Die Vorderseite des Buchumschlags ziert ein Gruppenfoto aus dem Jahre 1881 mit dem Gründungspatriarchen Richard Wagner oben rechts. Links neben ihm seine zweite Frau Cosima, geborene Liszt, daneben posieren Heinrich von Stein (Erzieher des gemeinsamen Sohnes Siegfried) und Blandine von Bülow, die jüngere Tochter Cosimas aus ihrer vorherigen Ehe mit Hans von Bülow. Der Maler Paul von Joukowsky hingegen, der später die Bühnenbilder für die Bayreuther „Parsifal“- Premiere entwerfen wird, hält sich etwas abseits. Die untere Reihe bilden von links nach rechts Cosimas und Richards älteste Tochter Isolde Wagner, Daniela von Bülow (die ältere Tochter Cosimas und Hans von Bülows) sowie Isoldes jüngere Geschwister Eva und Siegfried Wagner.
Wagnersche Liebesreigen
Schon das Titelbild führt mitten hinein in das biographische Verwirrspiel der Familien-Saga. Richard Wagner war erst sechs Monate alt, als sein 43jähriger Vater Friedrich Wagner, Jurist und Polizeiaktuar am Leipziger Stadtgericht, starb. Neun Monate nach dem Tod ihres Mannes heiratete die erneut schwangere Mutter, die einstmals die Geliebte des Prinzen Constantin aus dem Hause Sachsen-Weimar-Eisenach war, den „innig vertrauten Hausfreund“ Ludwig Geyer. Maler, Schauspieler und Theaterdichter in Dresden, den Richard gern als seinen leiblichen Vater angesehen hätte. Richard Wagner selbst heiratet später die Erste Liebhaberin der Theatertruppe Bethmann, Minna Planer, die eine 16jährige Tochter, Natalie, mit in die Ehe bringt. Minna begleitet ihn durch die Hunger- und Schuldenjahre in Riga und Paris, bis der Erfolg des „Rienzi“ in Dresden der Familie Wagner eine bürgerliche Existenz bietet. Als der wegen seiner Teilnahme an der Revolution von 1848 steckbrieflich gesuchte Wagner zu Franz Liszt nach Weimar flieht, bleibt Minna verzweifelt und wütend auf ihren Mann in Dresden zurück und folgt ihm später nur widerwillig ins Exil nach Zürich. Wagner verliebt sich zunächst in die Engländerin Jessie Laussot, dann in Mathilde Wesendonck, die seine Muse bei der „Walküre“ und „Tristan und Isolde“ wird, und schließlich in Mathilde Maier, das Urbild der Eva aus den „Meistersingern“.
Cosima, die zweite uneheliche Tochter Liszts und der Gräfin Marie d’Agoult, hat den von Wagner geförderten Dirigenten Hans von Bülow geheiratet, doch sie will die Geliebte – und Organisatorin – des 24 Jahre älteren genialen Wagner sein. Mit Wagner zeugt sie Isolde und Eva, die von Bülow legitimiert werden. Wagner ist unterdessen Witwer geworden, und nachdem der ersehnte Sohn Siegfried geboren wird, erreicht Cosima nach langen Kämpfen von Hans von Bülow, der Wagner dennoch ein treuer Freund und Mitarbeiter bleibt, die Scheidung, um Sohn Siegfried durch eine Heirat mit Wagner legalisieren zu können. 1882 übersiedelt die Großfamilie Wagner, zu der auch die beiden Töchter aus Cosimas Ehe mit von Bülow gehören, aus der Schweiz in das kleine oberfränkische Bayreuth. Hier wird unter dem großzügigen Mäzenat des bayrischen Königs Ludwig II. das Festspielhaus errichtet, ein demokratischer Gegenentwurf zum dominierenden aristokratischen Logentheater, aber auch das repräsentative Familienhaus, die Villa Wahnfried.
