Für Elfriede Czurda ist Literatur notwendigerweise konnotiert als „Störfaktor einer Ordnung“, wie sie es in ihrem Prosaband „Diotima“ (1982) ausdrückt. Ihre Literatur markiert die „Bruchstellen“ einer symbolischen Ordnung, die auf Kausalität, Linearität und Substanz basiert. Bereits in ihren frühen Texten macht die Autorin darum das Fragmentarische, Willkürliche, Nichtlineare lesbar stark und sprachlich sichtbar. In ihrem ersten Buch „ein griff“ (1978) heißt es darum: „ich bin teil, ich muss mich geteilt haben, ich war der ganze teil eines teiles“. Elfriede Czurda steht in der sprachexperimentellen Tradition der Wiener Gruppe (1954-1964), wenngleich sie sich von dem „männlichen Strukturierungswahn“ der (nur) männlichen Gruppenmitglieder und ihrer Arbeit distanziert. Später arbeitet sie fünf Jahre mit Friedrich Achleitner, Reinhard Priessnitz und Gerhard Rühm im Lektorat des von Heimrad Bäcker gegründeten Autorenverlags „edition neue texte“ (1976-1981). Hier nimmt sie wichtige Impulse für ihr eigenes Schreiben auf.
In ihren frühen Arbeiten versucht Elfriede Czurda noch eine „neue“ Sprache für Liebe und Glück zu finden, indem sie der Frage nach der (Un-)Möglichkeit von Liebesbeziehungen nachgeht. Dass erinnert stark an die literarischen Themen von Elfriede Jelinek, etwa in deren Büchern „Die Liebhaberinnen“ (1975) und „Die Klavierspielerin“ (1983). Schnell erscheint Elfriede Czurda die Ursache eines fast schon prinzipiellen Scheiterns klar zu sein; ihre Diagnose lautet, dass der Fehler in der narzisstischen Konstruktion von Paarbeziehungen liegt. Das Verharren in der eigenen Existenz verhindere, so die Autorin, dass es zu einer Begegnung mit dem „Du“ des Gegenübers komme. Neben einer hierarchisch strukturierten Geschlechtersituation führe vor allem diese ausbleibende Begegnung (Kommunikation) nicht zuletzt zu Gewalt in diesen Beziehungen. Deren strukturelle, seelische und körperliche (Gewalt-)Formen thematisiert die Autorin in ihren Büchern, wie zuletzt in dem schmalen Band „Krankhafte Lichtung“.
Drei wahnhafte Lieben werden in den drei Erzählungen dieses Buches zum Thema. Zwischen Agonie, Traum und Wahn scheinen in diesen Texten gewalttätige Männer auf, deren Frauen sich dadurch wehren, indem sie sich verstecken, verschlucken oder auslöschen. Es tauchen Frauen auf, die unentschieden zwischen Realität und Traumwelt einen eigenen Weg zu gehen bereit sind und dabei von einer (männlichen) Umwelt zunehmend diskriminiert werden. Auch passieren Frauen den Weg von Frauen und zeigen sich dabei wenig hilfreich. Es ließe sich darum schnell urteilen, diese Textproduktionen seien die Relikte einer „feministischen Literatur“ der achtziger Jahre und ihre Autorin habe sich nicht wesentlich entfernt von deren Positionen.
Warum sollte sie auch? Nach wie vor hat sich für Frauen nur wenig zum Positiven geändert. Frauen werden ausgelöscht, verschluckt und versteckt. Einen Ausweg aus dieser Situation, den sich die Autorin dieser Texte selbstbewusst nimmt, scheint eine (zumindest sprachliche) Abwehrhaltung gegenüber dieser Welt zu sein. In der in diesem Band enthaltenen Erzählung »Der komparative Startschuss« (entstanden 1992/93) lässt sich unschwer in der Figur der Anna Na die Autorin selbst erkennen, denn diese „hat ein Zimmer für sich allein. Sie ist Dichterin. Sie dichtet, was ihr einfällt“. Die beiden literarischen Vorbilder Elias Canetti (hier der Bibliothekar Kien aus der „Blendung“) und Virginia Woolf (hier der Roman „A room of one’s own“) scheinen in diesen Texten der Elfriede Czurda permanent durch.
Vor allem die beiden bislang erschienen Bände ihrer Romantrilogie „Die Giftmörderinnen“ (1991) und „Die Schläferin“ (1997) zeigen zum ersten Mal eine blutige Gegenwehr von Frauen. Die eine Gedemütigte vergiftet ihren Ehemann und die andere Erniedrigte ertränkt und zerstückelt ihren Liebhaber. In diesen Büchern sind beide Geschlechter Getriebene einer per se gewalttätigen Ordnung, in der das Verhältnis der Geschlechter eine Opposition darstellt und deren zerstörerisches Potenzial die Autorin zum Thema nimmt. Wenngleich sich die Autorin bis heute nicht von feministischen Positionen entfernt hat, präsentiert sie doch in ihrem neuesten Buch „ich, weiß“ (2008) eine überraschende sprachliche wie inhaltliche Wende.
