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Der ganz normale TV-Wahnsinn

Roger Schawinski über seine Zeit beim Privatsender Sat.1

Von: HOLGER BÖTHLING - © Die Berliner Literaturkritik, 21.09.07

 

Fernsehen kann süchtig machen. Fernsehmachen auch. Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher bangen Blickes vor dem Computerbildschirm saß: Stimmt die Quote? Schlägt der teuer eingekaufte Spielfilm ein? Was bringt die Konkurrenz? Die Computersimulation, die mich so viele Stunden vor dem PC fesselte, hieß „Mad TV“. Darin musste man als Programmchef eines Fernsehsenders seine Konkurrenten im Kampf um die Quotenhoheit (und die hübsche Tochter des Senderchefs) ausstechen. Da reichte es nicht, die besten Spielfilme, Shows und Serien zu senden, die richtigen Werbeblöcke zur richtigen Zeit zu platzieren und die besten Nachrichten zu produzieren. Man konnte seinen Gegnern auch hinterhältig eins auswischen: etwa, indem man in ihr Büro einbrach oder ihnen Terroristen auf den Hals hetzte.

Ganz so schlimm tobt der Konkurrenzkampf in der Realität nicht. Aber fast. Zumindest wenn man Roger Schawinski Glauben schenken darf. Der Ex-Geschäftsführer von Sat.1 hat ein Buch geschrieben, in dem er die Machenschaften hinter den Kulissen des Privatfernsehens beschreibt. Drei Jahre, von 2003 bis Ende 2006, führte der Schweizer Schawinski den Berliner Privatsender Sat.1. Von der Fernsehsucht ist er nicht geheilt. Noch heute gilt sein erster Blick jeden Morgen den Quoten des Vortags. Zur aktiven Zeit bestimmte dieser Blick die psychische Verfassung für den gesamten Tag. Seine Stimmung pendelte sich „je nach Resultat bei Euphorie oder Niedergeschlagenheit“ ein, wie Schawinski schreibt.

„Die TV-Falle“ ist eine Mischung aus Insiderbericht und Praxishandbuch für TV-Macher. Das Buch legt deftig los. Mit renitenten Stars und erniedrigenden Canossa-Gängen. Denn: „Eine der Kernaufgaben eines Senderchefs ist die Betreuung seiner Sendergesichter.“ Schawinski muss allerlei Seelenmassage betreiben, seine Stars stets bei Laune halten. Wenn ein Format Quote bringt, entwickeln die Hauptdarsteller in null Komma nichts Starallüren und wollen Kasse machen, so schnell es geht. Schließlich können sie nie wissen, wie lange der Erfolg anhalten wird. „Die Unsicherheiten des Fernsehgeschäfts und die Kurzfristigkeit der meisten Verträge sind ideale Nährböden zum Heranzüchten von neurotischen Persönlichkeitsstrukturen“, schreibt Schawinski.

Und so darf er sich mit wahrhaft bemerkenswerten Persönlichkeiten herumschlagen. Da ist das Telenovela-Sternchen Alexandra Neldel, dem der Erfolg von „Verliebt in Berlin“ zu Kopf steigt und die plötzlich nicht mehr den ihr zugedachten Traumprinzen ehelichen will (und natürlich mehr Geld fordert). Da ist Serienstar Ottfried Fischer mit seiner Frau und Managerin Renate, die ihren Otti nie genug gewürdigt sieht. Um die Fischers zu besänftigen, muss Schawinski wiederholt in ihr Lieblingslokal anrücken und literweise Weinpullen mit ihnen köpfen.

Die Vertragsverhandlungen mit dem Bajuwarenpaar sind, gelinde gesagt, eine Qual. Einmal beordert Renate ihn zu einer TV-Aufzeichnung aufs Münchner Oktoberfest. Schawinski hat gerade eine Meniskus-OP hinter sich. Das spricht ihn aber nicht davon frei, bei „Ottis Wiesn-Hits“ ständig auf die Bierbank rauf und runter zu hopsen. Nützt ja nichts. „Der Bulle von Tölz“ ist ein Quotengarant. Da muss der Chef gute Miene machen – trotz schmerzendem Knie.