Letzte Ruhe in Wahnfried
Die ersten Bayreuther Festspiele werden 1876 mit der ersten kompletten Aufführung des „Rings des Nibelungen“ eröffnet - ein sensationeller künstlerischer Erfolg, aber finanziell ein Desaster. Wagner unterhält eine Beziehung mit Judith Gautier, Tochter des Schriftstellers Théophile Gautier, die 1881 zum Ärger Cosimas wieder als Gast in Wahnfried weilt. Und noch bevor 1882 die zweiten Festspiele mit der hervorragenden Uraufführung des „Parsifal“, Wagners „Weltabschiedswerk“, stattfinden, ist das obige Foto entstanden – der pater familiaris inmitten seiner Frauen, Kinder, Ziehkinder und Getreuen. Zwei Jahre später wird ein schwerer Herzanfall in Venedig zu seinem Tode führen. Unmittelbar vorausgegangen sein soll ein Streit Cosimas mit Wagner über den Besuch der 23jährigen Sängerin Carrie Pringle, die eines der Blumenmädchen im „Parsifal“ darstellte. Zu „Siegfrieds Trauermarsch“ wird der Sarg nach Wahnfried gebracht und in die Gruft im Garten der Villa gesenkt. „Was folgte, ist Nachwelt“, schrieb der Wagner-Biograph Martin Gregor-Dellin, „eine andre Geschichte, Wahnfried ohne Wagner – und fern ist Heute, von ihm getrennt durch Katastrophen“.
Die in Wien lebende Historikerin Brigitte Hamann, die zum Thema Wagner schon mit dem Buch „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“ (2002) hervorgetreten ist, stellt in der Reihe „rowohlts monographien“ die widerspruchsvolle Geschichte der Familie Wagner vor – vom Gründungspatriarchen bis ins vierte Glied, zur Urenkelgeneration, die gegenwärtig um die Nachfolge in Bayreuth kämpft. Das ist keine respektvolle, geschweige denn panegyrische Huldigung an den großen Komponisten, sondern eine die Primär- und Sekundärquellen gründlich aufarbeitende und daraus ihre Schlussfolgerungen ziehende, sachorientierte und kritische Studie. Hier wird Wagners Ungezwungenheit, ja Herzlichkeit im Umgang mit „seinen“ Kindern genauso genannt wie seine vielen Liebesaffären, seine unvergängliche Leistung auf dem Gebiet des Musiktheaters ebenso herausgestellt wie sein Deutschnationalismus. Seine antisemitische Haltung, in der ihm Cosima nacheiferte, wird ebenfalls nicht verschwiegen. Worauf die Verfasserin ihre Aufmerksamkeit aber vor allem richtet, das ist das alte, ebenso beglückende wie widerwärtige, immer wieder neu inszenierte Spiel der Beziehungen. Es ist nicht leicht, die Verhältnisse im Hause Wagner und in seinem Umkreis zu durchschauen. Manches ist bis heute zweifelhaft oder ganz im Verborgenen geblieben.
Auch die Fortführung der Wagner-Festspiele durch seine Witwe Cosima, die Wagner um 47 Jahre überlebte und die aus Bayreuth einen Tempel der Wagner-Anbetung machte. Die Öffnung Bayreuths für die Moderne durch Wagners Sohn Siegfried und die fatale Anbiederung Bayreuths an Hitler und die Nationalsozialisten durch Siegfrieds Gattin Winifred werden exakt – man könnte auch sagen unbestechlich – beschrieben. Mit der Gralshüterin Cosima, die auch selber inszenierte, begann eigentlich die verfälschende Wagner-Idolisierung. Bayreuth wurde zwar zu einer Weltattraktion, aber Cosimas Bemühungen, langfristig die alleinigen Aufführungsrechte zu sichern, waren vergeblich. 1907, in ihrem 70. Lebensjahr, übertrug sie ihrem inzwischen 38jährigen Sohn Siegfried die Leitung der Festspiele. Dass dieser bald Modernisierungen in dem Traditionsunternehmen einführte, tritt bei Brigitte Hamann zurück hinter der Auseinandersetzung mit Siegfrieds massivem Antisemitismus.