Elfriede Czurda notiert vom 21. Juli 2003 bis 20. Juli 2004 sogenannte Mikro-Essays, die sie nun vier Jahre später als 366 Texte in einem Westentaschenformat veröffentlicht. Vermutlich muss ihr (und des Verlegers) Traum platzen, dass potenzielle Leser dieses Buch täglich mit sich tragen, um gelegentlich blätternd und stöbernd einen Mikro-Essay für ihren Tag zu finden. Das sehr schön gestaltete Buch wird mit dem Faksimile des Eintrags für den 4. Januar 2004 eröffnet. Darin heißt es: „was auf den tisch kommt / wird auf keinen fall / gegessen es wird sortiert / gestapelt gelocht zusammen / geheftet mit heftiger hand / überkritzelt zerknüllt / in den papier korb versenkt / heraus gefischt glatt / gestrichen mit tee voll / gekleckert weg damit / was auf den tisch kommt / wird verdaut wird verdaut.“
Für jeden Tag der Notation gilt die gleiche Regel: Es sollen zwölf Zeilen notiert werden, die sich auf ein Ding, eine Stimmung, eine Erinnerung beziehen. Das Ergebnis ist weniger überraschend, als man zunächst denken mag, denn jeder der 366 Texte ist so verschieden und vielfältig, wie es der Tag selbst auch ist. In diesem Konvolut enthalten sind die „30 Variationen über den Berliner Schreibtisch“. Sie lesen sich wie ein vorweggenommener Abschied von Berlin nach Wien. Dieses siebzehnte Buch der Elfriede Czurda knüpft an das erste Buch (dreißig Jahre später) unmittelbar an. Sprachlich weiterentwickelt, thematisch enggeführt ist es so ein gelungener Rückbezug; hier schließt sich ein poetisch individueller Kreis.
Mit den beiden Neuerscheinungen „Krankhafte Lichtung“ (2007) und „ich, weiß“ (2008) hat die Autorin in nunmehr dreißig Jahren siebzehn Bücher veröffentlicht. Darüber hinaus sieben Hörspiele, zwei Übersetzungen, dreiunddreißig Abdrucke, zwei von ihr herausgegebenen Zeitschriftensondernummern (darunter eine über die große Elfriede Gerstl) und unzähligen Rezensionen und weitere Texte publiziert. Die Autorin ist nicht nur fleißig, sie ist vor allem sehr genau mit ihren Arbeiten.
Aus Anlass ihres 60. Geburtstages ist ein Sonderheft der Zeitschrift „Die Rampe“ (2006) ihr zu Ehren erschienen. Die Autorin, die über fünfundzwanzig Jahre in Berlin lebte, ist vor kurzer Zeit endgültig nach Wien zurückgekehrt. Leider hat es die Bundesrepublik Deutschland (und auch das Land Berlin) versäumt, die Autorin und ihr Werk gebührend zu ehren. Bis heute hat sie keinen deutschen Literaturpreis erhalten. Ihren Vorlass hat soeben das Österreichische Literaturarchiv (ÖLA) angekauft. Es bleibt zu hoffen, dass Elfriede Czurda nun Zeit und Ruhe findet, den noch ausstehenden ersten Band ihrer Trilogie („Dichterinnen“) zu schreiben und ihre Leser mit weiteren Texten zu überraschen. Und es bleibt zu hoffen, dass ihr bald einer der großen österreichischen Literaturpreise zuerkannt wird.
In dem Reigen der so starken österreichischen Autorinnen ist Elfriede Czurda darum eine Ausnahme, weil sie mit der Sprache in besonderer Weise verfährt. In ihren Texten überfluten den Leser entweder ganze Assoziationsketten oder die Sprache selbst bricht auf und … zerbricht. Elfriede Czurdas Sprachgewalt ist immer politisch konnotiert. Darum kann sie der Vorwurf des autonomen Sprachexperiments, dem neben ihr die meisten Autoren aus dem Umkreis und in der Folge der Wiener Gruppe ausgesetzt sind, gar nicht treffen. Es wäre an der Zeit, sie unter dem Aspekt einer auch politischen Literatur zu lesen und ihr einen herausgehobenen Platz in der Literatur österreichischer Autoren einzuräumen.
Von Michael Fisch
Literaturangaben:
CZURDA, ELFRIEDE: ich, weiß. 366 mikro-essays für die westentasche. Edition Korrespondenzen, Wien 2008. 376 S., 23,70 €.
---: Krankhafte Lichtung. Drei wahnhafte Lieben. Erzählungen. Verbrecher Verlag, Berlin 2007. 112 S., 13 €.
PORTRÄT: Elfriede Czurda. In: Die Rampe. Nr 3 (2006): Linz: Stifterhaus. 156 S., 6,20 €.
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