaltungen haben, etwa in dem zehn Jahre später entstandenen Bild „Vierteiliger Rhythmus“, in dem vier quadratische Grundeinheiten so miteinander verkettet sind, dass verschiedene Zusammengehörigkeiten herausgelesen werden können. Auffallend am Hönggner Haus bleibt somit allein sein über die Notwendigkeiten hinaus getriebener geometrischer Rigorismus.

Den ersten international bedeutenden Erfolg konnte er dann mit der Gestaltung des Schweizer Sektors an der Triennale von 1936 in Mailand feiern. Seine Lösung ist so gelesen worden, als seien zwei Konzeptionen, eine fließende und eine zentristische, in einer Gestalt in eins gesetzt worden. Die Differenz dazwischen entspricht der zwischen Laufen und Stehen, dem schnellen Durchlaufen der Ausstellung, bei dem der Blick des Besuchers für die Vielfalt der schweizerischen Produkte geschärft wurde, und dem konzentrierten Studium der Gegenstände .und ihrer Formqualitäten.

Bei dem Auftrag für ein – heute zerstörtes – Wohnhaus in Bremgarten bezog sich Bill auf die japanische Bautradition und verschränkte zudem zwei verschiedene Systeme, das der tragenden und jenes der trennenden Teile, miteinander. Auch in späteren Projekten stellte das tragende Gerüst jedes Mal die primäre plastische Realität dar, in die hinein alle möglichen Formen des Ausbaus eingefügt werden konnten. Das Zusammenfügen verschiedener einfacher architektonischer Behälter wurde nach dem Krieg das vorherrschende gestalterische Thema. Anzeichen einer Dialektik zwischen gefasster und ungefasster Form liegen in der Gegenüberstellung von zwei Einfamilienhäusern in Odenthal-Erberich bei Köln als ein konzeptuelles Paar vor. Die Gestalt des einen Hauses ist als Widerrede zur Gestalt des anderen aufgefasst worden.

Doch sein bedeutendstes Werk ist die Hochschule für Gestaltung in Ulm (1950-55). In der Nachfolge des Bauhauses formulierte Bill nicht nur den architektonischen Entwurf der Schule, sondern auch deren pädagogisches Programm, über das er als erster Rektor wachte. Im Zentrum der Ausbildung stand „immer der Mensch als Prozess und nicht das statische Gebrauchsprodukt an sich“.

Die Architektur des Ulmer Hochschulgebäudes, eine einheitliche, ja uniforme Gestaltung von Baukörpern, besonders augenfällig im Gemeinschafts- und Schulbereich, weist als eines der herausstechendsten Merkmale die Wiederholung ähnlich gestalteter Fassadenelemente auf. Aus Rückgrat und Boxen sollte hier eine plastische Gestalt als das gemeinsame Dritte hervorgehen. Der Dissens Bills mit Ulm setzte dann mit der Verwissenschaftlichung der Ausbildung ein, während Bill dafür plädierte, dass die Analyse Methode und nicht Zweck der Ausbildung sein dürfe.

Seit den sechziger Jahren experimentierte Bill dann mit modularen Systemen, die er sowohl auf die Architektur (1964 an der Schweizerischen Landesausstellung „Expo“ in Lausanne) als auch auf Plastiken (Pavillon-Skulpturen) übertrug. Der Bill’sche Expo-Pavillon stellte ein offenes System dar, das aus seriell hergestellten Teilen bestand und sich nach Maßgabe der Bedürfnisse beliebig erweitern oder variieren ließ.

Neben den Architekturprojekten werden in der Berliner Ausstellung Designobjekte vom Essbesteck bis zum Mobiliar, aber auch ungewöhnliche Arbeiten aus dem Bereich Werbung und Plakatgestaltung gezeigt. Der berühmte Ulmer Hocker kann als Tablett, als Hocker oder auch als Teil eines Regals verwendet werden. Er wird heute noch nach den Plänen von Bill hergestellt. Eine andere bekannte Designarbeit sind die betont schlichten Zifferblätter für Junghans-Uhren, die als Re-Edition wieder erhältlich sind. Ein ausgesprochener Design-Klassiker ist die Junghans-Küchenuhr von Bill, die heute noch oder wieder in vielen Haushalten zu finden ist.

Für Bill definiert sich die Form als natürlich, selbstverständlich und funktionell. Sie schafft Kriterien, die auch innerhalb des technischen Zeitalters allein schon durch ihr Dasein stilbildend wirken. „Vom kleinsten Gegenstand bis zur Stadt“, vom elektrischen Samowar und von der Höhensonne bis zur stadtähnlichen Ulmer Hochschule für Gestaltung wollte er dem ganzen Erscheinungsspektrum unserer Umwelt gestalterisch, das heißt verändernd auf den Leib rücken.

Literaturangaben:
BILL, JAKOB: max bill am bauhaus. Zur Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur und in Dessau. Benteli Verlag, Bern 2008. 94 S., 24 €.
BILL, MAX: Aspekte seines Werkes. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur und im Gewerbemuseum Winterthur, 2008. Verlag Niggli, Zürich 2008. 238 S. mit 160 z.T. farbigen Abb., 30 €.

Verlage

Klaus Hammer, Literatur- und Kunstwissenschaftler, schreibt als freier Buchkritiker für dieses Literaturmagazin. Er ist als Gastprofessor in Polen tätig


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