Verfeindeter Clan im Streit ums Erbe
Die Wagner-Familie war seit Cosimas Zeiten ein in sich verfeindeter, von Neid und Missgunst geprägter Clan, seine jüngeren Mitglieder waren familiären Zwängen und Bevormundungen ausgesetzt, wurden aber auch von höchst eigensüchtigen Motiven geleitet. Die Cosima-Tochter Isolde klagte 1914 um ihre Anerkennung als Kind Richard Wagners und hatte dabei natürlich auch die sich daraus ergebenden Rechte im Auge. Siegfried heiratete 1915 die 19jährige Winifred Williams, eine gebürtige Engländerin und Waise, die noch vor der Wiedereröffnung der vorher bankrott gegangenen Bayreuther Festspiele eine fanatische Anhängerin Hitlers wurde. Obwohl Siegfried dagegen ankämpfte (Hamann begründet das mit Siegfrieds „Angst vor einem drohenden Boykott der Festspiele und dem Ausfall von Spenden reicher Juden“, doch eigentlich standen die Wagners immer rechts), wurde Richard Wagner immer mehr zum Idol des Nationalsozialismus und zum musikalischen Bollwerk gegen die Juden. Dennoch gelang es Siegfried, den „nichtdeutschen“, liberalen Dirigenten Arturo Toscanini für den „Tannhäuser“ am Grünen Hügel zu verpflichten, bevor er selbst noch vor der Aufführung 1930 verstarb.
Jetzt schlug die Stunde der Schwiegertochter. Durch den Teufelspakt zwischen Bayreuth und Hitler blieb Bayreuth allerdings lange vor der Gleichschaltung bewahrt, bis Hitler hier 1940 die „Kriegsfestspiele“ als Propaganda- und ideologische Manipulierungsveranstaltungen schuf. Schon 1908 hatte Wagners Tochter Eva den Kulturkritiker Houston Steward Chamberlain geheiratet, der Wagners antijüdische Haltung mit seiner eigenen „arischen“ Blutideologie verband und Wagner als Verkünder einer germanischen Volksreligion feierte. Während sich Winifreds Söhne Wieland und Wolfgang auf ihre kommenden Tätigkeiten in Bayreuth vorbereiteten, war ihre Schwester Friedelind ins Exil in die USA geflohen und bezog hier Stellung gegen die Bayreuther Zustände.
Warum nur hat Brigitte Hamann unter dem Titel „Winifred und ihre Söhne“ die Zeit von 1930 bis heute in einem Kapitel zusammengefasst und nicht einen eigenständigen Abriss der inzwischen 50jährigen Geschichte „Neubayreuths“ gegeben? Denn letztere leitete einen Generationen- und Führungswechsel ein und wurde von den Wagnerenkeln Wieland und Wolfgang wesentlich geprägt. Der 1966 gestorbene Wieland Wagner hat eines der aufregendsten Kapitel in der Geschichte der Bayreuther Festspiele geschrieben, während sein Bruder Wolfgang dann in Alleinverantwortung wieder einen Schritt zurück ging, doch den Fortbestand der Festspiele juristisch und finanziell zu sichern verstand. 1976 verpflichtete er mit Patrice Chéreau und seinem Gefolge ein französisches „Ring“-Produktionsteam, dem eine der sensationellsten Inszenierungen des Wagner-Theaters gelang.
Seit den 70er Jahren hat sich Wolfgang Wagner, seinen Alleinherrschaftsanspruch als Chef der Bayreuther Festspiele zementierend, mit allen anderen Mitgliedern der Familie zerstritten. Der heute 85jährige selbst hält außer seiner Tochter aus zweiter Ehe, Katharina, keinen aus dem Familienclan für geeignet, sein „Erbe“ anzutreten. Wie das Kandidaten-Karussellspiel ausgeht, wird die Zukunft erweisen.
Fazit: Die Geschichte der Wagner-Dynastie ist viel mehr als nur eine skandalumwitterte Beziehungskiste, sondern Wagnersche Wirkungsgeschichte in nuce. Das Werk Richard Wagners ist jedoch nicht deckungsgleich mit seiner Wirkungsgeschichte in der Wagner-Familie. Zugleich gilt: Wer aus der Familie hervorging und Bayreuth verpflichtet war, diente Wagner, in welcher Weise auch immer, und sonst niemandem. Das ist noch heute so.
Literaturangaben:
HAMANN, BRIGITTE: Die Familie Wagner. Dargestellt von Brigitte Hamann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005. Reihe: Rowohlts Monographien. 176 S., 8,50 Euro.