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Geschichte durch Calvinos Brille

Eine beeindruckende Auswahl der Briefe Italo Calvinos

© Die Berliner Literaturkritik, 29.10.07

 

Wer war dieser Italo Calvino (1923-1985), der die Bestseller und postmodernen Klassiker „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ oder „Der Baron auf den Bäumen“ geschrieben hat? Dieser Fantast, dessen Erzählungen „Marcovaldo oder die Jahreszeiten in der Stadt“ oder die „Cosmicomics“ den Leser heute noch erheitern?

Eine Antwort darauf, wer Italo Calvino war, gibt die im Carl Hanser Verlag erschienene Sammlung seiner Briefe von 1941 bis 1985 mit dem schönen Titel: „Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen“. Verantwortlich für diese deutschsprachige Auswahl von Calvinos Briefen ist Franziska Meier, die auch die Kommentare zu den Briefen beisteuerte.

Die meisten der Briefe wählte Meier auf Grundlage der im Jahre 2000 erschienen Sammlung „Italo Calvino. Lettere 1940-1985“, herausgegeben von Luca Baranelli beim Verlag Mondadori, aus. Dabei beschränkte sich Meier auf weniger als 25 Prozent der insgesamt rund 5000 Briefe.

Ja genau, 5000 Briefe, die von Calvino vorzufinden sind – ganz zu schweigen von den nicht mehr auffindbaren – an Calvinos Schulfreund Piero Dentone vom Anfang der 1940er Jahre etwa, oder an den Autor Gianni Celati von 1968 bis 1970 deren Verlust Baranelli in seinem Vorwort ausdrücklich bedauert.

Bei Meiers Briefauswahl nun ist festzustellen, dass intim-private Inhalte im Wesentlichen nicht vorkommen. Liebesbriefe Calvinos sucht man hier vergebens. Diese sind in den Archiven verschlossen und vom „Corriere della Sera“ nur illegal im Jahr 2004 veröffentlicht worden. Was mit dieser Sammlung jedoch vorliegt, ist nicht minder spannend – man ziehe nur in Betracht, mit wem Italo Calvino korrespondierte und welche Themen ihn bewegten. Zu den Adressaten gehörten unter anderem die Schriftsteller Elio Vittorini, Natalia Ginzburg, Cesare Pavese, Hans Magnus Enzensberger und Pier Paolo Pasolini.

Die Briefe dieser Ausgabe sind chronologisch angeordnet wobei Meier folgenden Schwerpunkt setzte: Briefe aus den Jahren 1941 bis 1960 machen circa zwei Drittel, die der restlichen 25 Jahre ein Drittel dieser Sammlung aus. So herrschen also die Briefe des „jungen“ – bis 37 Jahre alten – Calvino vor.

In der Zeit von 1941 bis 1947 beschränkt sich Calvinos Korrespondenz auf Familie, Freunde und Weggefährten der „Resistenza“, ab 1947 kommen auch Briefe an Intellektuelle und Schriftstellerkollegen dazu, beginnend mit einem Brief an den Schriftsteller Elio Vittorini vom Dezember 1947.

Interessant sind im ersten Teil der Briefe (1941 – 1947), insbesondere die an Eugenio Scalfari, Calvinos Schulfreund und heute noch tätiger Publizist der Tageszeitung „La Repubblica“ – allen voran die Briefe von 1941 bis 1943. In dieser Zeit studierte Calvino, der Familientradition folgend, in Turin und Florenz Agronomie. Die Briefe des Studenten sind frisch, teilweise vulgär und mit zahlreichen Sprachexperimenten versehen. Wie beispielsweise der Brief vom 11. Juni 1942: „Aber wenn Du es so weit treibst, o Eugenio Scalfari, vor mir mit KOTLETTEN zu erscheinen, die auch nur einen Millimeter länger sind als normal, dann, das schwöre ich Dir bei diesem Filippo (Bezeichnung für Gott, Anmerkung des Rezensenten), an den ich nicht glaube und an den zu glauben Du behauptest, dann ziehe ich Dir den Skalp ganz ab, zwinge dich, ihn hinunterzuwürgen, und meißle Dir das Gedicht eines zeitgenössischen hermetischen Dichters in den Schädel.“

Mit der Absetzung Mussolinis 1943 und der anschließenden Besatzung Italiens durch deutsche Truppen beschließt Calvino, sich der Resistenza in den ligurischen Bergen anzuschließen. Ein entscheidendes Ereignis in seiner Biografie, da er im Untergrund auch die Zeit zu intensivem Lesen findet. Aus diesen anderthalb Jahren als Widerstandskämpfer liegen allerdings keine Briefe vor, sowie keine Briefe aus den Jahren 1982 und 1983 in dieser Sammlung vorzufinden sind.