Nicht nur die Gesichter vor der Kamera bereiten Schawinski Kummer. Er müht sich auch ab mit unverschämten Produzenten, jetlag-geplagten Finanzinvestoren, kunstbeflissenen Regisseuren, launigen Media-Agenten… Sein Buch beschränkt sich aber nicht nur auf die persönlichen Kapriolen der Branche. Schawinski will enthüllen, wie das TV-Business im Ganzen funktioniert, Mechanismen erläutern. Erste Regel: Immer gucken, was die Konkurrenz macht. Was funktioniert, wird kopiert. Oder, wenn das nicht möglich ist, wird mit Kampfprogrammierungen dem Konkurrenten der erfolgreiche Sendeplatz kaputt gemacht. Das TV-Geschäft ist ein Dschungel. Da ist die Realität sehr nah am eingangs erwähnten Computerspiel. Zu Zeiten von „Mad TV“, Anfang der Neunzigerjahre, konnte jedoch noch niemand ahnen, dass bald zunehmend die Rendite und nicht mehr die Quote den TV-Alltag bestimmen würde.

Privatfernsehen heute, zumal in der ProSiebenSat.1-Gruppe, ist „Controller-Fernsehen“. Und das heißt: Willkommen in der Welt der DB1-Werte, der Deckungsbeiträge jeder Sendung. Da lacht das BWLer-Herz – und die Zuschauer packt der Graus. Kostendruck erzeugt meist Qualitätsverlust. Schawinski erklärt, was es für Fernsehmacher heißt, wenn ihr Sender von Finanzinvestoren wie Haim Saban übernommen wird, und warum sich die Programme der TV-Sender immer mehr angleichen. Er benennt die Defizite deutscher Produktionsmechanismen (die zur „CSIiserung der Fernsehwelt“ führten), stänkert gegen die Öffentlich-Rechtlichen und sogenannte „Drittanbieter“ wie Alexander Kluges Firma DCTP und watscht ganz nonchalant, aber natürlich durch die Hintertür die Zuschauer ab.

In der wohl schönsten Passage des packenden Buches berichtet Schawinski von seiner Begegnung mit dem Objekt der Begierde, dem Stammpublikum von Sat.1. Eine ausgewählte Personengruppe wurde dafür per Videokamera beim TV-Konsum beobachtet. Was Schawinski sieht, findet er „schockierend, beinahe brutal“. Der Fernseher läuft zwar permanent, aber eben nur nebenher. Kaum ein Zuschauer beachtet, was da über die Mattscheibe flimmert. „Die nun erlebte und wahrscheinlich noch geschönte Realität konfrontierte uns mit Bildern, die in ihrer Direktheit und Ungeschminktheit selbst den letzten Rest von Glamour zerstörten, mit der wir unsere von uns selbst als so bedeutend eingestufte Tätigkeit gerne umfloren.“

Und das ihm! Roger Schawinski, der bei seinem Amtsantritt bei Sat.1 versprochen hatte, dem Sender Qualität zu bringen. Doch wer solche Zuschauer hat, braucht sich um das Programm eigentlich nicht zu sorgen. Heute hebt Schawinski hervor, immerhin nicht in die Niederungen des Trash hinabgestiegen zu sein. In seinem Buch rückt er das Bemühen um Qualität in den Vordergrund, schildert unter anderem ausgiebig, fast tränenselig den Flop der hochgelobten Produktion „Blackout“ und seinen Kampf um die Nachrichtenkompetenz bei Sat.1.

Allerdings, auch das muss gesagt werden, Schawinskis Nachrichten-Offensive mit den inzwischen von den neuen Eigentümern abgesetzten Formaten „Sat.1-News“ und „Sat.1 am Mittag“ zielte doch mehr auf den Boulevard als die seriöse politische Berichterstattung. Andere Flops, wie das trashige „Kämpf um Deine Frau“ finden in dem Buch keine Erwähnung. Dafür betont er häufig, den Wert von Sat.1 in seinen drei Jahren als Geschäftsführer vervierfacht zu haben. Wenn etwas klappt, benutzt Schawinski gern den Singular, von Misserfolgen berichtet er im Plural. Das wirkt zuweilen arg selbstverliebt. Aber das muss man als Fernsehsüchtiger wohl auch sein.

Literaturangaben:
SCHAWINSKI, ROGER: Die TV-Falle. Vom Sendungsbewusstsein zum Fernsehgeschäft. Verlag Kein & Aber, Zürich 2007. 256 S., 16,90 €.

Verlag:

Holger Böthling arbeitet als freier Journalist und Buchkritiker in Berlin


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