Auch wenn Calvino bereits in den vorhergehenden Jahren Theaterstücke geschrieben hatte, beginnt seine „bewusste“ literarische Laufbahn erst mit dem Jahr 1945. Er begann im selben Jahr ein Studium der Literaturwissenschaft in Turin, womit er sich von der landwirtschaftlichen Tradition seiner Eltern löste. Im Jahr 1947 schließt er seine Magisterarbeit zu Joseph Conrad ab und veröffentlicht im selben Jahr seinen Debütroman „Wo die Spinnen ihre Nester bauen“ – ein umfassendes, dem Neorealismus verpflichtetes Buch über den italienischen Widerstand, erzählt aus der Sicht eines kleinen Jungen.

Der zunehmende briefliche Kontakt zu anderen Autoren, Filmemachern und Komponisten, von 1947 an, ist Calvinos Arbeit im Einaudi-Verlag geschuldet. Die Adressaten seiner Briefe sind nicht nur in Italien vorzufinden, sondern auch in verschiedenen Ländern Europas – selbst in Moskau unterhält Calvino mit dem Übersetzer Lev Aleksandrovič Veršinin in den Jahren 1965 und 1966 eine Korrespondenz.

Einer der Höhepunkte aus dieser Zeit ist sicherlich der Brief Calvinos vom 1. August 1957 an die Parteiführung der Kommunistischen Partei Italiens. Hierin erklärt Calvino seinen Austritt aus der Partei, der er 1945 beigetreten war. Grund war die Moskau-treue Linie der Parteiführung und deren Forderung, dass sich die Kunst der Partei unterzuordnen habe. Calvino erklärt, dass er sich weiterhin der Kommunistischen Partei verbunden fühle; jedoch glaubte er: „Als unabhängiger Schriftsteller kann ich unter bestimmten Umständen ohne innere Vorbehalte auf Eurer Seite Stellung beziehen, so wie ich (der Grenzen eines rein individuellen Standpunkts stets eingedenk) solidarisch an Euch Kritik üben und in Diskussion mit euch treten kann.“

In Zusammenhang dieses Zwists zwischen Calvino und der Kommunistischen Partei, liegt auch ein Brief vom Parteivorsitzenden Palmiro Togliatti vom 19. Oktober 1957 vor. Es ist der einzige, wenn auch in Auszügen, in dieser Sammlung wiedergegebene Brief, der nicht von Calvino stammt, sondern sich an ihn richtet. Togliatti rechtfertigt darin eine Rede, die er vor dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei gehalten hatte, und über die sich Calvino in einem vorhergehenden Brief empört hatte.

Es gibt auch einen geradezu rührenden Brief vom Januar 1964 an seine Mutter Eva Mamelli Calvino. Er besuchte seine Geburtstadt Santiago de las Vegas auf Kuba und teilte ihr mit, dass sich so gut wie alle Einwohner der Stadt an die Eltern und Agronomen Calvino freudig erinnerten: „Als die alte Rita erfuhr, dass ich el hijo de Carbino y de Eva bin, stieß sie abwechselnd ‚Sacramento’ und ‚Alabado’ und ‚Maria Virgen’ aus.“

In seinen Briefen an Intellektuelle und Kollegen ist der Ton nüchterner, so wie die Briefe an Hans Magnus Enzensberger vom Oktober und November 1965. Sie beinhalten einen Gedankenaustausch der beiden Schriftsteller über das Diskussionsklima in Italien und die Frage, welche zeitgenössischen Autoren in Deutschland von Wichtigkeit seien – Calvino bereitete für die Literaturzeitschrift „Menabò“ eine zeitgenössische „deutsche“ Ausgabe vor. Sie erschien im darauf folgenden Jahr mit Texten von Peter Hacks, Alexander Kluge, Arno Schmidt, Martin Walser und Uwe Johnson. Zu dieser Ausgabe steuerte Enzensberger den Aufsatz „Literatur als Geschichtsschreibung“ bei, den er zunächst nicht beisteuern wollte, da er ihm nicht aktuell genug erschien, doch Calvino ermunterte ihn: „Dein Aufsatz ist natürlich Dreh- und Angelpunkt des Ganzen: Wie kannst Du daran denken, ihn wegzulassen?“

Während Calvino und Enzensberger Sympathie füreinander entwickelten, war das Verhältnis zu Pier Paolo Pasolini ein Ambivalentes. Beide verband die Auffassung, dass der Dialektdichtung Bedeutung als ein möglicher Ausweg aus der prosaischen Krise zukomme – aber sie verstanden sich (allen voran in den 50er Jahren) so gut, dass Calvino – als er in den USA 1959/60 ein Stipendium wahrnahm – Neujahrsgrüße für das Jahr 1960 an Pasolini schickte. In den 60er Jahren gab es keinen Kontakt zwischen ihnen, da Calvino die Filme von Pasolini abschreckend fand. In den 70er Jahren kam es wieder zu einem Kontakt, wie beispielsweise im Februar 1973 als Pasolini Calvinos „Die unsichtbaren Städte“ rezensierte: „Lieber Pier Paolo, erst gestern habe ich Deinen sehr schönen Artikel gelesen, und ich bin glücklich, dass das Schreiben für mich noch Überraschungen bereithält wie diesen Dialog, Gedankengängen wie Deine, ganz Unmittelbarkeit und vitale Intelligenz, abseits von allen vorhersehbaren Schemata des kritischen Diskurses. Und glücklich, dass mein Buch Anlaß für ein solches Feuerwerk an neuen und genialen Gedankengängen war, …“ Trotz dieses überschwänglichen Lobes an Pasolini, blieb das Verhältnis angespannt: Selbst als Pasolini im November 1975 tot in einem Vorort von Rom aufgefunden wird, bezichtigte Calvino im Brief an Cassola des gleichen Monats desselben Jahres Pasolini als einen derjenigen Schriftsteller, die in „überbordenden Ausmaß“ ihre Gedanken in den Zeitungen kundtäten.

Unter den Künstlern anderer Kunstrichtung, mit denen er korrespondierte, ist beispielsweise der kürzlich verstorbene Filmregisseur Michelangelo Antonioni. Dieser bat Calvino bei dem Drehbuch für seinen Film „Blow up“ mitzuwirken. Doch Calvino antwortete im Brief vom September 1965, dass „das Tandem zwischen Dir (Antonioni, Anmerkung des Rezensenten) und Tonino bestens funktioniert, eine mittlerweile bewährte innere Dialektik garantiert.“ Calvino wurde des Öfteren eine Kooperation von Filmregisseuren oder Komponisten angeboten, doch er schlug sie immer wieder aus.

Noch der eine oder andere Intellektuelle ließe sich an dieser Stelle heranziehen und zitieren, deren Namen sich unter den Adressaten der Briefe dieser Sammlung finden – so etwa der Komponist Luigi Nono, mit dem Calvino seine komponierten Werke eindrucksvoll besprach, oder die Autoren Leonardo Sciascia, Primo Levi, Elsa Morante. Auch „ratgebende“ Briefe Calvinos an Schüler einer Mittelstufe finden sich in diesem Band sowie ein Brief an den Geschichtsprofessor Tamborra, der sich in einem Buch mit den italienischen Exilanten in Russland zwischen 1905 und 1917 beschäftigte und hier auf den „Pseudo-Calvino“ – den Vater von Calvino –stieß. Doch sie alle jetzt zu nennen und zu jedem eine kleine Zusammenfassung beizufügen, führte zu weit, sie seien hier nur kurz erwähnt.

Es steht fest, dass in diese Sammlung, trotz der 25-prozentigen Reduzierung nichts von den (kultur)geschichtlichen Ereignissen zwischen 1941 bis 1985 in Italien verloren gegangen ist. Auch die Studentenrevolte vom Jahre 1968 in Paris findet ihre Erwähnung. Die Auswahl ist mehr als gut getroffen und man verschafft sich als Leser einen sehr guten Überblick.

Auffallend ist, wie sich Calvinos Schreibstil vom impulsiven Heranwachsenden und spielerischen Twen bis 1943 und zum immer nüchterner und offizielleren Schreibstil ab 1945 wandelt. Begleitet wird dieser Stilwandel zudem mit Hinweisen auf wiederkehrende Schreibblockaden, Resignation und (Lebens)müdigkeit.

Lob gebührt auch der Übersetzerin Barbara Klein, der es gelungen ist, die Briefe flüssig zu formulieren. Feststehende italienische Begriffe werden kursiv wiedergegeben. An jeden Brief schließt sich eine kurze Erklärung an, die in sich schlüssig und leicht verständlich ist. Dieses Lob trifft auch auf die Erklärungen der Anspielungen in Calvinos Briefen zu. Dank dieser Erläuterungen stört es nicht weiter, dass die an Calvino gerichteten Briefe fehlen.

Bedauerlich finde ich nur, dass die Anmerkungen nicht darauf hinweisen, ob die Briefe handschriftlich oder per Schreibmaschine verfasst wurden. Zudem fehlt die Angabe, in welcher Sprache die einzelnen Briefe geschrieben sind, da Calvino mehrere Briefe auf Französisch geschrieben hat.

Trotzdem ist diese Sammlung empfehlenswert: da sie einen Überblick über die Geschichte Italiens und Europas durch die Brille von Calvino bietet. Die Sammlung ist zu recht vom Deutschlandfunk im August zum „Buch der Woche“ erklärt worden. – Ein Muss für alle Calvino-Fans, die nach der Lektüre sicherlich feststellen: „Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen!“

Von Angelo Algieri

Literaturangaben:
CALVINO, ITALO: Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen. Briefe 1941-1985. Übersetzt aus dem Italienischen von Barbara Klein. Herausgegeben von Franziska Meier. Carl Hanser Verlag, München 2007. 416 S., 25,90 €.

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